Grundriss der Gesamtwissenschaft des Judentums 03

Neueste Geschichte des jüdischen Volkes - Band 3
Autor: Philippson, Martin Dr. (1846-1916) Professor, deutscher Historiker und wissenschaftlicher Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1911
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Judentum, Juden, Religion, jüdisches Leben, Assimilation, Nationalbewusstsein, Israel, Zionismus, Herzl
Die Neueste Geschichte des jüdischen Volkes schließt mit diesem dritten Bande ab, der die Geschichte der Juden in Russland und Polen von 1830 bis 1910 umfasst: eine Geschichte selten unterbrochener Leiden, aber zugleich der heldenmütigen Standhaftigkeit von Millionen Israeliten.

                                          ******************
Inhaltsverzeichnis
Es ist die erste umfassende Darstellung dieser Verhältnisse in deutscher Sprache, noch erschwert durch den Umstand, dass das Material dafür weit zerstreut und zum Teil in Deutschland gar nicht zugänglich war. Die Arbeit ist mir tatsächlich nur durch die Beihilfe kundiger Persönlichkeiten ermöglicht worden: wie des Herrn Direktor D. Feinberg und ganz besonders der jungen Historikerin, Fräulein Dr. Salomea Krynska (jetzt Frau Levité) in Warschau. Ich sage ihnen hiermit auch öffentlich herzlichen Dank. Der verehrliche Hilfsverein der deutschen Juden stellte mir in liebenswürdigster Weise seine reichen handschriftlichen Sammlungen zur neuesten Geschichte der Juden in Russland zu Gebote. So hoffe ich ein einigermaßen genügendes Material zusammengebracht zu haben. Immerhin muss ich für die unvermeidlichen Mängel eines ersten Versuches um Nachsicht bitten, der überdies von einem mit dem Lande und dessen Einwohnern nicht direkt Bekannten unternommen worden ist. Herr Dr. Schermann in Berlin hat es freundlichst übernommen, die Rechtschreibung der russischen Namen zu prüfen.

Die beiden ersten Bände meines Werkes sind im ganzen von der Kritik — ich sehe natürlich von derjenigen ab, die lediglich vom Partei Standpunkte ausging — freundlich gewürdigt worden, indem sie die Schwierigkeiten der Arbeit wohl in Betracht zog. Aus ihren Bemerkungen glaube ich viel gelernt zu haben und bin ihr für diese sehr erkenntlich. Ich möchte nur auf ein doppeltes Missverständnis noch einmal aufmerksam machen, obwohl ich vor solchem schon im Vorworte zum ersten Bande gewarnt hatte. Erstens, mein Buch sollte ein entsprechender Teil des ,,Grundrisses der Gesamtwissenschaft des Judentums“ sein und deshalb weder den Gegenstand nur annähernd erschöpfen noch das größere Publikum durch Vorführung des gesamten Arbeitsapparates in zahlreichen und ausführlichen Anmerkungen abschrecken. Es genügte, die hauptsächlichen Quellen zur Nachprüfung oder Weiterforschung anzugeben. Und zweitens: die Darstellung musste sich um die Hauptsachen gruppieren, konnte und durfte keine National- und noch weniger Lokalgeschichte bieten. Nur die leitenden Erscheinungen und Entwicklungen konnten geschildert werden. Es ist also ungerecht, wenn man mich öfters beschuldigt hat, versehentlich einige Länder oder Tatsachen vernachlässigt zu haben. Hätte ich ,,vollständig“ sein wollen, so würde ich ein ganz anderes, vielbändiges, für ein der Zahl nach beschränktes Publikum bestimmtes Werk haben verfassen müssen, das dann auch der Hunderte oder Tausende von Anmerkungen nicht entbehrt hätte: was alles erheblich leichter gewesen wäre, als die sorgfältige und planmäßige Selbstbeschränkung, die zu üben ich genötigt war. Ich habe die neueste Geschichte des jüdischen Volkes weiteren Kreisen verständlich machen wollen — weiter ging weder meine Aufgabe, wie ich sie auffasste, noch mein Ehrgeiz.

Berlin, im Oktober 1911. Martin Philippson.

