Geschichte und Pflege der Kultur
Fasst man alle die günstigen Bedingungen zusammen, die in Hamburg für die Entwickelung einer einheimischen Kunst und Literatur vorhanden sind, die Wohlhabenheit, die nicht im Vorhandensein vieler großer Vermögen im internationalen Sinne, sondern in den auskömmlichen Verhältnissen breiter Schichten ausgesprochen ist, das tiefe Interesse an allem, was Hamburgisch ist, die Fähigkeit der Initiative und der leidenschaftlichen, wenn auch äußerlich ruhigen Hingabe an gemeinnützige Unternehmungen — dann nimmt es wunder, dass dieser Boden sich in unserem Jahrhundert für Kunst und Wissenschaft scheinbar so wenig ergiebig gezeigt hat.
Eine Hamburgische Architektur gab es im achtzehnten Jahrhundert, als die Große Michaeliskirche gebaut wurde, das originelle Bauwerk, dessen großartiger Innenraum heute mit Notwendigkeit zur Festkirche des Staates geworden ist; gab es im Grunde noch bis zum Anfange der vierziger Jahre, als Chateauneuf — ein Hamburger französischer Abkunft — die palastartigen Stadthäuser, die wundervollen Treppen der Kleinen Alster und in bewusster Anknüpfung an einheimische Baugedanken — nicht Bauformen — des achtzehnten Jahrhunderts das Postgebäude errichtet, als Bülau in demselben Sinne das Haus der Patriotischen Gesellschaft baute und für einzelne Privathäuser in freier Benutzung auf die Backsteinfassaden und Treppengiebel der alten Hansestädte zurückgriff. Dann wurden diese Bestrebungen unterdrückt. Da Hamburg keine Bauschule besaß, mussten seine architektonischen Begabungen in Berlin, Hannover, München, Stuttgart, Karlsruhe und Paris studieren, um in der Heimat anzuwenden, was sie gelernt hatten, und jede Kraft schuf isoliert. So entstand die Buntscheckigkeit des Architekturbildes der neuen Stadt, in dem sich alle Stile Europas mischen, die englische Landhausgotik eingeschlossen. Man sieht es heute auf einen Blick, ob München, Hannover, Paris oder Berlin die Parole ausgegeben hat. Es ist auch leicht, zu erkennen, dass diese neue Architektur in Hamburg von Architekten stammt, die von keiner lebenskräftigen, selbständigen einheimischen Skulptur und Malerei irgendwie befruchtet worden sind.
Denn auch der Malerei und Skulptur in Hamburg fehlten nicht die Talente, sondern der Boden der Heimat. Die Stadt bot den aufstrebenden Talenten keine Möglichkeit, zu Hause zu lernen, was an der Kunst lernbar ist. Auch sie waren gezwungen, sich auf die Akademien zu begeben.
Viele gingen dadurch der Vaterstadt für immer verloren. Wer zurückkehrte, hatte mit widrigen äußeren Verhältnissen zu kämpfen, und nur sehr wenige fanden sich selbst wieder und entwickelten in der Stille ihre Begabung. Was sie im Anschluss an den heimischen Boden geschaffen haben, überrascht jetzt, wo die Kunsthalle es zu sammeln und zu Ehren zu bringen versucht, durch einen Grad von Gesundheit und Selbständigkeit, der der akademischen Kunst Deutschlands in unserem Jahrhundert nur ausnahmsweise eigen war. Am Anfange unseres Jahrhunderts entwickelte Ph. O. Runge ein Programm der Kunst der neuen Zeit, dessen Grenzen noch immer nicht ganz erfüllt sind. In den zwanziger Jahren entstand im Anschluss an die Panoramenmalerei unabhängig von jedem äußeren Einfluss eine moderne deutsche Landschaftsmalerei, deren weitere Entwickelung gestört wurde, als man die jungen Träger der neuen Ideen mit Stipendien auf die Akademien sandte. Um die Mitte der dreißiger Jahre malte Erwin Speckter, von der Lehre unter Cornelius und dem Studienaufenthalt in Italien zurückgekehrt, das Interieur mit dem Mädchen von Fanoe, das auf lange Zeit hinaus das voraussetzungsloseste deutsche Ölbild geblieben ist. Um die Mitte der vierziger Jahre hatte Hermann Kauffmann, dem missliche Verhältnisse zu seinem Glücke die Rückkehr zur Akademie unmöglich gemacht hatten, eine schlichte Größe und Einfachheit erreicht, die ihn zu einer ganz einzigen Erscheinung in unserer Kunst machen, um dieselbe Zeit malte Valentin Ruths als Autodidakt seine ersten köstlichen Bilder aus dem Hafen, deren malerische Qualitäten sein späterer Lehrer Schirmer nie gekannt hat, und im folgenden Jahrzehnt entwickelte sich Steinfurth, von Düsseldorf zurückkehrend, einsam schaffend, zu einem der besten deutschen Bildnismaler.
