8. Kapitel - Um die Mittagszeit des nämlichen Tages hatte Agelastes eine Unterredung mit Achilles ...

Um die Mittagszeit des nämlichen Tages hatte Agelastes eine Unterredung mit Achilles Tatius in dem verfallenen ägyptischen Tempel, wo er sich früher mit Hereward, dem Waräger, getroffen hatte.

»Jetzt, da wir vor den Gefahren stehen, die sich auf Deinem Wege zur Größe Dir entgegenstellen mußten,« begann Agelastes, ruhig und gleichmütig wie immer, »willst Du es dem törichten Knaben gleichtun, der ängstlich auf und davon läuft, nachdem er die Schleuse vom Wehre gezogen?«


»Du tust mir unrecht, Agelastes,« erwiderte der Akoluth, vergleiche mich eher dem Seemanne, der, zur Fahrt entschlossen, besorgt zurück nach dem Ufer blickt, das er vielleicht nimmer wiedersieht.«

»Mag sein! Indessen scheint's mir Mannesplicht, die Rechnung im voraus zu machen, nicht aber hinterher! Der Enkel Algurichs, des Hunnen, hätte erst wägen sollen, bevor er wagte, die Hand nach der Krone seines Herrschers auszustrecken.«

»Still!« flüsterte Tatius; »Du weißt, noch ist das ein Geheimnis zwischen Dir und mir. Wo wären wir, wenn der Cäsar davon erführe?«

»Wahrscheinlich verdorrten unsere Leiber am Galgen,« versetzte Agelastes, »während unsere Seelen im Aether schweifen würden, auf der Suche nach weiteren Geheimnissen, vielleicht solchen, die sicherer wären als die, denen wir hier nachspüren konnten.« – »Die Möglichkeit solches Schicksales dürfte uns zur Vorsicht mahnen,« erwiderte der Akoluth, die Stimme dämpfend; »denn steinerne Wände haben Ohren!« – »Nun denn, Du vorsichtigster aller Thronkandidaten,« sagte Agelastes, »so laß Dir sagen, daß Nikephoros in dem Wahne lebt, die Thronfolge sei ihm sicher, sofern es zur Wahl nach Alexius' Abscheiden kommen sollte. Er verläßt sich in dieser Sache völlig auf Dich und mich, denn eine tolle Passion, die ihn befallen hat, verrückt ihm das bißchen Verstand, über das er verfügt, vollständig. Wißt Ihr auch, wem diese Passion gilt? Dem Weibe des Franken Robert, oder vielmehr jenem Zwitter von Weib und Mann, das mit diesem Eisenfresser von christlichem Ritter ins Feld rückt!« – »Aber was kann aus solcher Narretei anders hervorgehen als zerschlagene Knochen?« fragte Tatius. – »Er pocht auf seine schöne Gestalt, die ihm bei mancher griechischen Dame das Terrain gesichert hat!« sagte Agelastes. »Vielleicht betrügt ihn diese Zuversicht ebenso, wie die auf seinen Anspruch als Cäsar auf die Thronfolge.«

»Vielleicht!« wiederholte der andere.

»Vorläufig habe ich ihm ein Stelldichein mit seiner Brabamante in Aussicht gestellt,« bemerkte der Philosoph lächelnd, »hoffentlich gelingt es ihr, seine verliebte Seele von dem schönen Leibe zu trennen!«

»Hoffentlich hast Du nicht unterlassen, Dir dafür diejenigen Vollmachten von ihm ausstellen zu lassen, zu deren Ausstellung er die Befugnis hat?« – »Solche Gelegenheit konnte sich bloß ein Dümmerer als ich entgehen lassen,« sagte Agelastes, »freilich muß ich mir sagen, daß ich wider Altar und Charakter handle; immerhin schäme ich mich nicht, solche Narretei zu fördern, weil sie dazu führen dürfte, aus einem ehrenwerten Akoluthen einen tüchtigen Kaiser zu machen, Aber wie weit bist Du mit der Warägergarde?«

