Großes Malheur.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1900
Autor: Atlantic, Erscheinungsjahr: 1900

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Familie, Kinder, Pädagogik, Erziehung, Strafen, Geschwister
Wenn man nur Hermann Kaulbachs schwermütiges Gemälde „An der Grabstätte des Freundes“ in der Münchner Neuen Pinakothek oder seine figurenreichen historischen Genrebilder kennt, so sollte man es kaum für möglich halten, dass der Sohn Wilhelms v. Kaulbach auch naive Bilder aus dem alltäglichen Leben schaffen könne. Und dennoch vermag er auch das, wofür sein Gemälde „Großes Malheur! (siehe den Holzschnitt auf S. 27) einen Beleg liefert.

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Der Seppl ist ein kräftiger, gesunder Bub, und dass die nicht so zimperlich und artig sein können, wie Mädchen, das weiß jeder. Auch Seppls Mutter möchte beileibe nicht, dass er ein Kopfhänger und Duckmäuser wäre, andererseits aber kann sie doch auch nicht damit einverstanden sein, wenn er ihr beinahe ein um den anderen Tag mit Löchern in Wams, Hose oder Strümpfen aus der Schule oder vom Spiel heimkommt. Sie hat das dem Vater geklagt, und dieser daraufhin seinem Sohne im Wiederholungsfalle mit bezeichnender Handbewegung eine derbe Strafe in Aussicht gestellt. Der Vater pflegt nicht zu spaßen, und Seppl hat sich sehr vorgenommen, recht bedachtsam und vorsichtig zu sein, damit nichts passiere. Heute aber ist es beim Räuber- und Gendarmenspiel wieder einmal recht heiß hergegangen, und im Eifer hat Seppl die sich selber angelobte Vorsicht dennoch außeracht gelassen. Das Ergebnis ist ein „großes Malheur“ ein gewaltiger Riss im Strumpf, wodurch die Aussicht auf das väterliche Strafgericht unheimlich nahe gerückt wird. Doch des Nachbars Marie, der er sein Leid klagt, erweist sich als Helferin und Retterin. Gutherzig vergisst sie so manchen Schabernack, den ihr der Seppl schon gespielt hat, und macht sich, wie uns das Bild zeigt, sogleich mit Nadel und Faden ans Werk der Ausbesserung, wobei es nicht an teilnehmenden Zuschauern fehlt. Köstlich ist die vor dem Knirps mit dem abgebrochenen Schaukelpferd im Arm auf einem Schemel sitzende Kleine; sie freut sich schon auf den Moment, da sie, wenn Marie fertig ist, mit der bereitgehaltenen Schere den Faden durchschneiden darf.

Familie, Mutter und Kinder, Großes Malheur

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