Unschädliche, nur ungereimte Faseleien und Lügen

P. 6. „Dieser Zug Igors war der einzige angreifende oder Heldenkrieg in der russischen Geschichte. Sonst finden sich nur Verteidigungskriege — gegen die Mongolen, die Polen und Franzosen — oder politische Kriege.“ Hier sind zwei Ungereimtheiten:

1) hat der Autor augenscheinlich den Teilfürsten Igor Sewersky, der zu Ende des XII Jahrhunderts lebte, mit Igor dem Sohne Ruriks, aus dem X Jahrhundert, der gegen Konstantinopel auszog, verwechselt; sonst hätte er gewiss den Feldzug gegen die Polowzer, eine der tausenden von kleinen Fehden, wie diese zur Zeit des Teilfürstentumsystems häufig vorfielen, nicht den einzigen angreifenden Krieg genannt;


2) zu sagen, dass in der ganzen russischen Geschichte der Feldzug Igors (selbst, wenn er Igor Rurikowitsch gemeint haben sollte) der einzige angreifende Krieg gewesen sei, ist ein bewundernswürdiger Zug frecher Unwissenheit. Den Autor zu überführen und zu widerlegen — lohnt nicht der Mühe.

P. 11 wird das Kulikowsche Feld in eine Stadt umgestempelt.

P. 24 heißt es, Georg Konißki (gest. 1795) habe in Klein-Russland für die griechische Religion gekämpft, und sei auch politisch tätig gewesen, um Klein-Russland unter russische Protektion zu bringen. Ein wenig spät! Klein-Russland war damals dem russischen Reiche schon seit hundert Jahren einverleibt. Das ist kein Druckfehler, was nicht ein, sondern zwei Mal gesagt ist.

P. 30. „Eben so wenig hat Russland Apostel und Missionare ausgesendet, wenn man die fabelhafte Wanderung des Apostels Andreas nach Kiew, wo er zur Begründung der Stadt ein Kreuz aufgepflanzt haben soll, und etwa den späteren Apostel der Siränen, Sossima, ausnehmen will.“ Und wo bleiben die Bekehrer des nördlichen Russlands, Sibiriens, der Inseln des östlichen Ozeans? Wie gefällt Ihnen das: der Apostel Andreas wird hier unter der Zahl der von Russland ausgesendeten Apostel aufgeführt! Man sollte seinen Augen kaum trauen! Der Apostel der Siränen war nicht Sossima, sondern der H. Stephan.

P. 45. „Ganz ohne Talent ist dieser Vielschreiber Sumarokow nicht, besonders in der Satyre.“ Ich bitte Sie um Gotteswillen! Wo haben Sie gute Satyren von Sumarokow gefunden?

P. 46. „Wie es heißt, soll dem Lomonossow, auf Veranlassung der Regierung, an seinem Geburtsorte ein Denkmal errichtet werden.“ Ist schon errichtet (1832) in Archangelsk.

P. 57. „Wir können die Gelegenheit nicht übergehen, die Regierung Katharina's II. als sehr wohltätig für die russische Literatur anzuerkennen.“ In der Tat? Sehr gnädig! Aber warum ist denn die für das Gedeihen der russischen Literatur wichtigste Stiftung derselben, die der russischen Akademie mit Stillschweigen übergangen?

P. 60 ist gesagt, dass Nowikows vielfältiger Einfluss von ränkevollen Menschen missdeutet worden sei, und p. 62 wird N. mit einem andern damals lebenden Buchdrucker, Franklin, in Parallele gestellt. — Sollten diese ränkevollen Menschen denn so ganz Unrecht gehabt haben?