»Nicht so weit, wie ich sein möchte,« versetzte Tatius, »immerhin darf ich ein Dutzend zu meinen unbedingten Anhängern zählen. Ist der Cäsar beseitigt, so wird kaum einer von ihnen mir die Heerfolge verweigern.« – »Und der Zenturio, den Alexius zu jenem Leseabend bestimmte?« – »Schade! bei ihm habe ich nichts ausgerichtet; und doch würden ihm alle Kameraden sich anschließen, denn er ist außerordentlich beliebt in der Garde. Zurzeit ist er dem tollen Grafen als Wächter beigeordnet; vielleicht wird er dann vom Kaiser den Kreuzfahrern ausgeliefert. Das bringt uns aber alles von dem Hauptthema ab: Wie verhalten wir uns gegenüber dem Kaiser?«

»Darüber werden wir doch immer erst den Cäsar aushorchen müssen, ohne Rücksicht auf die tolle Passion, die ihn beherrscht,« erwiderte Agelastes, »wenngleich meine Ansicht dahin geht, daß Alexius heute den Thron zum letzten Male besteigen dürfte.« – »Laß es mich, sollte Deine Voraussetzung zutreffen, recht bald wissen, damit ich mich der Schar der Unsterblichen versichere und die Waräger, auf die ich mich verlassen kann, auf diejenigen Posten verteile, die mir als die gefährdetsten erscheinen.« – »Verlaß Dich darauf!« sagte Agelastes, »aber noch eine Frage: was soll mit der Gemahlin des Cäsars werden?« – »Schaffe sie irgend wohin, wo ich von ihrem langweiligen Geschreibsel nichts mehr höre,« erwiderte der Akoluth; »könnte sie davon lassen, so möchte ich mich schon eher mit ihr befassen, und ihr den Ausweis dafür bringen, welcher Unterschied obwaltet zwischen einem rechten Kaiser und diesem Schemen von Briennios, der so viel Wesens von sich macht, ohne daß er imstande ist, ein Weib zu beglücken.«

Hierauf ging der Akoluth, stolzer als je vorher, und der Philosoph blickte ihm boshaft nach. »Auch einer von jenen Gecken,« brummte er vor sich hin, »die aus Verblendung die Fackel nicht sehen, die sie verzehren muß. Der, und den Cäsar, diesen pfiffigen Selbstling, umstricken? Nein! nein! Anna Komnena, wenn sie zur Witwe werden soll, darf keinem solchen Halbbarbaren Untertan werden! Das wäre ja schade um solchen Schatz von Witz und Genie! Ihr gebührt ein Gemahl von echtgriechischer Abkunft und einer Bildung, die der ihrigen die Wage hält. Das erst wird dem Throne von Byzanz den wahren Glanz verleihen!« Er ging stolz ein paarmal in dem Raume auf und nieder. »Doch wenn Anna Komnena Kaiserin werden soll, so muß notwendigerweise die Beseitigung des Kaisers Alexius, ihres Vaters, vorausgehen. Wäre das schlimm? Hm, ich sollte meinen, kein Kaiser hätte sich, um ans Ruder zu kommen, davor gescheut, seinen Vorfahren zu beseitigen! Sollte also ich es tun? Laßt sich nicht Blut vergießen, ohne daß man sich die Hand dabei befleckt?« – Er trat zur Tür und rief Diogenes, um ihn zu fragen, ob die fränkische Dame weggebracht worden sei?

– Der Sklave nickte stumm. – »Und wie benahm sie sich dabei?«

– »Ganz ruhig, als sie hörte, Ihr hättet es so angeordnet. Erst war sie gar nicht einverstanden damit, daß sie von ihrem Gemahl getrennt werden solle, und hat, wie verlautet, ein paar von den Sklaven niedergeschlagen, die sie wegbringen sollten. Mich aber erkannte sie sogleich wieder und als ich ihr sagte, Ihr bötet ihr für die nächste Zeit schickliche Unterkunft, erklärte sie sich auf der Stelle bereit, mitzugehen. Ich habe sie, Eurem Befehle gemäß, in dem der Kythere geweihten Gartenhause untergebracht.«

