Hamburger, Hanseat, Patriot

Wie die politische und ökonomische Geschichte Hamburgs, so ist auch der Ausbau des Stadtbildes von einer einzigen Macht beherrscht, den Bedürfnissen des Handels. Und wie er Land und Wasser umgeformt hat, so dient ihm das Leben der staatlichen Gemeinschaft und des Individuums. Der Hafen ist der Herr der Stadt. Alle Bildungen im Stadtplan, die nicht von den Erfordernissen des Handels und der Industrie vorgeschrieben, waren dem Zufall und der Willkür überlassen, kein Fürstenschloss, kein Schlossgarten, kein Wildpark bildete den Kern einer großräumigen Stadtanlage, und heute erst werden Anstrengungen gemacht, einen allgemeinen Bebauungsplan durchzusetzen.

Da ist es fast ein Wunder, dass die Stadt so schön geblieben ist.


Sie verdankt es dem Naturgefühl des niedersächsischen Stammes, der ihn bewohnt. Hamburg erscheint, vom Luftballon aus gesehen, immer noch wie ein großer Park mit Häusern darin. Es ist mit seinen Wasserflächen, Wiesen, Parks und Gärten mitten im Straßennetz so weitläufig gebaut, dass es vor einigen Jahren mehr Straßenlaternen brauchte als Berlin.

Die Sehnsucht jedes Einzelnen seit Jahrhunderten ist Haus und Garten. Der Garten ist immer noch der einzige Luxus großen Stils, den sich im allgemeinen der Hamburger gönnt. Er hat seine Gärten noch immer in der eigentlichen Wohnstadt in Pöseldorf und Harvestehude, auf der Uhlenhorst, in Borgfelde und Hamm.

Die oberste Schicht hat an der Gewohnheit des Winterhauses in der Stadt und des Sommerhauses in der nächsten Umgebung bis heute festgehalten. Es gibt ein Winterhamburg und ein Sommerhamburg. Dieses erstreckt sich im weiten Bogen um den alten Kern. Wer am einen Ende der Peripherie des großen Halbkreises wohnt, hat im Sommer unter Umständen Stunden zu fahren, wenn er auf der anderen Seite zum Diner geladen ist.

Die Vorliebe der Gesellschaft für das Einzelhaus gibt dem öffentlichen Leben den Charakter, man möchte fast sagen: sie löscht es aus. Haus und Garten haben die Tendenz, die Familie wie den Einzelnen der Öffentlichkeit zu entziehen. Nach Promenaden, Stadtpark oder Korso besteht kein Bedürfnis. Hamburg hat mitten in der Stadt zahllose kleinere und größere Parks und Wiesenflächen, aber es fehlt ein Park, in dem sich Alle begegnen. Die Equipagen gehören, wie man in Hamburg übertreibend zu sagen pflegt, der Kategorie der Lastfuhrwerke an. Wer Aufwand damit treiben wollte, der fände keine Gelegenheit, ihn zu zeigen. An ihre Stelle tritt bis zu einem gewissen Grade der Luxus der Segelyacht und eines eleganten Ruderbootes. Es ist für Hamburg charakteristisch, dass abendliche Zusammenkünfte der Gesellschaft im Freien nur zu Wasser stattfinden, beim Wasserkorso vor dem Fährhaus auf der Uhlenhorst. Jeden Abend kommen dort in den Sommermonaten die Damen der umliegenden Villengelände in ihren zierlichen Booten zusammen, oft liegen dort Hunderte von Fahrzeugen, während die männliche Jugend, die sich für die Regatta trainiert, in langen Ruderbooten vorüberschießt oder es sich unter den weißen Segeln der langsam vor den Baummaßen der Ufer dahingleitenden Kutter bequem gemacht hat. Der Zoologische Garten wird von der Gesellschaft nur wenig, die populäre Vergnügungsstadt St. Pauli nie besucht.

Alles Leben spielt sich in Haus und Garten ab. Es gibt kein Kneipen- und Klubleben. Eine Ausnahme macht das sehr alte, sehr entwickelte und sehr volkstümliche Sportsleben auf den Spielplätzen, in den Ruder-, Yachtklubs und Rennklubs. Die Sportfeste bilden die Höhepunkte des sommerlichen Lebens. Ein großartigeres Schauspiel von Volksleben in so unvergleichlichem Rahmen, wie die Regatten auf der Alster, dürfte der Kontinent kaum bieten.

