HALLE A. S. Pr. Sachsen Saalkreis.

Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Bd.1, Mitteldeutschland
Autor: Dehio, Georg (1850-1932), Erscheinungsjahr: 1914
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HALLE A. S. Pr. Sachsen Saalkreis.

Dom (zum ehem. Moritzstift). 1520-23 durch Kardinal Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Mainz und Magdeburg, aus einer Dominikaner-K. der Zeit um 1300 ohne tiefgreifende Veränderungen umgebaut. Eingehende Untersuchung steht noch aus. Nicht unwahrscheinlich jedoch geht die bestehende Hallenanlage auf den ersten Bau zurück, sicher der ganze Chor (totale L. 68 m). Das Äußere ist in Tradition der Bettelordenskirche turmlos. Das Dach nach den 3 Schiffen zerlegt, über den Abseiten in dichter Reihung Renss.-Zwerchhäuser (Backstein) mit 1/2 kr. Giebeln. — Von erheblichem kunstgeschichtlichem Interesse die plastische Ausstattung. Mit ihr hielt die Renaissance ihren Einzug in Obersachsen. Die erstaunlich kurze Zeit der Ausführung (1523 [pg 167] bis 1526) setzt eine stark besetzte Werkstatt voraus. An ihrer Spitze stand als Figurenbildhauer, doch auch als Dirigent des Ornaments, ein Schüler Hans Backofens aus Mainz (wohl von demselben die Kreuzigungsgruppe in Hessental von 1519). Auch das Material (Tuff) ist rheinisch. An den Portalen trat ein Architekt hinzu, der eingehende und verständnisvolle Studien in der Lombardei (Certosa, Como) gemacht hatte. 1. Die zwei Weihetafeln an der NWand des Innern, bez. 1523, das prachtvolle Wappen des Kardinals in Ädikula, dazu die hll. Erasmus, Moritz und Magdalena. 2. Sakristeitür und südl. Außenportal bez. 1525. 3. Kanzel bez. 1526, nicht groß, aber von höchstem plastischem Reichtum. 4. An den Pfeilern des Inneren großartiger Statuenzyklus (Christus, elf Apostel, Paulus und Mathias und die drei Titelheiligen der K.); die reiche Abwechslung der Körper- und Gewandmotive, die eindringende Charakteristik der Köpfe, das ganze Pathos der Empfindung und das malerische Formgefühl, dies alles ist im Wesen schon barock. [Die vom Kardinal gestifteten mobilen Kunstwerke kamen, als Halle die Reformation annahm, nach Aschaffenburg; Grünewalds Tafel mit den hll. Erasmus und Mauritius jetzt in der Pinakothek zu München.] Chorgestühl von spgot. Charakter mit einigem Renss.Einschlag. Emporen und Altar M. 17. Jh.

Markt-K. U. L. Fr. Ursp. standen hier dicht hintereinander 2 Kirchen, S. Marien und S. Gertruden. Kardinal Albrecht von Brandenburg ließ sie 1529 abbrechen bis auf die Türme und verband diese durch einen Neubau, das jetzige Lhs. Charakteristisches Werk der spätesten Gotik im Anschluß an die Schule des sächsischen Erzgebirges. 3sch. schlanke Hallenkirche von 10 schmalen Jochen; die Sschiffe noch einmal geteilt durch eingebaute steinerne Emporen. 8eckige Pfll. mit glatten, im Gr. konkav gekrümmten Flächen. Das wirre Rippenwerk der Netzgewölbe hat keine struktive Bedeutung mehr und verschmäht auch formal jeden Zusammenhang mit den Stützen. Ein gesonderter Chor fehlt. Das östl. Turmpaar (vor der Marien-K.) sprom., Obergeschosse got., durch eine Brücke verbunden. Die Hauben von 1551 aus Spgotik und Renss. gemischt, interessant als Vorstufe zu dem norddeutschen Bar.Typus. Im W die »blauen Türme«, spgot. mit rom. Resten, ihre Helme entwickelten sich ehemals aus einer Krönung von 8 kleinen Giebeln, die 1913 auf Grund eines alten Modells der Kirche (ca. 1695-1704) wieder hergestellt sind. Das Hauptportal ein Muster jener komplizierten Stabwerkverflechtungen und Überschneidungen, in denen sich besonders die sächsische

Schule gefiel. In den Profilen der Rippen und der Fenstergewände herrschen matte Hohlkehlen. Die steinernen, ehemals reich bemalten und vergoldeten Emporen (von Nickel Hofman 1550-1554) geben eine interessante Verbindung von got. Strukturformen mit renss. Ornament. Eine zierliche, doch höchst verzwickte, lediglich mit geometrischem Ornament rechnende Komposition ist die Kanzel aus Sandstein; der Meister sucht nach neuen Formen, aber kommt von den alten nicht los. Ausgeprägte Renss. in dem Tafel- und Stuhlwerk über den Emporen, 1562-1575 von Ant. Pauwart aus Ypern in Flandern. Die weiteren Wandlungen des Ornaments veranschaulichen die Bräutigamsstühle, eine ausgezeichnete Arbeit von 1595. Aus derselben Zeit der originelle Schalldeckel der Kanzel (1596). Taufkessel 1430 gegossen in Magdeburg von Ludolf v. Braunschweig u. s. Sohne Heinrich. Großer Wandelaltar mit je 3 Flügeln, in allen Teilen gemalt, 1529 von einem Cranachschüler. An der OWand des nördl. Ssch. Tafelbild, Christus die Wechsler vertreibend, bez. 1498, in der Sakristei gotischer Schrank mit reichem Beschlagwerk.

