Grundriss der Gesamtwissenschaft des Judentums 01

Neueste Geschichte des jüdischen Volkes - Band 1
Autor: Philippson, Martin Dr. (1846-1916) Professor, deutscher Historiker und wissenschaftlicher Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1907
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Judentum, Juden, Geschichte des jüdischen Volkes, Religionsgemeinschaft
Die neueste Geschichte der Juden darzustellen, ist keine leichte Aufgabe. Sie führt uns weit über die gesamten Länder der bewohnten Erde, in die verschiedensten Umgebungen, zu allen Völkern, Sprachen, schriftlichen Überlieferungen, sozialen und politischen Verhältnissen. Die Schicksale der ganzen Welt spiegeln sich in ihr ab, und doch wird sie wieder von einem gemeinsamen, gleichen, einem einzigen historischen Zusammenhange beherrscht. Die Aufmerksamkeit des Geschichtsschreibers wird hier von tausend Umständen in Anspruch genommen, und dennoch muss er inmitten der bunten Mannigfaltigkeit den leitenden Faden auffinden und festhalten.

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Inhaltsverzeichnis
  1. Zeitalter der Revolution und des Kaiserreichs.
    1. Die Morgenröte der Freiheit. Die Juden in Frankreich
An umfassenden Arbeiten, die ihm dabei behilflich sein könnten, fehlt es fast gänzlich; denn die bekannten Werke von, Jost und Graetz reichen nur bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts und entsprechen den heutigen Anforderungen an die historische Schilderung der jüngsten Vergangenheit nicht. Sie sind von vorzugsweise theologisch gebildeten Männern, nicht von Historikern geschrieben. Für die Zeit nach der Revolution von 1848 gibt es keine Geschichte der Juden, die sich über lokale oder biographische Interessen erhöbe.

Wenn ich trotzdem das Wagnis eines solchen Buches unternommen habe, so gab mir den Mut dazu hauptsächlich der Umstand, dass ich gerade den neu zu behandelnden Zeitraum miterlebt habe — flebile senectutis privilegium — und zwar an einer Stelle, wo die Fäden des gesamten jüdischen Wesens zusammenliefen, an der Seite eines Vaters, der die älteste und weitverbreitetste Zeitung des Judentums redigierte du neu dessen innerer und äußerer Gestaltung ganz hervorragend mitschaffte. So waren mir die Fragen, um die es sich dabei handeln, von Kindheit an bekannt geworden, ja gewissermaßen in Fleisch und Blut übergegangen. Freilich lag hierin eine gewisse Gefahr. Es versteht sich, dass der Vater in den Kämpfen, die mit jedem frisch pulsierenden Leben notwendig verbunden sind, eine bestimmte Parteistellung einnahm, und dass solche zunächst auch von dem Sohne geteilt wurde. Trotzdem habe ich mich bemüht, in diesem Buche allen Richtungen gerecht zu werden, und ich hoffe, es ist mir einigermaßen gelungen. Das ist kein Verdienst, sondern die Pflicht des Historikers, der seine Wissenschaft ernst nimmt. Diese Pflicht aber wurde mir erleichtert durch den Umstand, dass ich als Nicht-Theologe und als ein den Kämpfen des heutigen Judentums praktisch Fernstehender nicht persönlich in den Strudel hineingezogen bin. Darf ich anführen, dass ich als Leiter einiger der größten Vereinigungen der deutschen Israeliten tatsächlich diese Unparteilichkeit, diese Würdigung aller wahrhaft jüdischen Bestrebungen schon vor der Öffentlichkeit bewährt zu haben glaube? An gutem Willen und festem Entschluss dazu hat es niemals gefehlt.

Man darf in dem vorliegenden Buche keine örtlichen oder sonstigen Spezialschilderungen erwarten. Im Hinblick auf die ganze Tendenz des „Grundrisses der Gesamtwissenschaft des Judentums“, von dem es selbst ein Teil ist, soll und will es dem allgemeinen und besonders dem jüdischen, gebildeten Publikum einen auf wissenschaftlicher Forschung beruhenden, zugleich aber umfassenden, systematischen und wesenhaften Überblick über seinen Gegenstand schaffen. Die Ergebnisse der Einzelforschungen konnten also nur insoweit berücksichtigt und verwendet werden, wie sie sich in den ganzen Rahmen des Bildes einordneten und für dieses charakteristisch und notwendig waren.

Eine orientierende Einleitung zu geben, habe ich vermieden. Dieses Buch ist ja als letzter Teil einer die Geschichte des israelitischen Volkes von Beginn an berichtenden Sammlung historischer Monographien gedacht. Ich hätte also in einer solchen Einleitung entweder nur dasselbe erzählt, wie der Verfasser des vorhergehenden Teiles — und das wäre überflüssig; oder die gleichen Dinge verschieden — und das wäre störend und verwirrend. Und so unterließ ich es, die Einleitung zu schreiben, die freilich an sich recht verlockend gewesen wäre, da sie den Leser sofort auf meinen Standpunkt zu versetzen vermocht hätte. Die Darstellung der Wissenschaft und Literatur konnte sachgemäß nur insoweit gegeben werden, wie solche auf die weitere Entwicklung des jüdischen Volkstums eingewirkt haben. Eine eingehendere Schilderung muss der jüdischen Literaturgeschichte vorbehalten bleiben.

