10. Kapitel. - »Er hat die Forderung angenommen?« fragte Graf Robert, indem er kopfschüttelnd ...

»Er hat die Forderung angenommen?« fragte Graf Robert, indem er kopfschüttelnd den Waräger ansah, »er vermutet freilich nicht, welche Gewandtheit und Stärke ein Weib in der edlen Fechtkunst sich aneignen kann!« – »Und ich möchte sagen, es bedünkt mir, als ob Eure edle Gemahlin ein zu großes Selbstvertrauen besäße, denn der Cäsar ist ganz gewiß nicht bloß ein schöner, sondern auch ein sehr starker Mann, der die Waffen wohl zu führen weiß, und sich zudem weniger an die Gesetze der Ehre für gebunden erachtet als irgend welcher Ritter des Abendlandes. Seiner Meinung nach gibt es allerhand Vorteile für sich zu nützen, die jeder Ritter von Eurem Schlage verschmähen würde. Indessen will ich jetzt nicht weiter darüber sprechen; denn es erscheint mir für gebotener, Euch in Sicherheit zu bringen; ist doch der Paukenschlag, den wir eben hörten, ein Zeichen, daß sich andere Verschworene nahen. Gehen wir zu einer andern Pforte hinaus, als wir hereingekommen sind. Ich an Eurer Statt besänne mich keinen Augenblick, zu dem so ziemlich einzig sicheren Auskunftsmittel zu greifen, das Euch in Eurer Lage bleibt.« – »Und das wäre?« – »Flucht über die Meerenge und sofortige Rücksprache mit dem Grafen von Bouillon,« erwiderte der Waräger, »gibt er Euch eine entsprechende Anzahl von Rittern mit, die Euch in die Lage setzen, die Freigabe Eurer in solch niederträchtiger Gefangenschaft gehaltenen Gemahlin unter Androhung eines unverzüglichen Angriffes auf Stadt und Burg zu fordern, so dürftet Ihr sichere Aussicht haben, Eure Gemahlin vor den immerhin bedenklichen Folgen eines solchen Zweikampfes zu bewahren.«

»Und Du meinst, Gottfried von Bouillon ließe sich bestimmen, mitten in seinem Zuge gegen das Heilige Land um solcher privaten Angelegenheit willen, die ihm vielleicht gar als Bagatelle erscheint, inne zu halten? Oder glaubst Du, die Gräfin möchte sich bestimmen lassen, durch Rücktritt von einer Forderung zum Kampfe, ihre Ehre zu beflecken? Das sei ferne!« – »Und Ihr wollt Euch drein finden,« fragte der Waräger, »daß Eures Weibes Schicksal am Faden solch eines ungleichen Kampfes hängt? Ich muß Euch sagen, daß es mir an Scharfsinn gebricht, dafür ein Verständnis zu finden.« – »Anders als durch ein Unglück oder Verrat kann Brenhilde nicht fallen; daraufhin warte ich den Zweikampf ruhigen Herzens ab; und sollte mein Gemahl wirklich unterliegen, so würde ich in die Schranken treten und den Cäsar für dasjenige erklären, was er ist: für einen ehrlosen Wicht, unter Anrufung aller Edlen zu Zeugen... und die letzte Entscheidung Gott dem Allmächtigen anheimgeben!«


»Das wäre ja alles recht gut und schön,« erwiderte kopfschüttelnd der Waräger, »fände solcher Zweikampf statt angesichts Eurer Landsleute! Die Griechen dürften jedoch hinter dem Verhalten ihres Cäsars kaum etwas anderes erblicken als eine statthafte Hinterlist zur Befriedigung eines niemand zu verdenkenden sinnlichen Verlangens!« – »Ein Volk, das solche Anschauungen billigt, muß ja untergehen,« rief Graf Robert, »denn es wird schließlich ruhig zusehen, wie seine Weiber und Töchter von feindlichen Barbaren vergewaltigt werden,« – »Ihr habt, wie ich sehe,« versetzte der Waräger, »Euren Entschluß gefaßt, und ich kann nicht umhin, zuzugeben, daß er Eurem tapferen Sinne Ehre macht. Auch mein Sehnen ist es schon lange, statt dieses kläglichen Söldnerdienstes das Leben für eine redliche Sache einzusetzen. Zudem will mich bedünken, als könnte ich auf diesem Wege am besten und sichersten Rechte und Leben meines Kaisers wahren; denn es kann ihm doch nur damit gedient sein, wenn er, ohne selbst etwas dazu zu tun, von solchem undankbaren, unruhigen Schwiegersohne befreit wird. Gut denn, edler Graf, ich unterwerfe mich im gegenwärtigen Falle Eurer Meinung, mit dem Vorbehalte jedoch, daß es mir freistehen soll, Eure Flucht, die ich nach wie vor fördern werde, im Blachernä-Palaste zur Anzeige zu bringen. Die Klugheit schreibt solches Verhalten unbedingt vor. Sodann wollt Ihr mir sagen, wo Ihr Euch zu verbergen vorhabt, denn daß sehr scharfe Nachforschungen nach Eurem Verbleib angestellt werden, müßt Ihr als zweifellos ansehen.«

