Bildende Kunst von Prof. Dr. Pauli, Direktor der Kunsthalle

Vergangenheit und Gegenwart einer Stadt finden ihren symbolisch anschaulichen Ausdruck in der Kunst. Sie zeigt uns freilich nur einiges von dem, was andere Wissensquellen uns weit ausführlicher übermitteln, diese Auswahl aber in größter Deutlichkeit und oftmals auch in Ergänzung jener Quellen. Wo die Menschen schweigen, reden immer noch die Steine. — Freilich haben sie uns in Hamburg nicht so viel zu erzählen wie in anderen Großstädten eines ähnlich ehrwürdigen Alters. Denn hier haben geographische Lage, geschichtliche Ereignisse, elementare Unglücksfälle und das lieben der Bewohner zusammengewirkt, um in ungewöhnlichem Maße das Antlitz der Stadt wieder und wieder zu verändern, so dass nur noch in schwachen Spuren die ältere Geschichte anschaulich weiterlebt. Dass Hamburg einmal der Sitz eines für den europäischen Norden bedeutsamen Erzbistums war und fürstlicher Landeshoheit unterstand, sagt uns kein Baudenkmal mehr. Die Burgen der Schauenburger Grafen an der Alster und an der Südwestecke des alten Hamburg, dem jetzigen Hopfen markt, sind schon im Mittelalter gefallen, und seitdem der Dom 1805 abgebrochen wurde, erinnert nur noch der Name der Domstraße an den geistlichen Herrensitz. Aus dem furchtbaren Brande, der 1842 ein Fünftel der Stadt zerstörte und 20.000 Einwohner obdachlos machte, sind nur zwei der mittelalterlichen Kirchen, St. Jakobi und St. Katharinen, unversehrt hervorgegangen, und auch diese zeigen nicht mehr ihre ursprünglichen Formen. Das Unglück wollte es, dass in neuester Zeit, im Juli 1906, auch der bedeutendste der späteren Kirchenbauten, die große Michaeliskirche, die glänzende Schöpfung Sonnins aus der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, einer Feuersbrunst zum Opfer fiel. Die namentlich bis zum großen Brande ungewöhnlich enge Bebauung der Stadt, wie sie sich unter dem Druck des Befestigungsringes ergeben hatte, nötigte wiederholt zu radikalen Durchlüftungen des Straßennetzes bis in die Gegenwart.

Dennoch vermittelt uns der allgemeine Eindruck der Stadt ein deutliches Bild von dem historisch gefestigten Charakter seiner Einwohner. Hamburg ist die Bürgerstadt, die zu Reichtum und Macht gelangt ist, ohne das Emporkommen einzelner übermächtiger Geschlechter zu dulden. Wenn wir es nicht ohnehin wüssten, wir könnten es aus einer Wanderung durch seine Straßen entnehmen.


Es fehlen die weiträumigen architektonischen Anlagen, in denen eine monarchische oder auch eine mächtige kommunale Regierung sich darzustellen liebt — Anlagen, die erfahrungsgemäß auf die gesamte Bebauung einer Stadt ihren regulierenden Einfluss ausüben. Es fehlten aber auch die großen Häuser einzelner Patrizier, wie sie noch heute das Stadtbild süddeutscher Handelsplätze, z. B. in Augsburg und Basel mitbestimmen. Wohl sind im achtzehnten Jahrhundert einzelne palastartige Privathäuser entstanden — es sei nur an das heutige Stadthaus erinnert, das 1717 für den Baron Görtz erbaut wurde — allein sie beherrschten nicht ihre Umgebung und sind seither bis auf wenige wieder verschwunden. So ist das seigneuriale Leben des achtzehnten Jahrhunderts ohne architektonischen Ausdruck in Hamburg geblieben.

