Großvater und Enkel

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1973
Autor: O. M., Erscheinungsjahr: 1873

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Großvater, Opa, Enkel, Kunst, Können, Talent, Tonkunst, Maler,
Wen erinnert das liebliche Bild, welches wir S. 45 unseren Lesern vorführen, nicht mehr oder weniger an die Jugendgeschichte unserer größten deutschen Musiker der Vorzeit und Neuzeit, an Haydn und Mozart, die gleichsam die Vorliebe und das Talent für die heitere Kunst der Töne am häuslichen Herde mit der Muttermilch einsogen? Die Jugendgeschichte der genialen drei Brüder Lachner weist Ähnliches auf: auch sie wurden von Kindheit auf durch Vater und Großvater in der Musik unterrichtet und erzogen, und die Violine, dieses seelenvollste und geistigste aller Instrumente in kunstgeübter Hand, war ihr Jugendspielzeug, der Vertraute ihrer stillen Mußestunden in den Knabenjahren.

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Betrachten wir den geistvollen Kopf des gemütlichen Großvaters mit dem Violoncell zwischen den Knien und den hübschen Kopf des Knaben mit den sinnigen und intelligenten Zügen, der seine Geige im Duett mit dem Großvater streicht, ganz Ohr und Aufmerksamkeit für den gespielten Satz und das Zusammenspiel, so fragen wir uns unwillkürlich: sind diese beiden Köpfe nicht Porträts? Sollen wir uns die Züge des Kleinen nicht einprägen in der zuversichtlichen Hoffnung, dass wir über kurz oder lang dem Jungen als einem angehenden Virtuosen wieder begegnen werden? Wird uns in dem Knaben nicht einer der künftigen Meister der Tonkunst vorgeführt? — Und solche Fragen sind berechtigt, denn wohin wir in dem Bereich der Kunst blicken, so sehen wir überall, dass selbst die Söhne und Enkel mittelmäßiger Künstler bei nur leidlichem Talent, geschweige denn bei glänzender Begabung, es rasch zu bedeutenden Erfolgen brachten, weil sie bei der Kunst aufgewachsen und schon im frühesten bildsamsten Alter die Schwierigkeiten der Technik bewältigten, die desto mehr Mühe zur Bewältigung kosten, in je vorgerückteren Jahren wir an sie herantreten. Alle Kunst ist nur ein Können, und je früher wir das erringen, was man Routine nennt, desto weiter gelangen wir in jeder Kunst. Das Alles tritt uns aus unserem lieblichen Bilde anschaulich entgegen, und flößt uns Achtung für das Talent unseres geschickten, fein beobachtenden Malers ein. O. M.

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