»Hierin muß ich mich ganz auf Deinen Rat verlassen,« antwortete der Graf; »Du weißt ja doch, daß ich weder in Konstantinopel noch im Blachernä-Palaste Bescheid weiß.« – »So möchte ich dafür halten,« erwiderte der Waräger, »daß Ihr Euch fürs erste am sichersten befinden dürftet in der Warägerkaserne, in meiner allerdings höchst bescheidenen Wachtstube. Da, nehmt meinen Mantel um und folgt mir! Wir werden den Garten bald hinter uns haben, und außerhalb desselben wird jedermann geneigt sein, Euch mit mir zusammen für eine Patrouille zu halten, die zu irgend welchem Zwecke unterwegs ist. Daß sich kein Grieche lange damit befaßt, uns Warägern hinterher zu blicken, wird uns von recht großem Vorteil sein.«

Bald hatten sie das Gartentür wieder passiert und eilten auf Nebenwegen, Hereward voran, der Stadt zu und auf dem kürzesten Wege durch deren Straßen nach der Kaserne. Dort mahnte die Schildwache zur Eile, da alles schon beim Essen sei. Hereward, froh, daß sein Begleiter ohne Umstände passieren durfte, führte den Grafen in die kleine Zelle, die sonst von seinem Burschen bewohnt wurde, erklärte, ihn auf kurze Zeit hier allein lassen zu müssen, und verließ ihn, nachdem er die Tür hinter sich, aus Vorsicht, wie er sagte, daß kein Unberufener den Grafen störe, abgeschlossen hatte.

Den Grafen mit seinen Betrachtungen allein lassend, ohne sich daran zu kehren, ob sich dieselben dem Argwohn zuneigen möchten oder nicht, eilte Hereward, so schnell ihn die Füße tragen wollten, zu den Gärten des Philosophen zurück. Am Tore empfing ihn dieselbe alte Negerin, die ihn vordem eingelassen hatte. Auf seine Frage nach Achilles Tatius erklärte sie: »Seltsam, daß Ihr ihn nicht heute morgen gesehen haben solltet, da Ihr doch hier wart! Der Akoluth ist kurz nach Euch gekommen und hat auch gleich nach Euch gefragt. Ihr hättet doch warten können, bis er da war.« – »Was geht's Dich an, Alte, wie ich mich verhalte? Rechenschaft darüber werde ich schon meinem Vorgesetzten geben, aber nicht Dir!«

Einen Seitenpfad entlangschreitend, gelangte er zu jenem Pavillon, an dessen Wand er das Gespräch zwischen dem Cäsar und Graf Roberts Gemahlin belauscht hatte. Unfern davon stand ein schlichtes Gartenhaus, das dem Philosophen zur Wohnung diente. Hier machte er sich durch ein Zeichen bemerklich, und Achilles Tatius trat alsbald auf die Schwelle. »Nun, was bringt mir mein Getreuer,« fragte er freundlich, »zu solch ungewohnter Tageszeit? Etwas Wichtiges muß es wohl sein, das Dich veranlaßt, mich in der Mittagsstunde zu stören?« – »Euer Edlen geruhten mir die Morgenrunde im Blachernä-Palaste zu übergeben, und zwar in der Kerkerabteilung, wo der Verräter Ursel und gestern auch der tolle Frankengraf eingesperrt wurde.« – »Jawohl,« erwiderte der Akoluth, »weiter?« – »Der Graf ist ausgebrochen, nachdem er den Waldmenschen Sylvan, der ihm in den Weg geriet, als er Ursel Brot und Wasser zutrug, niedergeschlagen und dem Tiger, der in seiner Zelle angekettet lag, den Schädel mit einem Holzschemel zertrümmert hat.« – »Warum hast Du nicht sofort Lärm geschlagen und alles zur Verfolgung aufgeboten?« – »Ich wußte nicht, ob das geraten sei ohne Euren bestimmten Befehl,« versetzte der Waräger, »denn ich befürchtete, daß zu viel Lärm am Ende gegen Euch selbst hätte Verdacht wachrufen können.« – »Deine Vorsicht verdient alles Lob,« erwiderte Achilles Tatius im Flüstertone, »immerhin geht es nicht an, daß die Flucht des Gefangenen verheimlicht werde; sonst könnten wir noch weit eher in solchen Verdacht kommen, wie Du schon befürchtet hast, wohin kann der Flüchtling sich gewandt haben? Sicher doch über den Bosporus, um seine Landsleute gegen uns zu hetzen!«

