Abschnitt 3. Wert und Gaben, der Prinzen in Genf, erkrankt in Frankfurt, Schildts Rücktritt, der Posten eines Acciserats in Rostock, Professur der ökonomischen Wissenschaften in Bützow zu übertragen.

Schildt, „ein Mann von seltnem Werth und Gaben“, wie das erwähnte Gedicht von ihm rühmt, begleitete den Prinzen nicht nach Genf, sondern kehrte nach Mecklenburg zurück. Von Frankfurt aus teilte er am 26. November 1768 dem Herzog mit, daß er befehlsmäßig sich auf den Weg zur Rückreise gemacht habe, zusammen mit dem ehemaligen Bedienten Usedoms und in Gesellschaft des Kammerherrn v. Levetzow, der aber unterwegs erkrankt sei und nun in Frankfurt festliege. Schildt glaubt ihn nicht verlassen zu dürfen und hofft und bittet, daß der Herzog „in Betracht dieser Bewegungs-Gründe sein späteres Aussen-bleiben nicht in Ungnaden bemerken werde“. Den Grund von Schildts Rücktritt kennen wir nicht; Unzufriedenheit des Herzogs mit seinen Diensten war es gewiß nicht, denn es ist einmal in einem Kabinettsschreiben von „Serenissimi höchster Neigung“, ihn anderweitig zu versorgen, die Rede. In der Tat erging schon vor Schildts Rückkehr, am 28. Oktober 1768, ein Reskript an die Kammer: „Wir finden den Informatorem bey des Prinzen Friederich Franz Liebd. Hof-Rath Schildt aus seiner bisher bekleideten Stelle entbehrlich, und sind daher in Gnaden geneigt, ihn auf eine andere convenable Art zu placiren. Bey der Ungewißheit aber, worinn Wir Uns befinden, wozu derselbe eigentlich am brauchbarsten seyn mögte, befehlen Wir euch gnädigst, ihn, zum Versuch, vor der Hand als zweyten Beamten in Güstrow anweisen, ihm sein vorhin genoßenes Salarium von dreyhundert Rthlr. fernerhin in Quartal-Ratis zahlen . . . zu laßen.“ Diese Stellung in Güstrow entsprach aber Schildts Neigungen nicht; am 26. Januar 1769 bat er den Herzog, von seiner Anstellung dort abzusehen und ihm vielmehr den erledigten Posten eines Acciserats in Rostock nebst der unbesetzten Professur der ökonomischen Wissenschaften in Bützow zu übertragen. Dem aber wurde nicht stattgegeben, vielmehr unterm 1. Februar die Kammer angewiesen, Schildt vor der Hand und bis auf weitere Verordnung unter seinem bisherigen Charakter zu allen Sekretariatsgeschäften bei der Kammer zu gebrauchen. Am 14. März 1769 wurde er, dessen Gehalt am 1. Februar auf 400 Taler erhöht worden war, als Kammersekretär vereidigt;in dieser Stellung ist er am 19. März 1802 gestorben.

Des zweiten Informators Karl Ludewig geschieht in den Erziehungsakten weiterhin keine Erwähnung. Doch erscheint er im ersten Staatkalender von 1776 als Kabinettssekretär. Im Jahre 1780 wurde er pensioniert und zog nach Rostock.


Daß er dort in sehr kümmerlichen Verhältnissen lebte, lehrt uns ein vom 6. April 1789 datierter Befehl des Herzogs Friedrich Franz an die Kammer: „Da Wir Uns bewogen finden, Unserem ehemaligen Informator und nachherigen Secretair Ludewig, seiner Uns bekannt gewordenen äußerst traurigen Umstände halber, seine bisherige Pension mit Ein Hundert ReichsThalern N2/3 zu erhöhen, welche ihm pro rata vom jetzigen Ostern inclusive bezahlet werden sollen, so usw.“ In Ludewigs Dankschreiben vom 16. April heißt es: „Ew. Herzogl. Durchl. haben mir zu meiner bisherigen Pension eine Zulage von jährlichen 100 Thalern zu einer Zeit gnädigst accordiret, da die Noth aufs höchste gekommen und ich recht im Begrif war, zu Grunde zu gehen.“ Ludewig starb zu Rostock am 18. Mai 1797, mit Hinterlassung einiger Schulden; von seinen Gläubigern in Rostock waren sechs so naiv, unterm 24. Juni ein gemeinsames Bittschreiben an den Herzog zu richten, er wolle die ihnen von Ludewig schuldig gebliebenen Summen - es handelte sich insgesamt um 48 Rthlr. 1 Schilling - „aus Höchst Dero Chatoulle berichtigen lassen“. Der Herzog sandte die Bittschrift seinen Räten zur weiteren Behandlung; diese meinten, den Bittstellern zu willfahren „dürfte bedenklich seyn, da man nicht wissen kann, ob nicht noch mehrere beträchtliche Schulden vorhanden sind“, und so ging habita deliberatione das Gesuch ad acta. -