In den am Ende des Bandes zusammengestellten Noten habe ich nur das Wesentliche angeführt; der Kenner wird hoffentlich das eingehende und kritische Studium der Quellen herausfinden. Zwar hat Harnack in seinen Winken für Schriftsteller die Verbannung der Anmerkungen an den Schluss des Buches verpönt. Sie ist tatsächlich für den Gelehrten sehr unbequem, der den Beleg für jede Tatsache oder Meinungsäußerung eines Werkes auf frischer Tat einsehen und nachprüfen möchte. Aber sie ist ein Labsal und eine gründliche Erleichterung für die Mehrzahl der Leser einer für weitere Kreise bestimmten Schrift.

Der erste Band führt die Geschichte des jüdischen Volkes in Mittelund Westeuropa bis vor den Beginn der antisemitischen Bewegung, also bis um das .Jahr 1875. Die ganz anders geartete Geschichte des slawischen Osteuropa, sowie des Orients ist bis 1830 nur angedeutet und wird ein besonderes Buch im zweiten und letzten Teile ausmachen, der auch West- und Mitteleuropa, sowie Amerika von 1876 bis zur Gegenwart zu behandeln hat.

Möge es mir gelingen, der unverwüstlichen, ewig sich frisch erneuernden Kraft unserer Stammes- und Religionsgemeinschaft auch hier ein bescheidenes, aber aus treuer Anhänglichkeit und herzlicher Begeisterung hervorgegangenes Denkmal zu setzen! Vorurteilslose Liebe ist ja gleichbedeutend mit Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit, die auch vor Fehlern und Schwächen das Auge nicht verschließt.

Berlin im März 1907. Martin Philippson.