Der Reichtum konzentrierte und verbarg sich in der Einrichtung der äußerlich schlichten Privathäuser. Was hier an Kunst beisammen war, Gemälde, kostbares Mobiliar und Gerät, geschnitzte Täfelungen, reichverzierte Stuckdecken, ist längst zerstreut und bis auf die Reste, die in den Museen Unterkunft gefunden haben, verloren gegangen. Die hamburgischen Möbel des späten achtzehnten Jahrhunderts, den englischen ähnlich und von Sammlern begehrt, sind immer noch nicht selten anzutreffen und leben in fortgezeugten Nachbildungen weiter.

In den Museen finden wir auch die wertvollsten Kunstschätze der alten hamburgischen Kirchen. An geweihter Stätte stehen nicht mehr viele Kunstwerke hohen Ranges. Wenn wir den Flügelaltar der Lukasbrüderschaft des Meisters Hinrich Bornemann in der Jakobikirche von 1469 und die in schwarzem Marmor errichtete, mit Alabaster-Figuren geschmückte Kanzel der Katharinenkirche, eine italienische Arbeit aus der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, hervorheben, haben wir das Bedeutendste genannt. — Die künstlerischen. Eindrücke, die uns das alte Hamburg heute übermittelt, beruhen somit in erster Linie auf den beiden hervorragenden Kirchenbauten aus der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, der Dreifaltigkeitskirche von Prey und der großen Michaeliskirche, die einige Jahre später von Sonnin erbaut wurde, neben dem Prey in einem noch nicht ganz aufgeklärten Umfang tätig war. (Dass die letztere tatsächlich ein Neubau der jüngsten Vergangenheit ist, kommt für den Anblick des Äußeren nicht in Betracht, da lediglich die alten Formen wiederholt wurden.) Neben ihnen erhebt sich schlank, lebendig gegliedert der Turm von St. Katharinen aus dem Anfang des siebzehnten Jahrhunderts, mit seinem goldenen Kronreif, ein jedem Hamburger ans Herz gewachsenes Wahrzeichen der Heimat. In den engen Straßen der inneren Stadt wird man noch manche wertvollen architektonischen Einzelheiten an reichgeschmückten Portalen, Giebeln und Hausfluren finden. Im ganzen genommen ist es aber nicht dies und jenes an alter Kunst, sondern die Fülle malerischer Bilder, die den Blick gefangen nimmt, das Gewirr der Straßen, das von den Wasserzügen der Fleete durchschnitten wird. Die dunstige Atmosphäre versöhnt die Farben und verhüllt das Entfernte in graue Schleier. Hamburg ist trotz Rotenburg und Nürnberg die malerischste Stadt Deutschlands.

Seitdem im neunzehnten Jahrhundert der Ring der alten Befestigungen gefallen ist, die Bastionen sich in Gartenanlagen verwandelten und der große Brand mit weiten Bezirken der Altstadt aufräumte, ist ein neues Hamburg entstanden. Dem Wechsel des Stadtbildes wird an anderer Stelle dieses Buches nachgegangen, so dass wir uns kurz fassen dürfen. Die moderne Stadt spiegelt die historisierende Mannigfaltigkeit des Geschmackes und den Individualismus ihrer Zeit. Die groß gedachte Anlage Chateauneufs, der nach dem Brande namentlich die Umgebung der Binnenalster umgestaltete, ist wohl in ihren Grundzügen noch erhalten, doch vielfach verändert durch wechselnde Bebauung.

Allmählich vollzog sich auch hier das Schicksal der Großstadt — die Trennung in ein dem Geschäft und der Verwaltung dienendes Zentrum und die über die Vororte sich rasch ausbreitenden Bezirke des Wohnungsbaues. Hamburg hat im neunzehnten Jahrhundert eine Reihe vortrefflicher Architekten hervorgebracht, die vielleicht ihr Bestes in den Villen geleistet haben, mit denen das Ufergelände der Außenalster umsäumt wird. Hier spiegeln sich alle Wandlungen moderner Architektur von romantischen Burgenformen gotischen Stils über italienische, französische und deutsche Renaissance bis zu den neuesten Typen des amerikanisch-englischen Landhauses. In dem raschen Wechsel konnte ein einheitlich wirkender Wille sich schwerlich durchsetzen. Die bedeutende Persönlichkeit Gottfried Sempers wurde der Heimat in jungen Jahren entfremdet. Unter den Baumeistern der nächsten Generation ist der einflussreichste Martin Haller geworden, ein kultivierter Vertreter der Architektur seiner Zeit. In Paris geschult bediente er sich für gewöhnlich der Formen einer italienisierenden Renaissance. Von ihm stammt u. a. die Mehrzahl der neueren Bankpaläste, die Musikhalle und eine Anzahl vornehmer Villenbauten. Sein Haus der Hamburg-Amerika-Linie wird eben jetzt im Zusammenhang mit einem großen Erweiterungsbau umgestaltet. Ein wesentliches Verdienst erwarb er sich um das neue Rathaus, das durch eine Gruppe von sieben hamburgischen Architekten bearbeitet, im Stil deutscher Renaissance in den Jahren 1886 bis 1897 erbaut wurde.