Moritz-K. Hallenkirche von 8 schmalen Jochen bei breitem Msch.; Schluß mit 3 Polygonalchören in gleicher Flucht. Die 4 OJoche und der Chor 1388 ff.; die westl. Hälfte (an Stelle des bis dahin bestandenen rom. Sch.) M. 15. Jh. Die beabsichtigten westl. Doppeltürme nicht ausgebaut. Die Gwbb. 1557 rest. Im Äußeren sind die Strebepfeiler der östl. Hälfte mit Stäben, Giebeln und blinden Fialen überreich dekoriert; die westl. einfach; die Fenster mit Eselsrücken und Scheitelblumen. — Im Innern mehrere Steinskulpturen von Konrad v. Einbeck (welcher auch die äußere Dekoration der östl. Teile geleitet hat, von ihm hier vor allem figurierte Konsolen über den Chorfenstern z. B. auf 6 Konsolen verteilt, Anbetung des Kindes, nur das Kind in ganzer Figur, alles andere in Kopfdarstellungen): an einem Pfl. S. Moritz v. 1411, derbe Figur in genauer Zeittracht; in der SOVorhalle Eccehomo von 1416, im Nackten aufmerksame Naturbeobachtung, klagende Maria und Christus an der Martersäule und ein Relief mit der Anbetung der drei Könige — alles mit Künstlerinschrift. Eine Büste im nördl. Nebenchor, von höchst bmkw. Energie der Individualisierung, gilt für Konrads Selbstbildnis, ist aber erheblich jünger. — Altar: Mensa mit rom. Ornament, großes und wertvolles Retabel mit 3fachen Flügeln, im Mittelschrein Schnitzfiguren, die Gemälde 1511 von Georg Jhener von Orlamünde. — Steinerne Kanzel mit ausgedehnten Reliefs [pg 169] in konventionell italisierendem Stil, 1592 von Zacharias Bogenkrantz; Schalldeckel 1604.

Ulrichs-K. Zum ehemaligen Kloster der Marienknechte (Serviten). Spgot. unsymmetrische Halle; es fehlt das südl. Ssch.; beg. 1339, Gwb. in Netzform 1510. Tympanon (Marientod) 14. Jh. — Einfaches modern ergänztes Chorgestühl E. 14. Jh. Taufkessel v. 1430, ähnlich dem der Markt-K. und von denselben Meistern. — Altar: Mensa mit blindem got. Maßwerk bald nach 1339, der Schrein mit Doppelflügeln 1488. — Sakramentshäuschen um 1525, für die barocke Strömung dieser Zeit sehr bezeichnend; eine Ädikula in den FrRenss.formen des Doms wird getragen von dem Stamm und umspielt von den Ästen eines Baumes in spgot. Stilisierung. — Kanzel, Holzschnitzerei von 1588, Schalldeckel von 1645. — In der Sakristei wertvolle Gefäße, darunter Weinkanne und Hostienbüchse 1580, emaillierter Kelch 1654.

Neumarkt-K., 15. und 17. Jh. mit wenigen rom. Resten. Sandstein-Taufstein von 1478.

Glauchaische K., 1740, Gr. griech. Kreuz, Emporen.

Der »rote Turm«, freistehender selbständig gebauter Glockenturm 1418-1506. Erstes Geschoß Rechteck, die 2 folgenden verzogenes 8Eck. Schlanker Helm, die Ecktürmchen vielleicht erst aus M. 16. Jh. Der Sockelumbau aus Backstein neugot. 1825.

Betsäule 1455 auf dem Riebeck-Platz, rohes Relief der Kreuzigung.

Moritzburg, 1484-1503 erb. von Erzbischof Ernst v. Magdeburg, beendet durch einen Ostturm v. 1517 durch Erzb. Abrecht v. Brandenburg; durch einen Brand im 30j. Kriege schwer entstellt; von Kunstformen wenig übriggeblieben, zum Teil Ruine. Die Fenster im NFlügel bezeichnende Beispiele der sich auflösenden Spätgotik.

Rathaus, unregelmäßige Anlage aus 15. und 16. Jh. Die »neue Laube« von 1558 würde als Renss.Versuch des Spätgotikers Nickel Hofmann interessieren, ist aber, wie alle älteren Teile, deformiert. Die Backsteingiebel zeigen die Maßwerkbekleidung in ödester Entartung. — Der »kühle Brunnen«, Haus des erzbischöflichen Günstlings H. Schönitz, vollständig verbauter Frührenss.Bau nach 1522 mit ehemals reicher Innenausstattung. Im selben Charakter die Residenz seit 1530, ursp. als Kollegiengebäude für die vom Kardinal geplante Universität bestimmt. — Wage vor 1575, mit gutem Portal. — 2 Täfelungen 1594 und aus 17. Jh. aus dem Talhaus jetzt im städt. Museum in der Moritzburg eingebaut.

Stadtgottesacker auf dem Martinsberg, östlich vor der alten [pg 170] Stadtmauer. Nach innen offene Arkaden mit Grabkammern, einen verschoben vierseitigen Begräbnisplatz umgebend. 1558 von Nickel Hofmann begonnen, mit dem 94. Bogen erst 1594 vollendet, Pilaster u. Bogenzwickel dekorativ skulptiert mit Benutzung von Aldegrever Stichen.

Leipziger Turm, letzter Rest der alten Stadtbefestigung vor dem Leipziger Tor im Osten der Stadt. Hoher Rundbau, 15. Jh., Haube 16. Jh.