»Sehr nett von Dir, mein Diogenes!« erwiderte der Philosoph, »Du gleichest den Genien, die einem morgenländischen Talisman dienen; ich winke Dir, und mein Wunsch ist erfüllt.« Als der Neger nach einem tiefen Bücklinge durch die Tür verschwunden war, sprach Agelastes vor sich hin: »Vergiß aber nicht, Sklave, daß es gefährlich ist, zu viel zu wissen! Und mir scheint, das fängt nachgerade an, zwischen mir und Dir zu gelten!«

Da wurde dreimal gegen eines der Bilder geklopft, die so beschaffen waren, daß sie das Echo zurückgaben. »Ein Verschworener, der so spät noch kommt?« sprach er weiter, »wer mag das sein?« Er berührte das Bild der Isis mit seinem Stabe; es drehte sich, und vor ihn hin trat der Cäsar Nikephoros Briennios, Agelastes empfing ihn mit ernster Würde. »Ihr kommt, wie ich hoffe, in der Absicht, mir zu sagen, daß Ihr Euch die Sache mit der fränkischen Dame anders überlegt habt, nicht wahr?« fragte Agelastes. – »Nicht im mindesten, Philosophus,« versetzte der Cäsar, »meinst Du, ich hätte mir das Ding soviel Mühe kosten lassen, um jetzt auf einmal abzuschwenken? Die Huld der Venus ist der Lohn für die Plage, die der Mars über uns verhängt; ich wäre mit dem Kriegsgotte recht bald fertig, wenn mir nicht um Venus zu tun wäre.« – »Gegen die ungewisse Gunst eines Weibes setzt Eure Hoheit ein Kaiserreich? Und Euer Leben? Auch dasjenige aller Mitverschworenen? Dabei hat dieses Weib, das halb Teufel ist, halb Mensch, entschieden das Zeug in sich, unsern Plan zu gefährden! Zeigt sie sich Euch willig, so wird sie Euch nicht von sich lassen wollen; hält sie es hingegen, wie fast alle meinen, die sie kennen, nach wie vor mit ihrem Ehemanne, so habt Ihr alle Ursache, Euch vor einer neuerlichen Zumutung in acht zu nehmen, nachdem sie Eure erste so derb abgewiesen.«

»Du predigst tauben Ohren, alter Brummbär!« rief lachend Nikephoros, »magst Du noch so gelehrt sein, eine Wissenschaft geht Dir doch ab, und das ist diejenige vom schönen Geschlecht! Was soll ich mit Dir darüber reden? Meinst Du, ich hätte Lust dazu? Oeffne mir die Pforte, die mich aus diesen Trümmern nach dem ersehnten Liebeshaine führt!«

»Euer Wille geschehe!« versetzte, mit einem erzwungenen Seufzer, Agelastes. – »Diogenes, herbei!« rief der Cäsar, »sobald Du gerufen wirst, ist Unheil ja niemals fern. Oeffne die Pforte! möge Unheil, wenn es kommt, mich treffen!« Diogenes blickte auf seinen Herrn, der ihm winkte, den Befehl des Cäsars zu erfüllen. Darauf schritt Diogenes zu einer Stelle der verfallenen Mauer, um sorgfältig das Gebüsch, das sie versteckte, zu beseitigen. Eine kleine Pforte zeigte sich alsbald, verdeckt durch Quadersteine, die der Sklave heraushob, aber Stück für Stück neben der Pforte aufschichtete, wie wenn er sie später wieder zubauen wollte. »Bleib, bis ich zurückkehre, hier stehen und laß niemand mir folgen!« befahl Nikephoros dem Neger und nahm ihm die Laterne aus der Hand, die er hatte anzünden müssen, um das Schlüsselloch der Pforte zu finden.

»Ich will Euch nicht in den Garten der Kythere folgen,« sagte Agelastes, »denn ich würde dort ein zu bejahrter Galan sein; Ihr habt ja den Weg schon öfter gemacht und dürftet ihn also kennen.« – »Sehr brav von Dir, mein Agelast,« erwiderte der Philosoph, »daß Du Dein Alter vergissest, um jüngeren Freunden das Feld zu ebnen!«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Graf Robert von Paris