Nur wenige Restaurants werden von der Gesellschaft und in Begleitung von Damen besucht. Selbst nach Schluss der Konzerte und Theater pflegt alles nach Haus zu streben. Im Sommer und Winter sieht man nach neun auf dem Jungfernstieg nur Fremde.

Die weiten Entfernungen, die durch die weitläufige Bauart und die halbkreisförmige Gestalt des Stadtplanes bedingt sind, und die unzulängliche Entwicklung der peripherischen Verbindungen — bei ganz vorzüglichen radialen — erschweren jeden Verkehr.

Mit diesen Zuständen hängt es zusammen, dass auf den Straßen fast gar kein Luxus zu sehen ist. Nichts Einfacheres als die Straßentoilette der Damen. Die Hamburgerinnen tragen Uniform, heißt es in Berlin. Dass kein Hof in Hamburg die Leichtigkeit der Verkehrsformen entwickelt hat, spürt man im geselligen Verkehr und in dem abgeschlossenen Wesen des Einzelnen, das von Fremden als Unzugänglichkeit empfunden wird.

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Der Großhandel beherrscht auch das Leben des Einzelnen und lässt ihn von dem Tage, wo er als halber Knabe den Fuß ins Comptoir gesetzt hat, bis zu seinem Tode nicht los. Es ist nicht Sitte, sich vom Geschäft zurückzuziehen, so lange die Kräfte reichen. Der Rentier ist ein unbekannter Begriff. Alles arbeitet. Nicht selten kommt es vor, dass auf demselben Comptoir drei Generationen derselben Familie tätig sind.

So wächst die Jugend in engster Berührung mit der älteren Generation heran, deren Einsicht ihr unmittelbar zu gute kommt, und das Alter, das die Erfahrung besitzt, hat die Jugend neben sich, in deren Wesen die Initiative überwiegt. Der Lebenswunsch des französischen Kaufmannes, die Million und der Ruhestand vom fünfzigsten Jahre ab, ist dem hanseatischen Kaufmann unbekannt. Als seine Lebensaufgabe sieht er die Konsolidierung und Entwickelung seiner Firma an und die sachgemäße Schulung seines Nachfolgers. Nach altem Hamburgischen Recht steht er mit allem, was er hat und ist, für sein Tun und Lassen ein. So hart es im einzelnen Falle einmal treffen mag, kennen Sitte und Recht keinerlei Festlegung von Kapitalien für die Sicherstellung der Familie, die dem amerikanischen und englischen Kaufmanne einen festen Rückhalt gibt. Bei allem, was er unternimmt, hat der hanseatische Kaufmann zu bedenken, dass sogar das mitgebrachte Gut seiner Frau verloren ist, wenn er sich verrechnet hat.

Auch der Bildungsgang des Kaufmannes weicht durchaus ab von dem, was man im übrigen Deutschland gewohnt ist Nicht Gymnasium und Realgymnasium, sondern in sehr vielen Fällen eine Privatschule gibt die Grundlagen. Der „Einjährige" ist das auch im übrigen Deutschland verständliche Bildungsziel der Mehrheit Die Schule wird früh verlassen, meist um das 16. Lebensjahr herum. Dann folgen drei Jahre Lehrzeit — Jeder muss von der Pike an dienen — das Dienstjahr und ein längerer Aufenthalt in England, Frankreich und, je nach den Geschäftsverbindungen, in irgend einem überseeischen Weltteil, meist mit einer Reise um die Welt verbunden.

Von den umfassenden Kenntnissen eines Hanseatischen Großkaufmannes macht man sich im Inlande nur schwer einen Begriff. An Quantität des zu verarbeitenden Stoffes, von dessen richtiger Beurteilung, was nicht zu vergessen, Ehre und Existenz abhängen, an Umfang und Vielseitigkeit des Gebietes, das nicht nur gekannt, sondern beherrscht sein muss, kommen ihm wenige Gelehrte gleich.