                                          ******************

Zar Nikolaus I — Die Zeit des reinen Zwangsystems — Charakter Nikolaus I — Sein Regierungssystem — Feindschaft gegen die Juden — Grundgesetz von 1835 — Misstrauen der Juden gegen die Regierung — Staatliche Aufklärungsversuche — Beabsichtigte Umgestaltung des jüdischen Unterrichts — Die Aufklärung — Opposition unter den Juden — Feindselige Maßregeln des Zaren — Scheitern der Reform des Unterrichts — Unterdrückung aller nichtrussischen Nationalitäten — Aufhebung des Kahals — Gegenseitige Feindschaft zwischen Regierung und Juden — Kulturfeindliche Elemente unter diesen — Das Judentum in Polen unter Nikolaus — Gegensatz der Polen zu den Juden — Die polnische Emigration den Juden günstiger — Bildungsbestrebungen — Schatten- und Lichtseiten — Alexander II. der Befreier — Verheißungsvoller Anfang der Regierung Alexanders — Wesen und Anschauungen Alexanders II — Absichten betreffs der Juden — Wohltätige Reformen — Fürsorge für Begünstigung der jüdischen Intelligenz — Jüdische Journalistik — Zustände unter den Juden — Alexander II. und die Juden Polens — Gunst für das Polentum — Wielopolski und die Juden — Die Chassidim — Die ,,Fortgeschrittenen“— Verbrüderung zwischen diesen und den Polen — Aufstand von 1863 — Seine Folgen — Wiederaufleben des Antisemitismus — Das Ende der Regierung Alexanders III. und die Juden in Russland — Die Altrussen Gegner der Juden — Juden und Nihilisten — Anwachsen des Antisemitismus — Reaktionäre Wendung Alexanders II.— Gegen die Juden — Zar abermals liberaler — Seine Ermordung — Unfertige Zustände unter den Juden — Zar Alexander III — Die ersten Pogrome — Persönlichkeit Alexanders III. und sein Vertrauter Pobjedonoszew — Unterdrückung der nichtrussischen Nationalitäten — Ignatiew und die Pogrome von 1881, S. 119. — Antisemitische Unruhen in Warschau — Pogrome von 1882 — Ignatiew und seine Maigesetze — Entlassung Ignatiews, Ersetzung durch Dimitri Tolstoi — Stete Bedrängnisse — Neue Verfolgung der Nichtrussen — Abermalige Verfolgungen gegen die Juden — Wiederholte Judenhetzen — Aushungerungssystem — Auswanderung — Innere Zustände der russischen Juden — Kampf der Regierung gegen die jüdische Intelligenz — Stand der Bildung unter den Juden — Sprachen Verhältnisse — Zudrang zu den Städten — Revolution und Reaktion — Zar Nikolaus II — Friedliche Zeiten — Nikolaus II. den Juden zunächst wohlwollend — Allmähliches Überwiegen des Antisemitismus im Beamtentum — Revolution und Krieg — Widersprüche der äußeren und inneren Politik — Juden als Revolutionäre behandelt — Pogrom von Kischinew — Von Homel — Der Krieg mit Japan — Revolution — Verfassung vom 17. Okt. 1905 — Die Juden im Kriege — Begeisterte Freiheitsfreunde — Der sozialistische „Bund“— Die große Masse der Juden apathisch — Die Oktoberpogrome — Das reaktionäre Beamtentum und die Juden als Prügelknaben — Vorspiele zu den Pogromen — Pogrome in Kischinew — Pogrome in Bessarabien — Pogrome in Odessa — Pogrome in dessen Bezirk — Pogrome in der Krim — Pogrome in Jekaterinoslaw —Pogrome in Polta Ava —Pogrome in Tschernigow — Pogrome in Kiew — Pogrome in Podolien — Pogrome in Wolhynien — Pogrome in Rostow usw. — Ergebnisse — Die Urheber — Pogromorganisation — Die Reaktion und die Juden — Das russische Volk und die Reaktion — Niederlage der Revolution — Kabinette und Duma — Verband echt russischer Leute — Verfolgung aller freiheitlich Gesinnten — Verfolgung der Juden — Militärpogrom in Homel — Militärpogrom in Bialystok und in Siedlce — Gegnerschaft der Regierung wider die Juden — Anfeindung der jüdischen Intelligenz — Stimmung unter den Juden — Aufschwung unter den Juden und dessen Gegner — Karäer — Rabbinerkommission — Armut der Juden — Ackerbau — Handwerk — Arbeiter — Die Jewish Colonization Association — Volksschulen und Darlehnskassen — Die Juden Polens unter Alexander III. und Nikolaus II. — Ökonomischer Gegensatz zwischen Polen und Juden — Politischer Gegensatz — Handel und Handwerk — Stimmung der Juden — Einwanderung russischer Juden