Dass auch die Kunstindustrie mit Ausnahme weniger Zweige sich nicht zu selbständiger Blüte erheben konnte, wo eine eigenartige Architektur, Malerei und Skulptur fehlten, bedarf keiner Ausführung.
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Immer weitere Kreise werden von dem Wunsche durchdrungen, dass die Hamburgische Architektur die Nachahmung fremder Vorbilder aufgeben und im Anschluss an heimische Gedanken für die eigenartigen Bedürfnisse den eigenen künstlerischen Ausdruck finden möge; dass die in den kommenden Generationen heranreifenden künstlerischen Talente nicht gezwungen werden, den Boden der Heimat zu verlassen, sondern dass ihre Ausbildung unter dem Einfluss der heimatlichen Landschaft und des eigenen Volksstammes stattfinden möge, damit sie, getragen von einer Bevölkerung, die das Glück fühlen lernt, Kunst mit zu erleben, im Stande seien, eine kräftige Lokalkunst zu schaffen, die einer eigenartigen dekorativen Kunst zum Ausgangspunkte dient.
Hamburg ist absolut in der Lage, eine ansehnliche lokale Produktion tragen zu können. Von den auskömmlichen Mitteln, deren breite Schichten sich erfreuen, liefert das finanzielle Ergebnis der Ausstellungen den redenden Beweis. Bei der Hamburger Industrieausstellung von 1889 war jede siebente Seele der Einwohnerschaft abonniert.
Weitgehende Wünsche bewegen die Gemüter auch in Bezug auf die literarischen Verhältnisse. In den Kreisen derer, die die Entwickelung in Hamburg beobachten, wird seit Jahren die Gründung einer Wochen- oder Monatsschrift ventiliert, die vom Hamburgischen Standpunkte aus den Lauf der Weltbegebenheiten verfolgt und der lokalen Produktion als Gefäß dient. Versuche sind bisher noch nicht gelungen, obgleich es an literarischen Kräften nicht fehlt und auf eine große Anzahl von Abonnenten sicher zu rechnen ist. Hamburg drückt sich noch nicht aus.
Die Institute und Gesellschaften, die die Bewohner Hamburgs als Organe ihrer kulturellen Bedürfnisse geschaffen haben, die immer erneuten Bemühungen einzelner Kunstfreunde legen von der großen Kraft des Bodens, Kultur zu tragen, entscheidendes Zeugnis ab. Wir verstehen diese Zeichen als Glieder einer weit zurückreichenden Kette, wenn wir uns erinnern, dass die Patriotische Gesellschaft um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts gegründet wurde, dass fast hundert Jahre vorher Bürger Hamburgs sich zusammengetan hatten, um das erste Opernhaus modernen Stils in Europa zu bauen, das der deutschen Oper die erste Möglichkeit der freien Entfaltung bot und in der Tat die erste Blütenepoche dieser Kunstgattung unter Reinhold Kaiser herbeiführte, und wenn wir uns vergegenwärtigen, welche Rolle das Hamburger Theater in der Entwickelung der deutschen Literatur gespielt hat.
Aber es fehlte im geistigen Leben Hamburgs bis in die neueste Zeit ein Faktor, den ein Geschlecht, das Neues gestalten möchte, gering zu schätzen pflegt, der aber allein die Kontinuität eines gesicherten Besitzstandes verbürgt, die Tradition.