Seither hat der Wille der neuen Zeit seinen architektonischen Ausdruck in Hamburg durch das Auftreten einer jüngeren Generation gefunden; sie verbindet die Abkehr von den historischen Mustern mit einer strengeren Sachlichkeit und gleichzeitig mit einer Neubelebung des alten landesüblichen Backsteinbaus. Der außerordentliche wirtschaftliche Aufschwung der letzten Jahrzehnte vor dem Weltkriege führte eine Menge bedeutender Aufgaben an öffentlichen und privaten Bauten herbei. Als eine


hamburgische Besonderheit wurde das große Kontorhaus ausgebildet, das hier und da in der Altstadt entstand und dessen Typus die Mönckebergstraße beherrscht. Die Reihen gewaltiger Geschäftspaläste, die vom Rathausmarkt zum Hauptbahnhof führen, sind das monumentale in Deutschland einzig dastehende Denkmal eines weltumspannenden Handels. Wie bezeichnend ist es doch, dass die neue Architektur sich an Aufgaben des Zweckbaus entwickelt, die von der vorherrschenden Generation vielmehr als hoffnungslos unkünstlerisch angesehen und behandelt worden waren! Die Bauten von Höger (Klöpperhaus und Rappolthaus) und Bensei (Südseehaus und Levantehaus) dürfen rühmend hervorgehoben werden. Zugleich hatte die staatliche Leitung des Hochbauwesens bedeutsamen Einfluss gewonnen, nachdem Fritz Schumacher sie 1909 übernommen hatte. In erstaunlich kurzer Zeit gelang es ihm, eine Menge von öffentlichen Gebäuden der verschiedensten Bestimmung einheitlich, im Geiste unserer Zeit zu vollenden. Es liegt seiner Art fern, in betont modernen Formen seine Individualität zum Ausdruck zu bringen. Vielmehr zeichnet er sich durch eine schlichte Sachlichkeit aus, die nur das Notwendige auszudrücken scheint, freilich in edlen Rhythmen unter sorgfältiger Anpassung an die Umgebung und beseelt durch alte norddeutsche Tradition. Wie er sich, wenn es sein muss, einem großen historischen Baudenkmal anzupassen weiß, mag sein Pastorat zu St. Michaelis zeigen. Das schlichte Haus mit seinem Mansardendache ist der Kirche Sonnins bescheiden untergeordnet, indem es gleichzeitig ihre Wirkung steigert. Sein Material ist der Backstein, scharf gebrannt in dunklen Schattierungen, die der Mauerfläche ein diskretes Leben verleihen. Unter seinen zahlreichen Bauten einzelne aufzuzählen, würde zu weit führen. Einer der vortrefflichsten ist jedenfalls das Museum für hamburgische Geschichte am Holstenwall, das eben jetzt seiner Vollendung entgegengeht. Es war ein Glück für Hamburg, dass diesem Manne kurz vor der Katastrophe des Weltkrieges ausgiebige Gelegenheit zur Betätigung gegeben wurde.