Zu der Zeit, da Prinz Friedrich Franz nach Genf übersiedelte, war diese Stadt wieder einmal der Schauplatz einer jener die Geschichte Genfs im 18. Jahrhundert füllenden demokratischen Bewegungen, jener schließlich erfolgreichen Kämpfe der nicht bevorrechteten Klassen der Bourgeois und der Natifs gegen die starr aristokratische Herrschaft der allein regiments-fähigen Citoyens, die den Kleinen Rat und das Collegium der Zweihundert besetzten. Kurz vor der Ankunft des Prinzen hatten die Bourgeois es durchgesetzt, die Hälfte der Mitglieder der Zweihundert stellen zu dürfen. Nun aber regten sich auch die zahlreichen und Wohlhabenden Natifs, die in Genf geborenen Nachkommen der nicht eingebürgerten Einwohner, mit dem Verlangen nach Besserstellung - sie die bis zum Jahre 1738 nicht nur von allen Staatsstellen, sondern auch von den höheren Berufsarten ausgeschlossen waren und auch seitdem noch außerhalb der Bürgerschaft standen. Sie fanden rührige Anwälte, die in Wort und Schrift ihre Ansprüche verteidigten und die weitestgehenden Forderungen nach Teilnahme am Stadtregiment erhoben; ihre durch Zuzug von auswärts beständig wachsende Partei nahm schließlich eine drohende Haltung ein, veranstaltete bewaffnete Umzüge und plante für den 15. Februar 1770 einen Aufstand, den zu verhindern dem wachsamen Rat nur durch die schärfsten Mittel und nicht ohne Blutvergießen gelang. Alle diese Unruhen spielten sich während der Zeit ab, da der Prinz in Genf weilte; ob aus eigenem politischem Interesse oder durch andere dazu angeleitet, bleibt dahingestellt, jedenfalls suchte er sich über die Verhältnisse zu unterrichten und erwarb eine beträchtliche Zahl einschlägiger Flugschriften, die heute die Regierungsbibliothek aufbewahrt.

Der Prinz bewohnte zunächst ein dem Noble Pierre Jaquet, Seigneur, ancien Conseiller d’Etat, gehöriges kleines Haus an der zur Altstadt, auf dem linken Ufer der Rhone, dem Mittelpunkte des Lebens, gehörenden rue de la Corraterie; der Mietzins betrug 150 Louisd’or jährlich. Der Mietsvertrag war auf ein Jahr abgeschlossen, scheint aber dann um ein weiteres Jahr verlängert worden zu sein. Am 1. Oktober 1770 aber erfolgte der Umzug in das seither abgebrochene und durch einen Neubau ersetzte Haus des Noble Isaac Louis Thellusson, Citoien et Conseiller au Conseil des Deux Cent, in der engen rue des Belles Filles (heute rue Étienue Dumont genannt), nahe der promenade de St. Antoine; diese Wohnung wurde auf zwei Jahre gemietet für 175 Louisd’or jährlich. Der Haushalt des Prinzen war in Genf etwas reichlicher zugeschnitten als in Lausanne. Usedom glaubte in einem Bericht an den Herzog vom Dezember 1768 die Notwendigkeit einer glänzenderen Einrichtung betonen zu sollen und fand dafür die Zustimmung des Herzogs, der zwar in eine Erhöhung des Etats nicht willigen wollte, aber doch einen Genfer Bankier anweisen ließ, nach Bedarf bis zu 2000 LivreS vorzuschießen.

Schon bald nach seiner Ankunft stattete der Prinz dem ersten Syndikus der Republik, dem Noble Michel Lullin de Chateauvieux, einen Besuch ab. Daraufhin beschloß der Rat, den Prinzen durch eine Deputation, bestehend aus einem Syndikus und zwei Mitgliedern des Rats, begrüßen zu lassen, und diese Herren berichteten am 24. Oktober, qu’ils ont fait compliment au Prince de Mecklembourg-Swerin, qui a témaoigné son extrême sensihilité à l’attention du Conseil et qu’il les accompagna jusques à la porte sur la Cour. Überhaupt ließ es der Rat an Zuvorkommenheit nicht mangeln.