Die Geschichte der Kultur in Hamburg bietet dasselbe Bild unendlicher Umgestaltungen und Neubildungen wie die des Erdbodens und der Familien. Große Vermögen werden schnell aufgebaut und sinken, wenn die Kraft des Begründers zurückgetreten und kein ebenbürtiger Nachfolger vorhanden ist, ebenso schnell in Trümmer. Jeder Einzelne, jede Generation hatte von vorn zu beginnen, war auf sich selber gestellt und sorgte wesentlich nur für die unmittelbar fühlbaren Bedürfnisse.
Dieses notwendige Element der Tradition kann in der beweglichen Masse der Individuen, die vorübergehen, nicht Wurzel fassen, sie ist auf das dauernde Prinzip, den Staat, angewiesen, wenn die Kultur über eine ungünstige Epoche hinweggerettet werden soll.
Man ist in Hamburg so sehr gewöhnt, die Pflege der Kultur als eine Angelegenheit individueller Initiative anzusehen, dass wohlmeinende Politiker ernstlich zweifeln, ob der Staat überhaupt die Aufgabe hat, pflegend und fördernd einzugreifen.
Aber so überraschend diese Auffassung in den Staaten mit ehemals absoluter Fürstenherrschaft sein mag, wo nach alter Gewohnheit vom Staate alles erwartet wird, so gesund ist sie im Grunde, und es wäre sehr bedauerlich, wenn das Gegenteil einmal in Hamburg Platz greifen würde.
Nur lässt sich der Standpunkt, dass der Staat die Sorge für die Kultur und die Initiative auf diesem Gebiete dem Privatmann gänzlich überlassen sollte, auf die Dauer nicht behaupten, und seit der Mitte dieses Jahrhunderts hat sich in Hamburg allmählich ein Umschwung vollzogen, der, von Fall zu Fall fortschreitend, dem Staate zunächst die Pflege der über die Möglichkeit der Unterhaltung aus Privatmitteln hinaus entwickelten Institute überantwortet und ihm schließlich sogar die Initiative zur Weiterführung und Neugründung zur Pflicht gemacht hat.
Vor fünfzig Jahren pflegte der Staat nur eine höhere Schule, das Johanneum. Die Wohlhabenden waren auf das Privatschulwesen angewiesen, die niedrigeren Schichten auf einige Stifts- und Volksschulen. Heute hat das Schulwesen sein Übergangsstadium beinahe überwunden. Das gesamte Volksschulwesen wurde in wenigen Jahrzehnten reorganisiert, eine größere Anzahl höherer Staatsschulen hat das Privatschulwesen zurückgedrängt, das nur noch in den höheren Mädchenschulen seine alte Stellung behauptet.
Zur selben Zeit hat der Staat die von ihm übernommenen wissenschaftlichen Institute umgestaltet, erweitert und durch Neugründungen vervollständigt, so dass ihr System heute dem Apparat einer mittleren Universität gleichkommt, nur, dass es in dem musealen Teil und mit der Ausdehnung und Einrichtung der Krankenhäuser weit darüber hinausgreift.
Seit einigen Jahren hat die Oberschulbehörde ein öffentliches Vorlesungswesen eingerichtet, dem das Publikum aller Stände das lebhafteste Interesse entgegenbringt. Das Verzeichnis der Vorlesungen umfasst bereits alle Gebiete der Wissenschaft. Dozenten sind die Direktoren der wissenschaftlichen Institute, Geistliche, Lehrer der höheren Schulen und für einzelne Fächer Professoren deutscher Hochschulen. Die Teilnahme, mit der gerade die gebildeten Klassen diese Einrichtung verfolgen, liefert den Beweis, dass ein Bedürfnis, Anregung zu empfangen, lebhaft gefühlt wird. Wie weit sich dieses Institut entwickeln wird, steht noch dahin. Es hat bereits eine lebhafte Bewegung in Scene gesetzt, und die schon in früheren Zeiten wiederholt diskutierte Idee einer Hamburgischen Universität beschäftigt viele Köpfe. Wenn darüber debattiert wird, pflegen die kulturellen und politischen Gesichtspunkte, die dafür sprechen, in den Vordergrund gestellt zu werden, und man erinnert sich daran, dass Hamburg in dem jetzt in eine Reihe wissenschaftlicher Institute aufgelösten Akademischen Gymnasium eine Anstalt besessen hat, die im siebzehnten Jahrhundert Rang und Funktionen einer Universität besaß.