Die Plastik spielt im hamburgischen Kunstbesitz keine große Rolle. Im Mittelalter war sie an die Architektur oder im Altarschrein an die Malerei gebunden und lebte hier — im Lande des Backsteinbaus — weniger am Äußeren als vielmehr im Inneren der Kirchen. An älterer Steinplastik ist verschwindend wenig erhalten; holzgeschnitzte Figuren sind früheren Bränden und anderer Zerstörung zum Opfer gefallen. So ist denn von altem heimischen Bildwerk als das wertvollste die Reihe der Skulpturen am Hochaltar der Petrikirche (jetzt in der Kunsthalle) übrig geblieben. Sie sind um 1380 entstanden, und offenbaren dem aufmerksamen Beschauer eine überraschende Fülle sehr lebendiger Beobachtung und ein in seiner Gebundenheit edles Stilgefühl. Ihre Bemalung und Vergoldung ist modern. Abgesehen davon kommen etwa noch die Mittelgruppe vom Altar der Lukasbrüderschaft von 1469 und die Madonna vom Fischeraltar von 1500, beide in der Jocobikirche, in Betracht. Auf die barocke figurengeschmückte Kanzel der Katharinenkirche war bereits hingewiesen. Die spätere Entwicklung des Barock und Rokoko hat uns keine bemerkenswerten plastischen Kunstwerke hinterlassen, Ein anmutiges Grabrelief aus der Spätzeit des achtzehnten Jahrhunderts von dem Straßburger Landolin Ohmacht bewahrt das Museum für Kunst und Gewerbe. Damals war der Zusammenhang zwischen der beherrschenden Architektur und der Plastik noch nicht gelockert. Er gewährte der Arbeit des Bildhauers Haltung. Erst das neunzehnte Jahrhundert brachte die Auflösung; Architektur und Plastik gingen ihre eigenen Wege. Als bevorzugte plastische Aufgabe erscheint das freistehende Denkmal, das bezeichnender Weise am liebsten in Grünanlagen und nicht in Anlehnung an einen architektonischen Hintergrund aufgestellt wird. Das große Kaiserdenkmal von Schilling mag als Beispiel dafür dienen, wie sehr damals die Schwesterkünste einander entfremdet waren. Mit seiner breiten Plattform und einem Streifen Gebüsch im Hintergrunde steht es inmitten des Rathausmarktes, auf einem Platz für sich, der den Absichten der architektonischen Anlage Chateauneufs schnurstracks zuwiderläuft. — Die Formen der Denkmäler sind in einem durch Konvention gemilderten Naturalismus gehalten — am besten, wenn am wenigsten konventionell. Schapers sitzender Lessing am Gänsemarkt und Tilgners naiv naturalistischer Bürgermeister Petersen gegenüber dem Stadthaus können in ihrer Art in allen Ehren bestehen. — Ein neuer Wille kündet sich in Lederers großem Bismarckdenkmal pathetisch an. Der Held erscheint hier, dem Roland des Mittelalters vergleichbar, als der Hüter vaterländischer Rechte und Freiheit — vom Zeitlichen abgelöst. In den gewaltigen Dimensionen stellt sich das Machtbewusstsein des Kaiserreiches dar. Hier ist eine neue Verschmelzung von Architektur und Plastik erreicht, wenn auch nicht ganz im Sinne des dem Künstler vorschwebenden Mittelalters.

Soweit unsere Kunde reicht, hat sich die Kunstübung in Hamburg im Gegensatz zu dem benachbarten Bremen nicht sowohl der Plastik als der Malerei zugewendet. Neben wenigen Bildhauern erscheint seit dem späten Mittelalter eine stattliche Reihe vortrefflicher Maler. Ja zeitweise, um 1400 und dann wieder vier Jahrhunderte später, zu Beginn der neuesten Zeit konnte Hamburg als Vorort eines weiten norddeutschen Kunstgebietes gelten. Nur die Bildung einer kontinuierlichen Schule wollte nicht gelingen. Vielmehr war es so, dass jedes neue Geschlecht von auswärts neue Anregungen mitbrachte, um sie auf hamburgische Art zu verwerten. Die Beispiele dieser Entwicklung finden sich mit verschwindenden Ausnahmen in der Kunsthalle beisammen.