Die Sitte, hinauszugehen, besteht nicht nur für die weniger bemittelte Klasse, die ihren Weg erst machen will, sondern sie ist ebenso verbindlich für die Söhne der wohlhabenden und reichen Familien. Und man geht nicht nur auf eine kurze Orientierungsfahrt über den Ozean, sondern meist auf Jahre. Das Lebensalter von 20 — 30 ist in einer Hamburger Gesellschaft selten zu treffen. In vielen großen Häusern pflegt seit Generationen einer der Söhne durch ein Jahrzehnt die Filiale an einem überseeischen Handelsplatze zu leiten. Der Hamburger Kaufmannsstand verdankt dieser Gewohnheit seine innige Vertrautheit mit den Bedürfnissen und Zuständen aller überseeischen Länder der Welt, sowie eine umfassende und eingehende Personenkenntnis. Diese hat für den Hamburger Handel eine ganz besondere Bedeutung. Sie ist die Basis der eigenartigen, auf persönlichem Vertrauen beruhenden Kreditverhältnisse, durch die die Hamburger Firmen auf die emporstrebenden Länder, mit denen sie in Verbindung stehen, einen so außerordentlichen Einfluss ausüben. Ein beträchtlicher Teil ihres Erfolges im Kampfe mit der englischen und französischen Kaufmannswelt beruht auf diesem Vertrauensverhältnis. — Dass oft endlose Entbehrungen und große Gefahren mit dem Leben im Auslande verknüpft sind, darf nicht übersehen werden. In allen Familien lassen ich Opfer zählen, die das mörderische Tropenklima gefordert hat, und wer zurückkehrt, hat oft jahrelang mit den Leiden zu kämpfen, denen unsere Konstitution in den heißen Zonen ausgesetzt ist. Auf diesem Schlachtfelde sind im letzten Jahrhundert zahllose Pioniere Deutschlands aus Hamburger Familien gefallen, und dass der kleine Freistaat an der Elbe den Handelsmächten des Auslandes gegenüber aus eigener Kraft sich hat behaupten können, das dankt er nicht in letzter Linie dieser sang- und klanglos dahingesunkenen Schar. Bestände die Sitte , die Namen der im ökonomischen Kampfe Gebliebenen auf Gedächtnistafeln der Nachwelt aufzubewahren, die Wände aller Kirchen der Stadt würden nicht Platz genug bieten, sie unterzubringen.

Bis gegen das vierzigste Jahr pflegt das Geschäft den Mann ausschließlich in Anspruch zu nehmen. Wer dann noch Lust und Kraft in sich fühlt und das besondere Vertrauen seiner Mitbürger genießt, tritt in die Staatsverwaltung und Regierung als ein Mann von gereifter Erfahrung. Auch hier dient er von unten auf. Wer das höchste Ziel anstrebt, den Sitz im Senat, lernt als Mitglied der Bürgerschaft und eines der Ministerien (Baudeputation, Finanzdeputation) die Verwaltung des Staates praktisch kennen.

Durch die Gemeinsamkeit der Interessen und die gemeinsame Tätigkeit in Verwaltung und Regierung ist der Juristenstand mit dem des Kaufmannes enger als anderswo verbunden. Und zwar sind es nicht die juristischen Beamten, sondern die Anwälte, die den größten Einfluss ausüben. Aus ihrer Mitte, nicht aus den Beamten, pflegen die juristischen Senatoren erwählt zu werden, und aus diesem Teil des Senates gehen fast ausnahmslos die regierenden Bürgermeister hervor.

Juristen und Kaufleute haben auch in der Hamburger Gesellschaft die Vorherrschaft. Seltener begegnet man darin dem Vertreter der Wissenschaft, noch seltener dem Künstler und fast nie dem Schriftsteller.

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In den letzten fünfzig Jahren hat sich das Leben des Kaufmannes vollständig neu aufgebaut.

Bis gegen 1840 war seine Tätigkeit intermittierend und ließ ihm viel Muße zur Pflege geistiger Interessen. An den Posttagen steigerte sich die Tätigkeit. Im Übrigen gab es Ruhe. Der Kaufmann war Besitzer seiner Waren, er kaufte, lagerte und verkaufte.

Mit dem Aufkommen des Dampfschiffes, der Eisenbahn und des Telegraphen änderte sich die Lage von Grund aus. Neben dem Kaufherrn alten Stils erhob sich der neue Typus des Spediteurs, der die Waren nicht mehr besitzt. Nun wurde jeder Tag zum Posttag. Mit verhältnismäßig geringen Mitteln musste der Konkurrenz Englands und Frankreichs begegnet werden, deren Kaufmannschaft unerschöpfliche Hilfsquellen im Nationalvermögen zur Verfügung hatte. Was in Hamburg an Mitteln fehlte, musste durch Mehrarbeit eingebracht werden. Auf diesem Wege und durch die vorübergehende Auswanderung der besten Elemente wurde u. a. der Handel der spanischen Kolonien in Amerika für Deutschland gewonnen. Und weil daheim der Tag vom frühen Morgen bis in die Nacht — manche arbeiteten bis nach zehn Uhr — dem Geschäft gehörte und drüben die Möglichkeit der Pflege künstlerischer Interessen gering war, ging die Kraft und Intelligenz dieser Generation der deutschen Kulturarbeit scheinbar verloren.