Die Wachen wurden angewiesen, dem Prinzen militärische Ehren zu erweisen, und es wurde beschlossen qu’on mettra un tapis et un carreau (ein viereckiges Sitzkissen) a la place qu’il oc-cupera au Temple de St. Pierre, der Kathedrale. Als 1769 der Prinz den Wunsch geäußert hatte d’aller aux Promotions 4) les Nobles Bouet et de la Rive ont été commis pour le conduire au Temple de St. Pierre et le reconduire chez lui. Im Januar 1769 teilte der Premier Syndic Jean Louis Saladin dem Rate mit, daß Usedom bei ihm gewesen sei pour se plaindre des ordres que des huissiers avoient donnés aux domestiques de Son AItesse de mener les chevaux de Sa dite Altesse au pas dans la Ville et du bruit que font les enfans sous le Parapet à la place de la Corraterie: sofort wurde der Noble Philibert Gramer, Seigneur Conseiller, beauftragt, sich zum Prinzen zu begeben, und berichtete dann dem Rat, daß il avoit été chez le Prince et lui avoit témoigné soit à son Gouverneur le désir qu’a le Conseil de rendre le séjour de notre Ville agréable au Prince en tout ce qui peut dépendre de lui, qu’il n’y a eut aucune affectation dans ce que quelques huisiers ont pu dire aux domestiques de Son Altesse, que ces huissiers sont chargés de veiller à l’exécution d’une publication faite pour prévenir les accidens que peuvent causer les cochers en conduisant les voitures dans la Ville avec trop de précipitation, qu’on leur avoit ordonné de parler avec plus de circonspection et de ménagement et qu’à l’égard des enfans qui ont coutume de s’assembler pour se divertir sur la Corraterie, on feroit veiller à ce qu’ils ne jettent aucune pierre et ne commettent aucun désordre, que le Prince et son Gouverneur avoient parus sensibles à cette attention du Conseil et l’avoient prié de l’en remercier.

Die Stelle eines ersten Informators blieb nach Schildts Abgang einige Monate hindurch unbesetzt, erst am 18. Mai 1769 wurde der Magister Glöckler engagiert, der bis dahin Stipendiarius des herzoglichen Consistoriums in Stuttgart war und vom Consistorium zur Übernahme der Informatorstelle auf einige Jahre beurlaubt wurde. Ob der Studienplan des Prinzen in Genf wesentliche Änderungen erfuhr, ist zweifelhaft; von Privatlehrern werden in den Rechnungen genannt der Schreiblehrer Durussel, der Klavierlehrer Scherer, der Zeichenlehrer Vanière, ein Tanzmeister und ein Sprachlehrer werden nicht mehr erwähnt, dafür aber ein Fechtmeister Ponçon. Unterbrochen scheinen die Lehrstunden nur gewesen zu sein durch eine einmal beiläufig erwähnte Reise des Prinzen nach Mecklenburg im Dezember 1770 - wohl zur Feier des Weihnachtsfestes-, über die genauere Angaben fehlen.

Daß der Prinz auch in Genf in der Gesellschaft verkehrte, noch mehr als in Lausanne, verraten uns wieder die vielen Rechnungsvermerke über Trinkgelder „da der Prinz außer Hause speisete“. Aus gelegentlichen Erwähnungen ersehen wir, daß er eingeführt war in die Häuser Genfer Patrizier und vornehmer Mitglieder der Fremdenkolonie, aber er war auch, wie wir sehen werden, häufiger Gast im Hause des reformierten Predigers Diodati. Den ersten Anlaß zum Verkehr mit ihm könnte der Umstand gegeben haben, daß Diodati einen Teil des Thellussonschen Hauses bewohnte, als es für den Prinzen gemietet wurde.

Zu den vornehmen Fremden, mit denen der Prinz Beziehungen unterhielt, gehörte der seit Jahren in Genf verweilende Lord Stanhope, und in Verbindung mit diesem erscheint sein Name auch einmal in der Öffentlichkeit. Stanhope war Mitglied der hochangesehenen Bogenschützengilde, der Compagnie du Noble Exercice de l’Arc und hatte, als nach längerer, durch die politischen Unruhen veranlaßter Unterbrechung die Gilde im Juni 1771 ihre Übungen wieder aufnahm, durch einen Meisterschuß sich das Recht auf die Würde des Commandeurs erworben. Diese Würde aber durfte nach dem Gesetz nur ein Bürger von Genf bekleiden; um dem Lord die Möglichkeit der Annahme zu gewähren, ließ ihm der Rat feierlichst den Bürgerbrief überreichen und der so Geehrte, um sich erkenntlich zu zeigen, veranstaltete eine Reihe glänzender Festlichkeiten, die am 28. Juni mit einem Prunkmahl im Hotel de Ville eröffnet wurden. 5) In feierlichem Zuge begaben sich die geladenen Gäste von Stanhopes Wohnung durch die Stadt zum Hotel de Ville: „Tel étoit l’ordre de la marche: Mylord Commandeur paroissoit d’abord entre Mr le Seigneur Commis et un autre Membre du Petit Conseil; le Prince de Mecklembourg-Swérin venoit ensuite, puis Mylord Stanhope (der Vater des Gastgebers), le Chambellan gouverneur du Prince, l’ancien Commandeur et les Rois des trois autres Exercices, tous entre des Membres du Magnifique Conseil ou de la Justice; divers Lords et autres personnes de distinction suivoient deux à deux etc.“ An der Ehrentafel saß auch der Prinz Friedrich Franz; der „Ordre dans lequel les santés furent portées au repas du 28 Juin 1771“ verzeichnet an dritter Stelle „celle de son Altesse Sérénissime le Prince de Mecklembourg-Schwérin qui nous honore de sa présence,“ ausgebracht „par Mylord Commandeur“.