P. 65. „Karamsin und Dmitrijew können als Jünger Nowikows betrachtet werden.“ — Nimmermehr! — „Karamsin besuchte auf Kosten der Freimaurer das Ausland.“ — Das ist nicht wahr. Ich selbst habe Karamsin gefragt, ob dieses Gerücht gegründet sei. Er antwortete mir, dass er bis zu seiner Abreise ins Ausland Mitglied einer Freimaurerloge gewesen sei, welche ihm zum Abschiede ein Mahl veranstaltet habe. Nach der Tafel habe er, Karamsin, für die Bewirtung gedankt und erklärt, dass er für immer aus dem Orden austrete.

P. 66. „Karamsin hatte, nach seinen Briefen (1789 bis 1791) auf seiner Reise nach dem westlichen Europa, fast gar keinen Sinn für die großen Interessen und Zeitbewegungen.“ — Nein; er hatte wohl Sinn dafür und sprach sich darüber aus, wo die Gelegenheit es erheischte; aber er urteilte darüber, wie es der Bescheidenheit des damals 24jährigen jungen Mannes geziemte, sang nicht die Carmagnole,*) trug keine rote Mütze; sondern würdigte die Menschen und ihre Handlungen als verständiger und aufgeklärter Beobachter.

*) Die Carmagnole ist ein Rundgesang und Tanz der Republikaner, aus der Zeit der Französischen Revolution. Der Text verspottet den zu der Zeit bereits entmachteten französischen König Ludwig XVI. und dessen Frau Marie Antoinette. Der Titel spielt auf den Ort Carmagnola in Piemont an, der sich Anfang 1792 bereits in den Händen der Franzosen befand.

P. 68. „An der Spitze seiner Gegner stand der Admiral und nachmalige Minister Schischkow, der in den Kriegen von 1812—1814 die Manifeste schrieb, zum Gegenstande seiner Studien die kirchlich-slawische Sprache, deren Sitz die russische Akademie war, gewählt, und als Präsident derselben für die Schönheit seiner slawischen Dame mit der Feder gefochten hatte.“ — Da ist Alles unter einander geworfen! Schischkow gab sein Buch: „Über den alten und neuen Styl“ im Jahre 1803 heraus, und ward erst 1813 Präsident der russischen Akademie, in welche er Karamsin aufnahm, und ihm bald nachher, in voller Versammlung, die große goldene Medaille überreichte. Ihre Zwistigkeiten, an denen übrigens Karamsin selbst keinen Anteil nahm, fanden weit früher, und außerhalb der Akademie statt. — Mit Unrecht wird Karamsin in Königs Buche vorgeworfen, er habe sich Gallizismen*) erlaubt, und altrussische Wendungen verstoßen. In den gesammten Werken Karamsins trifft man auf weit weniger Gallizismen, als bei seinen Gegnern: er hat zu Anfang hie und da fremde Wörter gebraucht; aber das sind keine Gallizismen. Ein Gallicism liegt in der Wendung, in der Construction einer Phrase. Karamsins Widersacher fanden ihr einziges Heil in veralteten, abgenutzten Wörtern, ohne auf die Wendungen, auf die Verbindung und Anordnung der Worte die geringste Aufmerksamkeit zu verwenden. Karamsin hatte dem russischen Volke seine Redeweise abgelauscht. War es seine Schuld, dass die Logik der ächtrussischen Sprache dieselbe war, wie die der westlichen Völker Europas, der Franzosen und Engländer? Bis zu seiner Zeit war der russische Periodenbau lateinisch, deutsch, polnisch, aber nicht russisch.

*) Wörtern französischer Herkunft, die in der Sprache benutzt werden. Die französischen Wörter sind zum Teil ihrerseits aus anderen Sprachen ins Französische gelangt, so zum Beispiel balcon aus dem Italienischen balcone, kiosque aus dem Türkischen, mannequin aus dem Niederländischen/Niederdeutschen.