Alles deutet darauf hin, dass die Tätigkeit des Staates auf allen diesen Gebieten in Zukunft noch weitere Ausdehnung erfahren wird.
Neubildungen fallen allerdings den Organen des Staates, die nicht experimentieren dürfen, in Hamburg so schwer wie anderswo, aber es steht zu hoffen, dass hier die alte Gewohnheit der selbständigen Schöpfertätigkeit des Bürgers durch den prinzipiellen Umschwung in der Beteiligung des Staates nicht leiden wird.
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Wie überall und jederzeit, stehen auch in Hamburg zwei Generationen mit auseinandergehenden Anschauungen und Wünschen sich gegenüber.
Die ältere, die den Wohlstand der Stadt heraufgeführt hat, sieht nicht ohne Bedenken, dass die jüngere diese materielle Grundlage zum Ausgangspunkte der Entwicklung einer eigenartigen nationalen Kultur Hamburgischer Färbung wählen will. Man hatte sich, nachdem die internationale Konkurrenz die Anspannung aller Kräfte in Anspruch genommen hatte, an die Auffassung gewöhnt, Hamburg ausschließlich als ein Handelsorgan des Reiches aufzufassen und zu übersehen, was frühere Epochen in Hamburg für die deutsche Kultur geleistet haben.
Die jüngere Generation will sich damit nicht begnügen. Sie sieht in einer selbständigen Blüte der einheimischen Kunst und Wissenschaft nicht nur ein Moment vermehrten Wohlbehagens, das sich auch zur Not entbehren ließe, sondern eine politische Angelegenheit, von der das Ansehen des Staates und die Sympathie, die ihm von den anderen Gliedern des Reiches entgegengebracht wird, wesentlich mit abhängt. Und in den Imponderabilien der Wertschätzung und Sympathie im Reich hat sie hervorragende politische Faktoren erkannt, auf deren Einfluss sie nicht zu verzichten gewillt ist.
Hamburg wird im Verzeichnis der deutschen Staaten an allerletzter Stelle aufgeführt, als wirtschaftliche Macht hat es seinen Platz gleich nach den Königreichen. Dass es auch als Pflegerin deutscher Bildung, Kunst und Wissenschaft denselben Rang erlangen möge, den es in der Ökonomie der Nation innehält, das ist der Wunsch und das Streben der „Jungen“ in Hamburg.
Eine Hamburgische Architektur gab es im achtzehnten Jahrhundert, als die Große Michaeliskirche gebaut wurde, das originelle Bauwerk, dessen großartiger Innenraum heute mit Notwendigkeit zur Festkirche des Staates geworden ist; gab es im Grunde noch bis zum Anfange der vierziger Jahre, als Chateauneuf — ein Hamburger französischer Abkunft — die palastartigen Stadthäuser, die wundervollen Treppen der Kleinen Alster und in bewusster Anknüpfung an einheimische Baugedanken — nicht Bauformen — des achtzehnten Jahrhunderts das Postgebäude errichtet, als Bülau in demselben Sinne das Haus der Patriotischen Gesellschaft baute und für einzelne Privathäuser in freier Benutzung auf die Backsteinfassaden und Treppengiebel der alten Hansestädte zurückgriff. Dann wurden diese Bestrebungen unterdrückt. Da Hamburg keine Bauschule besaß, mussten seine architektonischen Begabungen in Berlin, Hannover, München, Stuttgart, Karlsruhe und Paris studieren, um in der Heimat anzuwenden, was sie gelernt hatten, und jede Kraft schuf isoliert. So entstand die Buntscheckigkeit des Architekturbildes der neuen Stadt, in dem sich alle Stile Europas mischen, die englische Landhausgotik eingeschlossen. Man sieht es heute auf einen Blick, ob München, Hannover, Paris oder Berlin die Parole ausgegeben hat. Es ist auch leicht, zu erkennen, dass diese neue Architektur in Hamburg von Architekten stammt, die von keiner lebenskräftigen, selbständigen einheimischen Skulptur und Malerei irgendwie befruchtet worden sind.