Ein äußeres Zeichen für den Wandel der Zeiten: Bis gegen 1860 war fast der gesamte durch Generationen gepflegte und vermehrte Hamburgische Kunstbesitz an Bildern alter Meister unter den Hammer gekommen und in alle Winde geweht. Nach Hunderten zählten die Auktionen.

Man hat den Hamburgern dieser Generation vom Inlande aus oft den Vorwurf materieller Gesinnung gemacht. Wie so vieles, das über Hamburg gesagt wurde, beruht auch dieses Urteil auf Unkenntnis oder Verkennen der Sachlage. Die bürgerliche Gesellschaft des Inlandes war — und ist noch — um kein Haar idealistischer gesonnen, nur dass ihr Materialismus andere Formen hat. Und wenn man überschaut, was das Bürgertum Hamburgs im letzten Jahrhundert aus sich heraus für die Förderung des öffentlichen Wohles geleistet hat, so fragt sich sehr, ob es irgend eine deutsche Stadt gibt, die auf den Vortritt Anspruch machen könnte.

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Was in den übrigen deutschen Staaten für Kunst und Wissenschaft geschehen ist, ging vom Fürsten aus, war ein Ausbau von Grundlagen, die er gelegt hatte, oder geschah unter der Ägide der Organe des Staates, der die Erbschaft des absoluten Fürstentums angetreten hatte.

In Hamburg hatten bis vor ganz kurzer Zeit die Organe des Staates in Kulturdingen keine Initiative.

Für den Staat trat der Bürger ein. Auf allen Gebieten war der Hergang derselbe. Stellte sich irgendwo ein Bedürfnis heraus oder ließ es sich voraussehen, so trat ein einflussreicher Mann mit seinen Freunden zu einem festgefügten Verein oder zu einem loser verbundenen Komitee zusammen, warb um Mittel, gründete das Institut, organisierte die Verwaltung, führte sie so lange weiter, wie es mit Privatmitteln möglich war, und übergab sie dann dem Staate.

Dieser Weg mag seine Schattenseiten haben, aber man wird ihn nicht geringachtend behandeln dürfen. Wo könnten Beamte des Staates so frei und unakademisch die Form für das Neue finden wie die unabhängigen, durch keine Rücksichten gehinderten Bürger! Was verfehlt oder nicht recht lebensfähig war, ging spurlos zu Grunde und brauchte nicht, wie eine Gründung des Staates, Generationen hindurch künstlich erhalten zu werden.

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Diese Form der Neubildung ist so typisch für Hamburg, dass die wichtigste der vielen Gesellschaften, die sich gemeinnützige Aufgaben gestellt hatten, mehr als ein Jahrhundert lang Hamburg geradezu regiert hat. Es gab Zeiten, in denen ihr Einfluss tatsächlich weiter reichte als irgend ein Organ des Staates.

Freilich lebte sie im Grunde nur in einer umgewechselten Dekoration: in ihrem Vorstande saßen dieselben Männer, die im Senat und in der Bürgerschaft durch die starren Formen des Verfassungslebens am freieren Wirken behindert wurden.

Von 1765, ihrem Gründungsjahre, bis gegen 1870 war die Gesellschaft zur Förderung der Künste und nützlichen Gewerbe etwas wie ein freiwilliges Kultusministerium, das zugleich die Funktionen eines Parlaments ausübte. Bis 1859 boten ihre Versammlungen die einzige Möglichkeit, Hamburgische Angelegenheiten öffentlich zu besprechen. Die Sitzungen der Erbgesessenen Bürgerschaft fanden unter dem Siegel des Amtsgeheimnisses statt, und es wurden nur ihre Beschlüsse veröffentlicht. — Beim Wiederaufbau der Stadt überließ der Staat der Gesellschaft den Platz, an dem das Rathaus gestanden hatte, zur Errichtung ihres Klubhauses, und bis zur Vollendung des neuen Rathauses tagt die Bürgerschaft in den Räumen des „Patriotischen Hauses".

Dies zeugt von dem unbegrenzten Ansehen und Vertrauen, dessen die Gesellschaft sich erfreute.