Den Anfang macht die bedeutende Persönlichkeit Meister Bertrams, der aus Minden stammend, in den letzten Jahrzehnten des vierzehnten und zu Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts die angesehenste Werkstatt in Hamburg leitete. Als Maler zeigt er sich von der Prager Schule beeinflusst, die unter Karl IV. weitreichende Bedeutung für Deutschland gewann. Sein Hauptwerk, der große Wandelaltar der Petrikirche, der im achtzehnten Jahrhundert an die Kirche in Grabow abgegeben worden war, grüßt den Besucher der Kunsthalle bei seinem Eintritt. Außer diesem Altarwerk, das als Arbeit Bertrams beglaubigt ist, besitzt die Kunsthalle noch zwei Altäre seiner Hand oder doch seiner Werkstatt, die das Bild seiner Kunst vervollständigen, den Marienaltar aus Buxtehude und den kleinen Altar der Geburt Christi aus dem Kloster Harvestehude. Es handelt sich um eine Malerei von starker dekorativer Wirkung, deren stilistische Gebundenheit sich durch ein neues Naturgefühl lockert. In den Gemälden der Flügel des Grabower und des Buxtehuder Altars finden sich manche Züge einer überraschend lebendigen Beobachtung. Die Plastik an den Altären Bertrams rührt augenscheinlich von mehreren in seiner Werkstatt beschäftigten Bildschnitzern her. — Aus der nächsten Zeit lernen wir als führenden Maler in Hamburg Francke kennen, einen ganz anders gearteten Meister, der als der verfeinerte dem volkstümlich derberen Vorgänger gegenübertritt. Vielleicht aus Rheinfranken stammend, zeigt er sich von der westfälischen Malerei um 1400 abhängig. Die Kunsthalle bewahrt in den Resten des Thomasaltares und dem Schmerzensmann aus der Petrikirche alles, was von ihm auf die Nachwelt gekommen ist mit Ausnahme eines kleineren Gemäldes des leidenden Christus im Leipziger Museum. — Erst allmählich ist es offenkundig geworden, dass wir in ihm einen der hervorragendsten deutschen Maler des späten Mittelalters zu erblicken haben.