Denn auch der Malerei und Skulptur in Hamburg fehlten nicht die Talente, sondern der Boden der Heimat. Die Stadt bot den aufstrebenden Talenten keine Möglichkeit, zu Hause zu lernen, was an der Kunst lernbar ist. Auch sie waren gezwungen, sich auf die Akademien zu begeben.
Viele gingen dadurch der Vaterstadt für immer verloren. Wer zurückkehrte, hatte mit widrigen äußeren Verhältnissen zu kämpfen, und nur sehr wenige fanden sich selbst wieder und entwickelten in der Stille ihre Begabung. Was sie im Anschluss an den heimischen Boden geschaffen haben, überrascht jetzt, wo die Kunsthalle es zu sammeln und zu Ehren zu bringen versucht, durch einen Grad von Gesundheit und Selbständigkeit, der der akademischen Kunst Deutschlands in unserem Jahrhundert nur ausnahmsweise eigen war. Am Anfange unseres Jahrhunderts entwickelte Ph. O. Runge ein Programm der Kunst der neuen Zeit, dessen Grenzen noch immer nicht ganz erfüllt sind. In den zwanziger Jahren entstand im Anschluss an die Panoramenmalerei unabhängig von jedem äußeren Einfluss eine moderne deutsche Landschaftsmalerei, deren weitere Entwickelung gestört wurde, als man die jungen Träger der neuen Ideen mit Stipendien auf die Akademien sandte. Um die Mitte der dreißiger Jahre malte Erwin Speckter, von der Lehre unter Cornelius und dem Studienaufenthalt in Italien zurückgekehrt, das Interieur mit dem Mädchen von Fanoe, das auf lange Zeit hinaus das voraussetzungsloseste deutsche Ölbild geblieben ist. Um die Mitte der vierziger Jahre hatte Hermann Kauffmann, dem missliche Verhältnisse zu seinem Glücke die Rückkehr zur Akademie unmöglich gemacht hatten, eine schlichte Größe und Einfachheit erreicht, die ihn zu einer ganz einzigen Erscheinung in unserer Kunst machen, um dieselbe Zeit malte Valentin Ruths als Autodidakt seine ersten köstlichen Bilder aus dem Hafen, deren malerische Qualitäten sein späterer Lehrer Schirmer nie gekannt hat, und im folgenden Jahrzehnt entwickelte sich Steinfurth, von Düsseldorf zurückkehrend, einsam schaffend, zu einem der besten deutschen Bildnismaler.
Dass auch die Kunstindustrie mit Ausnahme weniger Zweige sich nicht zu selbständiger Blüte erheben konnte, wo eine eigenartige Architektur, Malerei und Skulptur fehlten, bedarf keiner Ausführung.
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Immer weitere Kreise werden von dem Wunsche durchdrungen, dass die Hamburgische Architektur die Nachahmung fremder Vorbilder aufgeben und im Anschluss an heimische Gedanken für die eigenartigen Bedürfnisse den eigenen künstlerischen Ausdruck finden möge; dass die in den kommenden Generationen heranreifenden künstlerischen Talente nicht gezwungen werden, den Boden der Heimat zu verlassen, sondern dass ihre Ausbildung unter dem Einfluss der heimatlichen Landschaft und des eigenen Volksstammes stattfinden möge, damit sie, getragen von einer Bevölkerung, die das Glück fühlen lernt, Kunst mit zu erleben, im Stande seien, eine kräftige Lokalkunst zu schaffen, die einer eigenartigen dekorativen Kunst zum Ausgangspunkte dient.
Hamburg ist absolut in der Lage, eine ansehnliche lokale Produktion tragen zu können. Von den auskömmlichen Mitteln, deren breite Schichten sich erfreuen, liefert das finanzielle Ergebnis der Ausstellungen den redenden Beweis. Bei der Hamburger Industrieausstellung von 1889 war jede siebente Seele der Einwohnerschaft abonniert.
Weitgehende Wünsche bewegen die Gemüter auch in Bezug auf die literarischen Verhältnisse. In den Kreisen derer, die die Entwickelung in Hamburg beobachten, wird seit Jahren die Gründung einer Wochen- oder Monatsschrift ventiliert, die vom Hamburgischen Standpunkte aus den Lauf der Weltbegebenheiten verfolgt und der lokalen Produktion als Gefäß dient. Versuche sind bisher noch nicht gelungen, obgleich es an literarischen Kräften nicht fehlt und auf eine große Anzahl von Abonnenten sicher zu rechnen ist. Hamburg drückt sich noch nicht aus.