P. 103 wird berichtet, dass Gribojedow, in Folge eines höchst unangenehmen, tragisch endigenden Vorfalls Russland verlassen und — nach Georgien (Grusien) gegangen sei! — Das ist eine Geographie, die ganz zu der obenangeführten Probe von Geschichtskunde passt. — Weiterhin, p. 108, heißt es, dass Gribojedow im Jahre 1828 wieder einberufen und zum Bevollmächtigten nach Persien ernannt worden sei. Nein! er konnte nicht wieder einberufen werden, da Georgien in Russland liegt, er also das Reich niemals verlassen hatte. Er stand damals bei dem Oberbefehlshaber des kaukasischen Corps, dem Grafen Paskewitsch, und ward von diesem mit dem turkmantschaischen Friedenstraktat nach St. Petersburg gesendet. Gleich darauf wurde er zum Bevollmächtigten in Persien ernannt. — Der Verfasser behauptet, Gribojedow habe in der Rolle des von seiner Reise durch Europa zurückkehrenden Tschatzki sich selbst darstellen wollen. Das konnte aber gar nicht sein. In dem ganzen Stücke wird Tschatzki als ein geistreicher Mensch geschildert, dessen Missgeschick nur aus zu vielem Verstande entspringt. Der bescheidene, der hochsinnige Gribojedow hat nie daran gedacht, sich selbst aufzustellen; eben so wenig als sich Corneille in seinen Helden, als Schiller in seinem Marquis von Posa sich selbst hat darstellen wollen. Gribojedow ist in keinem fremden Lande, als nur in Persien gewesen; hat sich folglich auch niemals in der von ihm geschilderten Lage befunden. — War es möglich (p. 110) zu sagen, Gribojedows Erziehung sei vernachlässigt gewesen! Es wäre zu wünschen, dass nicht nur die Schriftsteller Russlands, sondern des gesammten Europas eine so sorgfältige Erziehung genossen, eine so hohe Ausbildung erlangt hätten! — Um die Karikatur vollständig zu machen, wird auf der folgenden Seite gemeldet, er habe eine Halbwilde geheiratet. Nein! Seine Gemahlin war eine Tochter des Generals, Fürsten Tschewtschewadse, und ganz auf europäischen Fuß erzogen. Ich spreche ausführlich über Gribojedows Biographie, weil ich sowohl seine Lebensverhältnisse als seinen Charakter auf das genaueste gekannt habe, fünfzehn Jahre lang sein Freund gewesen bin. Auf dergleichen Verstöße und Unwahrheiten trifft man in allen den Stellen, die nicht aus meinem Buche entlehnt sind, was hier nur darum unterblieben ist, weil in diesem 1822 erschienenen Werke die neueren Schriftsteller noch nicht mit aufgenommen sind. Im entgegengesetzten Falle waren Melgunows Auskünfte freilich wohl weit richtiger und vollständiger ausgefallen; zu gleicher Zeit würde aber mein Buch wahrscheinlich auch zwiefach herabgesetzt worden sein, um das Plagiat zu verhüllen. — Das alte, abgenutzte Kunststück!

P. 146 wird behauptet, dass Puschkin in seinem Gedichte: Poltawa den Gipfel der historisch-dichterischen Sprache erreicht habe. Dem ist nicht also! Gerade dieses Gedicht ist eins seiner am wenigsten gelungenen Erzeugnisse.