Die Wanderung der Kultur Deutschlands vom Westen nach Osten, für die Meister Francke das erste Beispiel gewährt, lässt sich von nun an in der Geschichte der hamburgischen Kunst in jedem Jahrhundert von neuem belegen. Auf Francke folgt in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts Hinrik Funhof, ein ersichtlich in den Niederlanden vorgebildeter Meister, von dessen liebenswürdig frischer Kunst die Galerie das Votivbild einer Muttergottes im Ährenkleide enthält. Westfälische und niederländische Vorbilder lassen sich weiter in den großen Altarbildern der Kreuzigung um 1500 und der Beweinung Christi (um 1520) nachweisen, die aus der Katharinenkirche in die Kunsthalle gelangt sind. Dann reißt der Faden der Überlieferung vorübergehend ab, und in den dreißiger Jahren schickt der Hamburger Rat einen Stipendiaten zu Lucas Cranach in die Lehre. Die oberdeutsche Malerei hatte seit Dürer für zwei Menschenalter die Führung in unserem Vaterlande übernommen. Dann — schon im letzten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts setzt der Zug aus dem Westen mit erneuter Kraft ein. Um ihres Glaubens willen vertriebene Protestanten kommen aus den südlichen Niederlanden nach Hamburg und tragen zur Mehrung des Handels und aller jener Kulturgüter bei, die sich dem Schiffe des Kaufmanns anheften. Um die Jahrhundertwende ist einer der namhaftesten Architekturzeichner und Ornamentisten der Antwerpener Schule, Hans Vredeman de Vriese, vorübergehend in Hamburg tätig. Sein Beispiel wirkt anregend auf die hamburgische Architektur; auf niederländische Vorbilder weisen auch die hamburgischen Maler des siebzehnten Jahrhunderts zurück. Unter ihnen zeichnet sich der hochbegabte, freilich sehr ungleichmäßige Matthias Scheits aus. Er ist in Haarlem ausgebildet und stellt sich in seinen besten Arbeiten, deren nervöses Temperament merkwürdig von der Schwerfälligkeit Seiner geringeren Bilder absticht, den angesehenen holländischen Meistern seiner Zeit ebenbürtig an die Seite. Sein Zeitgenosse ist der ausgezeichnete Stillebenmaler Jurian Jakobsen, ein Schüler des Antwerpeners Frans Snyders. Auch der seiner Zeit hoch gefeierte Bildnismaler Balthasar Denner, der in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts von Hamburg aus die vornehme Gesellschaft des nördlichen Europa mit Bildnissen versorgte, steht auf den Schultern der Niederländer. Dann freilich ändert sich allmählich die Orientierung der heimischen Kultur. Frankreich, Italien und mittelbar die Antike gewinnen allmählich an Geltung. Der Stil des Rokoko ist seines ursprünglich französischen Gepräges ungeachtet wesentlich international. Gleichzeitig aber erwacht in Hamburg — und hier früher noch als im übrigen Deutschland — das nationale Selbstbewusstsein. Zunächst sind es die Dichter, in denen es lebt. Hamburg wird mit Lessing, Brockes, Hagedorn, Klopstock, Claudius und Voß einer der Vororte der deutschen Literatur. Der Geist der hier sich entzündet, findet erst später seinen Ausdruck in der bildenden Kunst. Zunächst haben noch die internationalen Akademiker das Wort. Auf Jakob Tischbein folgt sein Neffe und Schüler, der frühere Neapeler Akademiedirektor Wilhelm Tischbein. Die Kunsthalle gewährt von seiner matt akademischen Malerei eine fast allzu reichliche Übersicht. Sein größtes Verdienst war es, zeitgemäß zu sein, und sein Glück war die Freundschaft Goethes, der ihm einen Bruchteil seiner Unsterblichkeit schenkte.

Was damals, um 1800, als wahrhaft deutsch in unserer Kunst keimhaft beschlossen lag, entfaltete sich in Philipp Otto Runge. Ihn haben wir als den Verkünder einen neuen Zeit an der Schwelle des neunzehnten Jahrhunderts zu ehren. Die Zeitgenossen haben ihn nur ahnungsvoll verstanden als den Gestalter romantischer Phantasien über Welt und Menschenschicksal. Doch es ruhten reichere Anlagen in ihm; er hatte Gedanken für Architekten, Ornamentiker, Maler bereit und die Kraft, sich vielseitig auszudrücken. Freilich entwand ein früher Tod ihm sein Werkzeug, und bald wurde es wieder still von ihm. Die Geschichte aber gewährt dem Frühvollendeten die Gerechtigkeit, dass sie für die Nachwelt den Schleier von seinen vergessenen Werken zieht und das hervorhebt, was — von ihm vorausverkündet — sich später erfüllt hat. Somit verknüpft sie ihn mit einer von ihm selber kaum geahnten Nachfolge. Die neueste Zeit hat den Weg zu Runge erst recht wieder gefunden, und unsere Kunstfreunde werden dankbar dafür sein, nahezu seine gesamte künstlerische Hinterlassenschaft in der Kunsthalle vereinigt zu finden.