Die Institute und Gesellschaften, die die Bewohner Hamburgs als Organe ihrer kulturellen Bedürfnisse geschaffen haben, die immer erneuten Bemühungen einzelner Kunstfreunde legen von der großen Kraft des Bodens, Kultur zu tragen, entscheidendes Zeugnis ab. Wir verstehen diese Zeichen als Glieder einer weit zurückreichenden Kette, wenn wir uns erinnern, dass die Patriotische Gesellschaft um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts gegründet wurde, dass fast hundert Jahre vorher Bürger Hamburgs sich zusammengetan hatten, um das erste Opernhaus modernen Stils in Europa zu bauen, das der deutschen Oper die erste Möglichkeit der freien Entfaltung bot und in der Tat die erste Blütenepoche dieser Kunstgattung unter Reinhold Kaiser herbeiführte, und wenn wir uns vergegenwärtigen, welche Rolle das Hamburger Theater in der Entwickelung der deutschen Literatur gespielt hat.
Aber es fehlte im geistigen Leben Hamburgs bis in die neueste Zeit ein Faktor, den ein Geschlecht, das Neues gestalten möchte, gering zu schätzen pflegt, der aber allein die Kontinuität eines gesicherten Besitzstandes verbürgt, die Tradition.
Die Geschichte der Kultur in Hamburg bietet dasselbe Bild unendlicher Umgestaltungen und Neubildungen wie die des Erdbodens und der Familien. Große Vermögen werden schnell aufgebaut und sinken, wenn die Kraft des Begründers zurückgetreten und kein ebenbürtiger Nachfolger vorhanden ist, ebenso schnell in Trümmer. Jeder Einzelne, jede Generation hatte von vorn zu beginnen, war auf sich selber gestellt und sorgte wesentlich nur für die unmittelbar fühlbaren Bedürfnisse.
Dieses notwendige Element der Tradition kann in der beweglichen Masse der Individuen, die vorübergehen, nicht Wurzel fassen, sie ist auf das dauernde Prinzip, den Staat, angewiesen, wenn die Kultur über eine ungünstige Epoche hinweggerettet werden soll.
Man ist in Hamburg so sehr gewöhnt, die Pflege der Kultur als eine Angelegenheit individueller Initiative anzusehen, dass wohlmeinende Politiker ernstlich zweifeln, ob der Staat überhaupt die Aufgabe hat, pflegend und fördernd einzugreifen.
Aber so überraschend diese Auffassung in den Staaten mit ehemals absoluter Fürstenherrschaft sein mag, wo nach alter Gewohnheit vom Staate alles erwartet wird, so gesund ist sie im Grunde, und es wäre sehr bedauerlich, wenn das Gegenteil einmal in Hamburg Platz greifen würde.
Nur lässt sich der Standpunkt, dass der Staat die Sorge für die Kultur und die Initiative auf diesem Gebiete dem Privatmann gänzlich überlassen sollte, auf die Dauer nicht behaupten, und seit der Mitte dieses Jahrhunderts hat sich in Hamburg allmählich ein Umschwung vollzogen, der, von Fall zu Fall fortschreitend, dem Staate zunächst die Pflege der über die Möglichkeit der Unterhaltung aus Privatmitteln hinaus entwickelten Institute überantwortet und ihm schließlich sogar die Initiative zur Weiterführung und Neugründung zur Pflicht gemacht hat.
Vor fünfzig Jahren pflegte der Staat nur eine höhere Schule, das Johanneum. Die Wohlhabenden waren auf das Privatschulwesen angewiesen, die niedrigeren Schichten auf einige Stifts- und Volksschulen. Heute hat das Schulwesen sein Übergangsstadium beinahe überwunden. Das gesamte Volksschulwesen wurde in wenigen Jahrzehnten reorganisiert, eine größere Anzahl höherer Staatsschulen hat das Privatschulwesen zurückgedrängt, das nur noch in den höheren Mädchenschulen seine alte Stellung behauptet.