»Das steht allerdings zu fürchten,« erwiderte der Waräger, »denn falls der Graf sich von jemand hat raten lassen, der mit den hier herrschenden Verhältnissen vertraut ist, so kann ihm kein anderer Rat gegeben worden sein.« – »Die Rückkehr wird ihm aber nicht gelingen,« erwiderte der Akoluth, »denn der Kaiser hat befohlen, daß am jenseitigen Ufer kein Schiff oder Boot halten oder anlegen, und jedes, das Kreuzfahrer hinübergebracht hat, auf der Stelle unbefrachtet zurückkehren solle.« – »Es wäre mithin bloß zweierlei möglich,« sagte der Waräger, »entweder, der Graf ist über den Bosporus entwichen und entbehrt dort der Möglichkeit, wieder zurückzukehren, oder er hält sich noch in Konstantinopel auf, außer stande, jemand zu finden, der sich seiner annähme und seine Sache verträte, aber in beiden Fällen möchte es mir richtiger erscheinen, den Palast nicht zu beunruhigen; es liegt mir jedoch ferne, Eurer besseren Weisheit vorgreifen zu wollen; ferner dürfte auch der weise Agelastes ein geschickterer Ratgeber sein als ich.«

Der Akoluth schüttelte lebhaft mit dem Kopfe. »Nein, nein!« rief er, »wir sind ja ganz gut befreundet, der Philosoph und ich; aber so weit geht unsere Freundschaft bei weitem nicht, daß ich mich beeilen möchte, dem Kaiser den Kopf vor die Füße zu legen, damit er dem Philosophen erhalten bleibe. Darum ist's mir lieber, es wird von dem unseligen Ereignis vorderhand überhaupt nicht gesprochen. Hingegen sollst Du von mir Vollmacht bekommen, den Grafen zu fahnden, sei es lebendig oder tot, und sobald es Dir gelungen, mir Bericht darüber zu erstatten, zu jeder Tageszeit, aber nur in meinem Palaste. Geh' behutsam wider ihn vor, denn vielleicht gelingt es mir, ihn zum Danke zu verpflichten dadurch, daß ich mittels der Aexte meiner Waräger sein Eheweib aus den ihr drohenden Gefahren befreie. Wer könnte etwas dawider haben?« – »Wohl niemand, da es doch einer höchst gerechten Sache gälte.«

Der Akoluth stutzte. »Wie meinst Du diese Worte?« fragte er; »aber ich weiß ja, daß Du bei all Deinem Tun Dich an den recht- und gesetzmäßigen Befehl Deines Vorgesetzten hältst; mithin muß es auch Pflicht für mich sein, auf Deine Bedenken Rücksicht zu nehmen. Aber,« setzte er nach einiger Ueberlegung hinzu, »es möchte gut sein, Du verweiltest nicht länger hier, sondern machtest Dich gleich auf den Weg nach der Kaserne. Agelastes braucht Dich nicht zu sehen, so wenig, wie er schon jetzt etwas zu wissen braucht. Sobald ich in der Kaserne bin, sollst Du die Vollmacht haben; einstweilen handle ohne sie schon so, als wenn Du sie in Händen hättest!«

Der Waräger machte sich ohne Säumen auf den Rückweg, in Zwiespalt mit sich darüber, daß er, wenn nicht unmittelbar gelogen, so doch die Wahrheit in bedenklichem Grade bemäntelt oder verschwiegen hatte, und daß es ihm trotzdem geglückt sei, mehr von seinem Vorgesetzten zu erreichen, als er jemals für möglich gehalten hätte; aber er nahm sich vor, dem Teufel der Lüge nicht weiter zu folgen. Er wurde unvermutet aus diesen Gedanken gerissen durch den Anblick eines Geschöpfes, das nicht bloß größer war als ein Mensch, sondern auch erhebliche Abweichungen in seinem Körperbau von einem solchen aufwies und bis auf das Gesicht von einem Haarpelz von tiefroter Farbe bedeckt war... Um die eine seiner Tatzen oder Hände trug das Geschöpf ein Tuch gewickelt, was auf eine gefährliche Verletzung schließen ließ. Sein Gesichtsausdruck war verzagt und widerwärtig. Im ersten Augenblicke dachte Hereward – so vertieft war er in seine Gedanken – den Teufel in Person vor sich zu haben; als er aber den ersten Schreck überwunden hatte, erkannte er ohne weiteres Sylvan, den Waldmenschen.

»Oho!« rief er, »Hast Dich wohl expreß hierher retiriert, um Dir den Wanst mit leckerem Obst zu füllen? Laß Dich bloß nicht erwischen, alter Freund!« – Der Orang-Utang stimmte ein widerliches Geschnatter an, – »Ich verstehe schon,« sagte Hereward wieder, »willst mir nichts vorschwatzen? He?... Na, schon gut! Mehr traue ich Dir schließlich als meinen zweibeinigen Kameraden vom Stamme Mensch, die einander aller Minuten über die Ohren oder eins über den Schädel hauen!«

In der andern Minute war der Affe verschwunden. Gleich darauf aber drang Angstgeschrei zu Herewards Ohren – aus Weibesmunde – und Hereward, der eigenen, gefährlichen Lage im Nu vergessend, machte kehrt und rannte in der Richtung, aus welcher die Hilferufe erklangen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Graf Robert von Paris