Die jüngeren Zeitgenossen Runges in Hamburg sind nicht seine Geistesverwandten. Ihr Vorhaben ist weit bescheidener. Ganz der greifbaren Gegenwart zugewendet, zeigen sie sich bemüht, sich selbst, ihr Leben und ihre Umgebung malerisch zu verewigen. Auch ihnen ist erst die Nachwelt gerecht geworden. Sie hat es erkannt, wie sehr diese redlichen Meister als die Interpreten der bürgerlichen Kultur der sogenannten Biedermeierzeit zu würdigen sind. Ihre fertigen Bilder sind bisweilen von pedantischer Trockenheit, in ihren Studien lebt aber eine Frische, die den Impressionismus der zweiten Jahrhunderthälfte ankündigt. Eine führende Persönlichkeit ragt nicht unter ihnen hervor, vielmehr wollen sie als Gruppe gewürdigt sein, diese Oldach, Speckter, Wasmann, Janssen und wie sie heißen mögen. Die besten unter ihnen sind früh gestorben oder doch als Künstler bei Zeiten wieder vertrocknet. Es waren Frühblüher. Andere, wie Nerly und Christian Morgenstern, brachten, es später in der Fremde zu Ehren, ohne darum an innerem Werte zu steigen. In der Heimat blieb Otto Speckter, ein vortrefflicher Illustrator, der als Meister der Bilder zu Heys Tierfabeln einer der volkstümlichsten Freunde der deutschen Jugend geworden ist. — Im ganzen genommen darf man die kleine hamburgische Schar, die in der Kunsthalle vollzählig zusammensteht, als eine der letzten Vertretungen einer rein deutschen, von keinem akademischen Internationalismus angekränkelten Kunst ansehen. Ihnen folgt eine Weile Stillstand. Erst gegen das Ende des neunzehnten Jahrhunderts regt es sich wieder. Von Lichtwark ermuntert ließ sich eine Reihe jüngerer Maler in Hamburg festhalten, um in der Schilderung der Heimat (der Absicht nach im Geiste jener Frühvollendeten) ihre Lebensaufgabe zu finden. Eine Zeit lang schien das auch zu gelingen. Die Kunsthalle bewahrt in ihren Sälen der neuesten Hamburger die Denkmäler jener Spätzeit des Jahrhunderts in den Bildern der Siebelist, Illies, Eitner, v. Ehren und ihrer Gesinnungsgenossen. Die Künstlerschaft, die ihre eigenen Wege sucht, ließ sich indessen nicht daheim fesseln. Die nächste Generation drängte wieder hinaus und fand in Paris Anschluss an die letzten Vertreter des Impressionismus, die den Übergang zu neuen Zielen darstellen. Unter diesem Zeichen schloss sich abermals eine wohl aufeinander abgestimmte Gruppe zusammen, unter der als die namhaftesten Nölken, Ahlers-Hestermann, Friedrichs anerkannt werden. Auch diese sind inzwischen zwar nicht übertroffen, doch überholt von einer Jugend, die den Expressionismus der Gegenwart vertritt.

Neben der Malerei hat die angewandte Kunst sich in Hamburg zu hoher Bedeutung entwickelt. In der vortrefflich eingerichteten Kunstgewerbeschule (einem Bau Schumachers) versammelt sich um Czeschka als die führende Persönlichkeit ein Kreis von Künstlern und Schülern, die auf den verschiedenen Gebieten künstlerischer Technik Ausgezeichnetes geleistet und Hamburgs Namen auf mancher Ausstellung moderner Kunst zu Ehren gebracht haben. — Leider nur bereitet es einstweilen noch Schwierigkeit, die Gastfreundschaft, die Hamburgs Künstler auswärts genießen, daheim zu erwidern. Es fehlt an einem Ausstellungsgebäude. Doch sind inzwischen die Vorbereitungen dafür getroffen, um dem Mangel abzuhelfen — allen Schwierigkeiten der Zeit zum Trotze.

Die geschichtliche Entwicklung hat es mit sich gebracht, dass im künstlerischen lieben Hamburgs die Museen eine besondere Rolle spielen. Sie wurden die Heimstätte der durch die Veränderungen der alten Stadtteile frei werdenden Kunstwerke. Die Kunsthalle stellt sich dank der Lebensarbeit Alfred Lichtwarks als ein in seiner Art einziges Museum der heimischen Malerei dar — erweitert durch eine hervorragende Galerie des neunzehnten Jahrhunderts. Das Museum für Kunst und Gewerbe, die Schöpfung Justus Brinkmanns, enthält, abgesehen von seinen übrigen Schätzen eine kostbare Sammlung hamburgischer Altertümer aus Stadt und Landgebiet und ergänzend zu beiden tritt das Museum für die Geschichte der Stadt Hamburg mit einem ansehnlichen Kunstbesitz.