Von den Behörden, denen in anderen Staaten ihre Tätigkeit obliegt, unterscheidet sie sich durch ihre Organisation, die nicht auf die Verwaltung, sondern auf die Initiative gestellt ist.

Was die „Patriotische Gesellschaft", wie der Volksmund sie in ehrender Kürze nennt, geleistet hat, lässt sich nicht leicht überblicken. Von ihr sind beinahe alle Unternehmungen zur Förderung der kulturellen und ökonomischen Wohlfahrt ausgegangen. Sie gründete die gewerblichen Lehranstalten und leitete sie ein Jahrhundert hindurch, bis der Staat sie in die Gewerbeschule umwandelte, deren Organisation für die Berliner Anstalten das Vorbild abgab; zu einer Zeit, wo die neuen Gedanken sich langsamer verbreiteten und die moderne Konkurrenz noch nicht erwacht war, machte sie alle Verbesserungen im Landbau, Gartenbau, in der Schifffahrt und Industrie bekannt, und wo immer sich ein Bedürfnis zeigte, erließ sie Preisausschreiben für Lösungsvorschläge-, sie hat das Armenwesen reorganisiert, gründete die ersten Rettungsanstalten für Schiffbrüchige, die allgemeine Versorgungsanstalt, die Kreditkasse für den Grundbesitz, sorgte für die Verbesserung des Adressbuches, gründete die Stadtpost, richtete öffentliche Badeanstalten ein — die ersten in Deutschland — , gründete das erste Seebad, die erste Korndampfmühle, entwarf die Pläne für die Navigationsschule und die Sternwarte, erließ am Anfange unseres Jahrhunderts ein Preisausschreiben für die Kanalverbindung zwischen Elbe und Weser, gründete eine Bibliothek, ein Leseinstitut, den Bildungsverein für Arbeiter und ist bei der Gründung des botanischen Gartens, der Kunsthalle, des Museums für Kunst und Gewerbe beteiligt, wie sie auch das Ausstellungswesen in Hamburg begründet hat.

Gegen 1870 hatte der Staat fast alle ihre Institute übernommen. Dann trat sie begreiflicher Weise eine Zeit lang vom Schauplatz ab, bis sie in jüngster Zeit auf sozialem Gebiete neue Aufgaben gefunden hat. Sie hat eine Anstalt für Arbeitsnachweis gegründet und einen Ausschuss für Arbeiterwohlfahrt eingesetzt, der namentlich die Wohnungsfrage prüfen soll. Sodann hat sie sich die Einrichtung von öffentlichen, über Stadt und Vororte verteilten Bibliotheken und Lesehallen vorgenommen und sucht die Blumenpflege in der Familie des weniger Bemittelten zu fördern. Für das Jubelfest der Einweihung ihres Hauses, das in diesem Jahre bevorsteht, verheißt sie die langersehnte geschichtliche Darstellung ihrer Wirksamkeit in den hundertzweiunddreißig Jahren ihres Bestehens.

Die lebende Generation konnte sich nur schwer ein Bild von ihrer umfangreichen Tätigkeit machen und von dem angeregten Leben, das sie zur Zeit ihrer Blüte entfaltete. Wer heute den Organismus einer solchen Gesellschaft am lebendigen Körper studieren will, muss nach Lübeck gehen, wo die Gemeinnützige Gesellschaft aus Privatmitteln noch fast alle von ihr ins Leben gerufenen Anstalten verwaltet, Neugründungen unternimmt und zugleich den Mittelpunkt eines überaus regen geistigen und geselligen Lebens bildet. Es wäre eine nützliche Aufgabe für einen Nationalökonomen, die Wirksamkeit dieser Gesellschaften einmal in einer lebendigen Schilderung darzustellen.

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Die Patriotische Gesellschaft stellt in Hamburg den höchstentwickelten Typus der Vereinigung privater Kräfte für die Förderung des öffentlichen Wohles dar. Neben ihr wirken zahlreiche Vereine und Gesellschaften für besondere Zwecke, und darüber hinaus bemüht sich der Gemeinsinn des Einzelnen, erkannten Bedürfnissen abzuhelfen. Zahllos ist die Reihe der milden Stiftungen, die allen denkbaren Zwecken dienen und zum Teil in ferne Epochen zurückreichen. Es ist bezeichnend, dass die Paläste der milden Stiftungen aller Art, die hie und da ganzen Stadtvierteln den Charakter aufdrücken, eines der Hauptgebiete der monumentalen Baukunst in Hamburg ausmachen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburg Niedersachsen – Städtestudien