Zur selben Zeit hat der Staat die von ihm übernommenen wissenschaftlichen Institute umgestaltet, erweitert und durch Neugründungen vervollständigt, so dass ihr System heute dem Apparat einer mittleren Universität gleichkommt, nur, dass es in dem musealen Teil und mit der Ausdehnung und Einrichtung der Krankenhäuser weit darüber hinausgreift.
Seit einigen Jahren hat die Oberschulbehörde ein öffentliches Vorlesungswesen eingerichtet, dem das Publikum aller Stände das lebhafteste Interesse entgegenbringt. Das Verzeichnis der Vorlesungen umfasst bereits alle Gebiete der Wissenschaft. Dozenten sind die Direktoren der wissenschaftlichen Institute, Geistliche, Lehrer der höheren Schulen und für einzelne Fächer Professoren deutscher Hochschulen. Die Teilnahme, mit der gerade die gebildeten Klassen diese Einrichtung verfolgen, liefert den Beweis, dass ein Bedürfnis, Anregung zu empfangen, lebhaft gefühlt wird. Wie weit sich dieses Institut entwickeln wird, steht noch dahin. Es hat bereits eine lebhafte Bewegung in Scene gesetzt, und die schon in früheren Zeiten wiederholt diskutierte Idee einer Hamburgischen Universität beschäftigt viele Köpfe. Wenn darüber debattiert wird, pflegen die kulturellen und politischen Gesichtspunkte, die dafür sprechen, in den Vordergrund gestellt zu werden, und man erinnert sich daran, dass Hamburg in dem jetzt in eine Reihe wissenschaftlicher Institute aufgelösten Akademischen Gymnasium eine Anstalt besessen hat, die im siebzehnten Jahrhundert Rang und Funktionen einer Universität besaß.
Alles deutet darauf hin, dass die Tätigkeit des Staates auf allen diesen Gebieten in Zukunft noch weitere Ausdehnung erfahren wird.
Neubildungen fallen allerdings den Organen des Staates, die nicht experimentieren dürfen, in Hamburg so schwer wie anderswo, aber es steht zu hoffen, dass hier die alte Gewohnheit der selbständigen Schöpfertätigkeit des Bürgers durch den prinzipiellen Umschwung in der Beteiligung des Staates nicht leiden wird.
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Wie überall und jederzeit, stehen auch in Hamburg zwei Generationen mit auseinandergehenden Anschauungen und Wünschen sich gegenüber.
Die ältere, die den Wohlstand der Stadt heraufgeführt hat, sieht nicht ohne Bedenken, dass die jüngere diese materielle Grundlage zum Ausgangspunkte der Entwicklung einer eigenartigen nationalen Kultur Hamburgischer Färbung wählen will. Man hatte sich, nachdem die internationale Konkurrenz die Anspannung aller Kräfte in Anspruch genommen hatte, an die Auffassung gewöhnt, Hamburg ausschließlich als ein Handelsorgan des Reiches aufzufassen und zu übersehen, was frühere Epochen in Hamburg für die deutsche Kultur geleistet haben.
Die jüngere Generation will sich damit nicht begnügen. Sie sieht in einer selbständigen Blüte der einheimischen Kunst und Wissenschaft nicht nur ein Moment vermehrten Wohlbehagens, das sich auch zur Not entbehren ließe, sondern eine politische Angelegenheit, von der das Ansehen des Staates und die Sympathie, die ihm von den anderen Gliedern des Reiches entgegengebracht wird, wesentlich mit abhängt. Und in den Imponderabilien der Wertschätzung und Sympathie im Reich hat sie hervorragende politische Faktoren erkannt, auf deren Einfluss sie nicht zu verzichten gewillt ist.
Hamburg wird im Verzeichnis der deutschen Staaten an allerletzter Stelle aufgeführt, als wirtschaftliche Macht hat es seinen Platz gleich nach den Königreichen. Dass es auch als Pflegerin deutscher Bildung, Kunst und Wissenschaft denselben Rang erlangen möge, den es in der Ökonomie der Nation innehält, das ist der Wunsch und das Streben der „Jungen“ in Hamburg.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburg - Niedersachsen