Hafen, Schiff und Schifffahrt

Es muss ein wertvoller Fleck Erde sein, auf dessen Umgestaltung seit Jahrhunderten solch unberechenbare Summen von Intelligenz, Arbeit und Geld, so viele diplomatische und kriegerische Kämpfe von den Bewohnern aufgewandt worden sind, und den sie im siebzehnten Jahrhundert, als der große Krieg ausgebrochen war, durch die stärksten damals denkbaren und noch dazu auf ungünstigem Boden angelegten Festungswerke schützten, mit Wällen wie Hügelreihen, hinter denen Türme verschwanden, und Stadtgräben gleich tiefen Tälern.

Im neuen Hafen liegt neben dem weiten Becken des Segelschiffhafens das Bassin für die langen Oberländer Kähne; Hamburg ist der Ort, den die flachen Kähne aus Sachsen und Österreich vom Wellengang ungefährdet erreichen können, und bis zu dem die Flutwelle die Seeschiffe heraufträgt. Alle Anstrengung war seit Jahrhunderten darauf gerichtet, die Qualität des Hafens als Ort der Umladung vom See- ins Flussschiff intakt zu erhalten und zu steigern. Dass es bis heute trotz der wachsenden Ansprüche gelang, ist ein halbes Wunder. Hätte eine einzige Generation die Kraft erlahmen lassen, so wäre die Verbindung auf immer zerrissen.


Dies ist auch die wichtigste Ursache, dass Konkurrenzstädte am unteren Elbstrom sich nicht entwickeln konnten, und dass Hamburg bisher noch nicht genötigt war, sich selbst eine Konkurrenzstadt zu gründen wie Bremen in Bremerhaven. Hamburg ist einer der wenigen Häfen der kurzen ozeanischen Küstenstrecke eines mächtigen Reiches, der zugleich als einer der Häfen Österreichs und sogar Russlands zu gelten hat. Für Österreich übersteigt die Bedeutung des Hamburger Hafens die von Triest.

Wenn man überblickt, was die Bürger im Laufe der Jahrhunderte unternommen haben, um ihrer Stadt den Boden zu sichern, den sie zur Entwickelung nötig hatte, so wäre man fast geneigt, einen Instinkt anzunehmen, der die Bedürfnisse der Zukunft voraus empfindet. Auf großen Gebietserwerb konnte man nicht ausgehen, denn der Schutz hätte einen bedeutenden Teil der Kraft absorbiert, und der Umfang die Begehrlichkeit der benachbarten Fürsten gereizt. Dafür wurde um so energischer erkämpft und festgehalten, was für die Ausdehnung und Sicherung des Handels nötig erschien: das schon vor fünfhundert Jahren eroberte Kap der Elbe, wo jetzt Cuxhaven zu einer neuen Hafenstadt ausgebaut wird, die Elbinseln vor der Stadt, auf denen ein Teil des Freihafens liegt, und lange Strecken Uferlandes die Elbe, Alster und Bille hinauf. An der Altonaer Seite, wo das hohe Elbufer sich unmittelbar aus dem Strom erhebt, verzichtete man auf Gebietserweiterung: und hier konnte ein Konkurrenzhamburg entstehen, seinem Ursprünge nach bezeichnender Weise nicht eine Rivalin der Handelsstadt — das ist sie innerhalb der durch die Natur gegebenen Grenzen erst seit einem Menschenalter geworden — , sondern eine Karte, die gegen den Hamburger Gewerbestand ausgespielt wurde. Die flachen Elbinseln Altona gegenüber gehören weit den Strom hinab wieder zu Hamburg, ein Raumvorrat für die künftige Entwickelung des Hafens.