Wenige Wochen nach diesem Fest verließ der Prinz Genf. Es ist sicherlich nicht richtig, daß Herzog Friedrich damals schon die Ausbildung seines Neffen für beendet angesehen habe, wie gewöhnlich angegeben wird; das ergibt sich schon daraus, daß, wie wir sahen, die Wohnung für den Prinzen bis zum 1. Oktober 1772 gemietet war. Der Grund für die Rückberufung des Prinzen lag vielmehr darin, daß sowohl der Herzog als auch Prinz Ludwig mit Usedoms Führung in jener Zeit sehr unzufrieden waren - worauf wir zurückkommen werden - und in den Verhältnissen, in die er sich begeben hatte, eine direkte Gefahr für den Prinzen sahen.

Schon am 15. Juli wurde das Regierungs-Collegium davon in Kenntnis gesetzt: „Serenissimus haben dem Cammer-Herrn von Usedom schreiben lassen, daß derselbe mit dem Durchl. Printzen zurück kommen solte.“ Diesem Befehl, der ihn nach Lage der Dinge heftig erschüttern mußte, konnte Usedom nicht Folge leisten; er erkrankte, ein Kabinettsschreiben vom 15. August teilte dem Regierungs-Collegium mit: „Da der Cammer-Herr von Usedom so sehr krank geworden, daß er auch sogar seiner Sinne nicht allemahl mächtig seyn soll; So tragen S mus Bedenken ihm die Rück - Reise mit dem Durchl. Printzen hierher machen zu laßen. HöchstDieselben wollen demnach den Major von Restorff dahin absenden und den Durchl. Printzen auf solcher Reise durch ihn begleiten laßen.“ Am 28. August reiste Restorff mit dem Prinzen von Genf ab und traf am 24. September mit ihm in Ludwigslust ein. Zu diesem Tage widmete ein Anonymus der Mutter des Prinzen ein Gedicht, in dem es heißt:

      Wie war Dir, da Er wieder kam
      Und Deinen Segen von Dir nahm?
      Es wallte Dir Sein Herz entgegen,
      Es sagte Dir Sein Herz, es walle Deinentwegen.

      Da goß in Deine frohe Brust
      Der Schöpfer nahmenlose Luft;
      Die stumme Rede-Kunft der Zähren -
      Wer könnte ihr Gefühl, und ihre Kraft erklähren?

Der berüchtigte Ferdinand Ambrosius Fidler aber, damals Hülfsprediger in Ludwigslust, wagte zur Begrüßung des Heimgekehrten von der Kanzel herab zu sagen: „Der junge gnädige Herr sei nun zwar aus Genf zurückgekommen, habe aber vom Christen nichts mitgebracht als den Rock; es stehe indessen zu hoffen, daß es dem ehrwürdigen Amtsbruder, dem Herrn Hof-Prediger, gelingen werde, einen Menschen und Christen aus ihm zu bilden.“




4) Die am Ende jedes Schuljahres (Mitte Juni) stattfindenden Promdions, d. h. die mit Verteilung von Preisen verbundenen Versetzungen der Schüler des Collège de Genève fanden seit Calvins Zeit in der Kirche St. Pierre statt; sie hatten sich im Laufe der Jahre nicht nur zu einem Fest für die Schüler und deren Angehörige, sondern zu einer wahren Nationalfeier gestaltet. S. darüber die Histoire du Collège de Genève (Genève 1896) cbapitre XXIII: Promotions p. 197 ss.
5) S. darüber N. Chenevière, „Relation des réjouissances faites à Genève à l’occasion de Mylord Charles Stanhope, Vicomte de Mahon, Commandeur du Noble Exercice de l’Arc“, 1771; s. besonders S. 19 und 42.