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Die französischen Juden vor der Revolution — Emanzipation der französischen Juden — Napoleon und die Juden — Die Notabelnversammlung — Das Sanhedrin — Das ,,infame“ Dekret — Ehrenrettung der Juden — Günstige Wirkungen der Napoleonischen Regierung — Die Juden in Deutschland — Befreiung der linksrheinischen Juden — Das Königreich Westfalen; Israel Jacobson — Das Großherzogtum Berg — Das Großherzogtum Frankfurt — Württemberg — Baden — Bayern — Sachsen — Die deutschen Kleinstaaten — Die Hansastädte — Preußen — Innere Zustände der preußischen Juden — Das preussische Judengesetz vom 11. März 1812 — Österreich — Ungarn — Niederlande — Italien — Großbritannien — Dänemark — Russland — Das Großherzogtum Warschau — Livland — Die Reaktion: Legitimität und christlicher Staat — Umwandlungsprozess innerhalb der Judenheit — Judenfeindschaft in Deutschland — Die Juden während der Befreiungskriege — Reaktion gegen die Juden — In den freien Städten — Judenfeindliche Literatur — Lübeck — Frankfurt a. M. — Die beiden Hessen— Württemberg — Baden — Bayern — Die „Hep-hep“-Bewegung — Deutsche Mittel- und Kleinstaaten — Rückschritt in Österreich — Rückschlag in Preußen — Durchführung der Emanzipation in Frankreich — Unbefriedigende Lage in Großbritannien — Völlige Gleichberechtigung in den Niederlanden — Die skandinavischen Staaten — Die Schweiz — Verschiedene Gestaltung in Italien — Reformbestrebungen — Reaktion unter Nikolaus I. — Die Ackerbaukolonien — Traurige Zustände der Juden in Polen — Verfall des jüdischen Wesens — Wirkungen der Mendelssohnschen Reformbewegung — Die ersten jüdischen Schulen — Neuer Aufschwung des Judentums — Schwierige Verhältnisse — Notwendigkeit innerer Umgestaltung der Judenheit — Ideale Gesinnung — David Friedländer und Israel Jacobson in Berlin — Der deutsche Tempel— Die Predigt — Der Hamburger Tempel — Der Kulturverein: Gans. Moser, Zunz — Die Wissenschaft des Judentums — Akademisch gebildete Rabbiner — Österreich: Mannheimer — Ungarn: Sopher und seine Gegner — Galizien: Perl — Börne und Heine — Neue Generation jüdischer Reformer — Geiger, — Creizenach, Steinheim, Hess — Alt-Orthodoxie: Eger, Sopher — Neu-Orthodoxie : S. R. Hirsch — Historische Reform: Mannheimer — Philippson — Die Allgemeine Zeitung des Judentums — Die Wissenschaft des Judentums — Das hebräische Schrifttum — Umwandlungen im Kultus — Widerstand der Neu-Orthodoxie — Breslauer Rabbinatsstreit — Zustände in der Berliner Gemeinde: Frankel und Sachs — Frankfurter Reformverein — Holdheim — Gründung der Berliner Reformgemeinde — Neuer Tempelstreit in Hamburg — Bedürfnis nach Einigung — Erste Rabbinerversammlung in Braunschweig — Zweite Rabbinerversammlung in Frankfurt a. M. — Dritte Rabbinerversammlung in Bieslau — Scheitern der Versöhnungsbestrebungen — Die französischen Juden — Die Juden in Algerien — Konservative und erste Reformer in England — Entwicklung des Judentums in den englischen Kolonien — Südamerika — Die Vereinigten Staaten von Nordamerika — Die nördlichen europäischen Staaten — Italien — Die deutsche Judenheit Trägerin der Bewegung — Widerstand der konservativen Kräfte gegen die freiheitliche Entwicklung — Völlige Anerkennung der Juden in Frankreich, und in Belgien — Judenfeindschaft der polnischen Revolution — Anderwärts Feilschen um die Emanzipation — Der „christliche Staat“ — Gabriel Riesser — Neue Diskussion der Judenfrage — Fortschritte in Kurhessen und Braunschweig — Großherzogtum Hessen — Traurige Zustände in Bayern — Allmählicher Fortschritt in Württemberg — Kämpfe in Baden — Königreich Sachsen — Die Kleinstaaten — Hannover — Die Hansastädte — Preußen — Frisches Leben in der dortigen Judenheit — Neues Judengesetz in der Provinz Posen — Romantische Anschauungen Friedrich Wilhelms IV. — Beabsichtigte Ausschließung der Juden vom Militärdienst — Gunst der öffentlichen Meinung für die Juden — Die Provinzialstände — Das Judengesetz vom 23. Juli 1847 — Österreich — Krakau — Ungarn — Dänemark — Schleswig-Holstein — Schweden und Norwegen — Kampf der englischen Juden um Gleichberechtigung — Belgien und Holland Rückständigkeit der Schweiz — Italien — Durchführung der Gleichberechtigung in Frankreich — Das neue Judentum — Die Revolution — Das Frankfurter Parlament und die ,,Grundrechte“ — Die preußische Nationalversammlung — Fortschritte der Gleichberechtigung in den übrigen deutschen Staaten — Die Befreiung in Österreich — Widerstand Ungarns gegen die Emanzipation — Die Revolution in Italien — Die Schweiz — Eintritt der Reaktion — In Preußen — Im übrigen Deutschland — Drohende Selbstauflösung des deutschen Judentums — Beginn der Reaktion in Österreich-Ungarn — Dänemark — Frankreich — Traurige Rückschritte in Italien — Ergebnisse von 1848 — Anhaltende Reaktion gegen die Emanzipation — In Preußen — In den übrigen deutschen Staaten — In Österreich-Ungarn — Der Wagenersche Antrag und seine Bekämpfung — Buntscheckigkeit in der Behandlung der Juden Deutschlands — Sieg der Gleichberechtigung in der Theorie — Fortschritte in den außerdeutschen Ländern — Der Kirchenstaat: Mortara-Fall — Die angelsächsischen Länder — Wiedererwachen des religiösen Interesses unter den deutschen Juden — Das Breslauer Rabbinerseminar — Institut zur Förderung der israelitischen Literatur — Kampf zwischen Neu-Orthodoxie und Liberalismus — Reform in Frankreich und in Nord-Amerika — Bnai-Brith — Wiederbelebung der inneren Reform — Rabbinerversammlung in Kassel — Die Synoden — Erstarkung der Neu-Orthodoxie; Israel Hildesheimer — Kämpfe der Orthodoxie und des Liberalismus in Österreich — In Ungarn — In Galizien — Skandinavien und Holland — Solidaritätsgefühl der Juden — Deutsch-Israelitischer Gemeindebund — Bibelanstalt — Rabbiner- und Lehrer-Bildungsanstalten — Siege des politischen Liberalismus — Die neue Ära in Preußen und die Konfliktszeit — Endgültige Emanzipation durch den Norddeutschen Bund — Wirkung auf die übrigen deutschen Staaten — Völlige Gleichstellung in Österreich und in Ungarn — In Schweden — Holland — Großbritannien und seine Kolonien — Die Juden in Frankreich — Völlige Gleichstellung in Italien — In der Schweiz — Das Judentum in den Vereinigten Staaten — Südamerika — Aliance israélite universelle — Günstige Lage der Juden vor dem Ausbruch der antisemitischen Bewegung

Jerusalem from the Mount of Olives

Jerusalem from the Mount of Olives

Mosque at Hebron

Mosque at Hebron

Forecourt of the Holy Sepulchre.

Forecourt of the Holy Sepulchre.

Mosque of Omar.

Mosque of Omar.

The Tomb of the Virgin.

The Tomb of the Virgin.

Judean Dessert and the Dead Sea.

Judean Dessert and the Dead Sea.

The Cypresses of the Garden of Gethsemane.

The Cypresses of the Garden of Gethsemane.

The Rock-Cut Tombs of the Valley of Jehoshaphat.

The Rock-Cut Tombs of the Valley of Jehoshaphat.