Das Geheimnis der Zähigkeit, mit der durch die Jahrhunderte hindurch dieselben politischen Grundsätze verfochten und dieselben Ziele angestrebt wurden, dürfte in der Stellung und Organisation des Senates liegen. Seine Mitglieder werden durch ein sehr kompliziertes Wahlsystem auf Lebenszeit gewählt, wodurch sich innerhalb des Körpers, der die Souveränität des Staates vertritt, eine feste Tradition in der Auffassung und Behandlung der wichtigsten Fragen bilden kann, und wodurch die Stellung des Senates und seiner einzelnen Mitglieder nach innen und außen ihren Charakter erhält.

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Vor hundert Jahren war Deutschlands direkter Anteil am überseeischen Handel sehr gering. Die Hamburger hatten eben begonnen, direkte Verbindungen mit Nordamerika anzuknüpfen, wo ihnen die politische Konstellation während des Unabhängigkeitskrieges und nachher günstig gewesen war.

Heute ist die Dampferflotte der Hamburger Reederei an Transportfähigkeit so groß wie die von ganz Frankreich, und es scheint, als ob sie noch in diesem Jahre darüber hinauswachsen würde.

Diese gewaltigen Umwälzungen hat auf dem eng begrenzten, von Menschenhand tausendfach umgemodelten Fleck Erde die Arbeit dreier Generationen der Bewohner eines kleinen, auf sich selbst gestellten Staatswesens vollbracht, ohne Subventionen eines großen Reiches, wie sie den französischen Reedereien so reichlich zur Verfügung standen. Die größten Fortschritte hat die letzte Generation gesehen. Bis 1865 musste sich Hamburg mit der alten offenen Reede behelfen, wo die Schiffe mitten im Fluss an starken Pfählen (Duc d'alben genannt) befestigt waren. Erst von dieser Epoche ab beginnt die neue Zeit mit den unendlichen Hilfsmitteln für Löschen und Laden, die die modernen Quais bieten.

Von den vier größten Dampfschiffslinien der Welt besitzt Deutschland zwei. Die bedeutendste, die es gibt, die „Packetfahrt", ist in Hamburg beheimatet, die dritte ist der Bremer Lloyd. Die englische P- und O-Linie hat ihre führende Stellung der großen Hamburger Gesellschaft abtreten müssen, während die bedeutendste französische Linie, die Messagerie, erst an vierter Stelle steht.

Seit 1890— 1891 hat die „Packetfahrt" die stärksten Impulse gegeben. Wie überwältigend rasch die Entwicklung geht, lässt sich aus der Geschichte ihrer Flotte des D-Typus ersehen. Das Vorbild bot 1890 — 1891 die Dania, von der alle nach demselben Typus erbauten Schiffe der Gesellschaft einen mit D anfangenden Namen tragen. Es war die erste Flotte von Doppelschraubendampfern. Sie haben eine Transportfähigkeit von 5 — 6.000 Tons und verbrauchen 50 — 55 Tons Kohlen täglich. Ihr Wert lag in der großen Transportfähigkeit bei verhältnismäßig geringem Kohlenverbrauch, und sie galten, als die Dania gebaut wurde, auf lange Zeit als das denkbar Vollkommenste.

Heute sind sie veraltet. Die Packetfahrtgesellschaft hat sie aus der Nordamerikalinie entfernt und lässt die ganze D-Flotte von Genua nach Argentinien laufen.

An die Stelle des D-Typus ist der P-Typus getreten, nach der Persia benannt, der bei 9 — 12.000 Tons Transportfähigkeit nur 75 — 95 Tons Kohlen den Tag verbraucht. Das auf der Werft von Blohm und Voss in Hamburg im Bau befindliche Schwesterschiff der Pensylvania hat von allen Schiffen der Welt die größte Wasserverdrängung. Man darf jedoch nicht denken, dass die Schiffe des P-Typus besonders langsamer als die Schnelldampfer fahren, der Unterschied beträgt nur etwa drei Tage.

