Bayerisches Bier

Vor Jahr und Tag trat eine Anzahl angesehener Männer, deren Namen an der Börse schwer ins Gewicht fallen, zusammen, um aus Aktien eine Gesellschaft zu gründen, die eine Bierbrauerei nach bayerischem Muster in großem Style anzulegen beschloss. Was solche Matadore der Börse wollen, geschieht in der Regel, da der nervus rerum ihnen stets zu Gebote steht. Das Unternehmen kam also sehr bald zu Stande. Das sehr bedeutende Kapital wurde durch Aktien zusammengebracht, ein passendes Stück Land unter annehmbaren Bedingungen vom Staate auf St. Pauli erworben, und die neue Bierbrauerei wuchs wie durch Zauberkräfte schnell aus der Erde empor. In diesem Augenblick ist dieses kolossale, in geschmackvollem Styl aus roten Backsteinen ausgeführte Gebäude die Zierde von St. Pauli. Es liegt unfern der Elbe auf dem hohen Nordrande des Ufers, welcher sich weiter nördlich dem sogenannten Spielbudenplatze anschließt. Die Tummelplätze der Matrosen aus allen Zonen, die stark frequentierten Tanzsalons, von denen sich interessante Geschichten erzählen ließen, befinden sich in nächster Nähe. Das Gebäude mit seinem der Elbe zugekehrten turmähnlichen, aber breiten Mittelbau, an den sich die übrigen Baulichkeiten nebst den langen Flügeln anschließen, sieht einem Schlosse ähnlicher als einer Brauerei. Nur der mächtige Schornstein mit seinem nachtdunkeln Steinkohlenqualm kennzeichnet es als ein der modernen Industrie dienendes Gebäude. König Gambrinus — es lässt sich nicht mehr verheimlichen — hat mit seinem schäumenden Gerstensafte Gott Bacchus entschieden den Rang abgelaufen. Deshalb dürfte der neuen, aus Aktien gegründeten Bierbrauerei ein sehr günstiges Prognostikon zu stellen sein, besonders wenn sie gleich zu Ansang ein gesundes und reines Hopfenbier liefert. Was schon seit Jahren hierorts und wohl auch an sehr vielen andern Orten in unserem Norden als sogenanntes bayerisches Bier verkauft wird, enthält zum Teil gewiss Ingredienzien, unter denen sich wohl nur sehr vereinzelt ein aromatisch duftendes Büschel ächten Hopsens vorfinden dürfte. Allein die Welt hat Durst, und die Mehrzahl der Dürstenden vertilgt alles Nasse, wenn es nur goldfarben glänzt und unter dem zinnernen Deckel der verlockende milchweiße Schaum dem etwas zweifelhaften Getränke nicht fehlt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburg, Juni. 1864