P. 161 wird Karlhof als junger Deutscher aufgeführt, ob er gleich über 40 Jahr alt ist und gar nicht einmal Deutsch spricht! Weiterhin heißt es: „Oertel (der in dieselbe Kategorie der jungen Deutschen gesetzt wird, ob er gleich ebenfalls ein Vierziger ist) schreibt kleine historische Romane, die er erst in Almanachen, dann besonders abdrucken lässt und endlich auch aus beiden Gestalten ins Deutsche übersetzt.“ Alles falsch! Oertel schreibt, außer amtlichen Papieren, gar kein Russisch. — Ganz besonders drollig nimmt sich unter den Deutschen der Baron Delwig aus, der herzlich wenig Deutsch verstand und wohl kaum einmal in seinem Leben ein deutsches Buch gelesen hat. Noch drolliger aber klingt es, wenn dieser Schriftsteller „der Glanz und der Schmuck der deutschen Schule in Russland“ genannt wird. Zum Glück ist gar keine solche Schule vorhanden! Delwig hat in fließender Sprache und leichten Versen zwei, drei Liederchen geschrieben; — aber ihn Puschkin an die Seite zu stellen, — das ist doch wahrhaftig zu stark! die Verse der Telemachide im Pagencorps zur Strafe lesen zu lassen. Nein! das war der Fall bei den Abendgesellschaften Katharinens II, in der Eremitage. Das Lesen derselben hätte der Bildung und dem Geschmack der jungen Leute nachteilig sein können; und die Kaiserin würde niemals einen solchen Befehl erteilt haben.

P. 163 heißt es, der Baron Delwig sei in Folge einer, ihm, als Herausgeber der Literaturzeitung, persönlich widerfahrenen Unannehmlichkeit, im Jahre 1830 an einem Schlagfluss gestorben. Das ist falsch. Wegen Übertretung der Zensurgesetze musste der B. Delwig, im August 1830, die Redaktion seines Blattes einem andern Literaten, Somow, überlassen; gestorben aber ist er, in Folge einer Erkältung, zu Anfang des Jahres 1831, und nicht am Schlagfluss, sondern an einer Hirnentzündung. Neun Tage etwa vor seinem Tode besuchte er mich, war ruhig, heiter und dachte nicht im geringsten an seine Zeitung.

P. 234 ist gesagt, es sei befohlen gewesen,

P. 266 wird berichtet, dass Katschenowski im Jahre 1895 den europäischen Boten gegründet habe. Nein! Diese Zeitschrift ward von Karamsin im Jahr 1802 angefangen und bis 1803 fortgesetzt. Und das war den Historiographen der russischen Literatur unbekannt!

P. 247 wird angegeben, dass Kukolnik für sein Trauerspiel: „Die Hand des Höchsten hat das Vaterland errettet“ die einträgliche Stelle eines kaiserlichen Bibliothekars erhalten habe. Das ist nicht wahr. Überhaupt gibt der Verfasser dieses Buches an mehreren Stellen zu verstehen, dass es die russische Regierung sich angelegen sein lasse, den Patriotismus der Schriftsteller zu wecken und anzuspornen, als ob sie ohne dies nicht eben auch im Geiste des Vaterlandes wirken würden. Ich halte es für meine Pflicht, dem ausländischen Publikum über diesen Punkt das richtige Verständnis zu geben, indem ich erkläre, dass alle russische Schriftsteller, wenn sie in vaterlandstümlichem Geiste wirken, wenn sie den Ruhm ihrer Vorfahren preisen, wenn sie mit treuer Liebe ihrem Herrscherstamme anhängen, unbedingt, und frei von allem Eigennutze, einzig und allein dem Zuge ihres Herzens folgen, und dass die Regierung, wenn sie ihre Bestrebungen belohnt, keinesweges die Absicht hat, ihren Patriotismus zu entstammen. Ich sage mehr: es treten Fälle ein, wo sie sich in einem Gefühl von Würde und Bescheidenheit genöthigt sieht, dem Feuereifer für das Vaterlandstümliche Schranken zu setzen. Alle den Kaiser unmittelbar betreffende Lobeserhebungen werden mitleidslos von der Zensur gestrichen; und wir, Herausgeber von Zeit- und Tagesblättern, können oft nur mit größter Mühe die Erlaubnis erlangen, ein herzliches Wort über ihn aussprechen zu dürfen. Das ist Tatsache, eine der ganzen Welt bekannte Tatsache.

Das armselige Wortspiel (p. 248) mit Kukolnik und kukla ist so abgeschmackt, dass jede Rüge überflüssig erscheint.

Doch genug! Wir gehen zur zweiten Abteilung über.