Auch im Bau der Segelschiffe hat die jüngste Epoche gewaltige Neuerungen eingeführt Das größte Segelschiff der Welt, die Potosi der Firma Laeisz in Hamburg, hat 6.000 Tons Transportfähigkeit und braucht zur Reise nach Chili mit Einschluss des Lösch- und Ladeaufenthaltes im fremden Hafen nur sechs Monate, also kaum mehr als ein Dampfer.

Dass sich ähnliche Steigerungen auch bei dem Bau der Flusskähne geltend machen, versteht sich eigentlich von selbst. Gegen das größte Kaliber von heute mit seinen 1.200 Tons sind die größten Flusskähne der vergangenen Epoche, die über 200 nicht hinausgingen, Zwerge zu nennen.

Die gegenwärtige Situation wird durch die Tatsache charakterisiert, dass Hamburg das größte Dampfschiff, das größte Segelschiff und — in der Werft von Blohm und Voss — das größte und besteingerichtete Dock der Welt besitzt.

Dass diese Leistung nicht ohne den Hintergrund und die Beihilfe, die der Arbeit der letzten Generation das Reich bot, vollbracht werden konnte, sieht ein Kind. Aber sie kam nicht nur Hamburg zu gute, sondern eben sosehr dem Reich.

Von den einzelnen Taten, aus denen sich das mächtige Fazit ergibt, erfährt die Welt kaum oder nur vage. Die Namen der Männer, deren Gedanken und Werke die großen Fortschritte bestimmen, kennt und nennt im Reich selten jemand. Dass Energie, Talent und sogar Genie auch hinter dieser nationalen Großtat stecken, wird oft übersehen. Nur wenn eine neue Staffel erstiegen ist, meldet es vielleicht eine Notiz unter den vermischten Nachrichten als eine schwer zu kontrollierende Tatsache, etwa dass der „Hamburger Handel nunmehr auch den von Liverpool" überflügelt habe.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburg Niedersachsen – Städtestudien
01. Row of buildings of the Free Port Warehousing Company

01. Row of buildings of the Free Port Warehousing Company

02. Transportation map of Germany

02. Transportation map of Germany

03. Hamburg freighter, being served by barges and lighters.

03. Hamburg freighter, being served by barges and lighters.

04. The Steekelhorn, one of Hamburg’s ancient canals

04. The Steekelhorn, one of Hamburg’s ancient canals

05. The „Kaiserin Auguste Victoria“.

05. The „Kaiserin Auguste Victoria“.

06. Hamburg freighter at a pier, discharging.

06. Hamburg freighter at a pier, discharging.

07. Pier cranes discharging cargo at Hamburg.

07. Pier cranes discharging cargo at Hamburg.

08. Church in the emigrant village at Hamburg.

08. Church in the emigrant village at Hamburg.

09. The „Deutschland“

09. The „Deutschland“

10. View looking into the main basin of the Hamburg-American Line.

10. View looking into the main basin of the Hamburg-American Line.

11. Launching of the „Fürst Bülow“.

11. Launching of the „Fürst Bülow“.

12. The „Imperator,“ the Hamburg-American’s new monster liner.

12. The „Imperator,“ the Hamburg-American’s new monster liner.

13. River terminal at Torgau on the Elbe. River scene on the Elbe at Magdeburg.

13. River terminal at Torgau on the Elbe. River scene on the Elbe at Magdeburg.

14. River scene on the Elbe at Laube-Tetschen. Pier crane in the river port at Torgau on the Elbe.

14. River scene on the Elbe at Laube-Tetschen. Pier crane in the river port at Torgau on the Elbe.

15. The levee at Saint Louis. A cotton landing on a tributary of the Mississippi.

15. The levee at Saint Louis. A cotton landing on a tributary of the Mississippi.

16. Loading a trainload of cable direct from cars into steamer.

16. Loading a trainload of cable direct from cars into steamer.

17. Elbe barges being discharged at a steamship pier at Kuhwärder.

17. Elbe barges being discharged at a steamship pier at Kuhwärder.

18. Map of the harbor at Hamburg.

18. Map of the harbor at Hamburg.

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