7. Kapitel. - Zeitig am andern Vormittag versammelte sich der Staatsrat; die große Anzahl hoher Kronbeamten mit wuchtigen Titeln war ebenso darauf berechnet...

Zeitig am andern Vormittag versammelte sich der Staatsrat; die große Anzahl hoher Kronbeamten mit wuchtigen Titeln war ebenso darauf berechnet, die Schwäche des Reiches zu bemänteln, wie die stattliche Menge von Offizieren, um über den geringen Mannschaftsstand des Heeres zu täuschen. Es war demnach ein gar langer Schweif von betreßten und uniformierten Herren, die in die große Haupthalle des Blachernä-Palastes eintraten, aber die zeremoniellen Vorschriften an diesem despotischesten aller Höfe waren so ausgeklügelt und verzopft, daß in jedem Gemache, wohin der Zug gelangte, einige davon zurückblieben, weil ihnen ihr Rang den weiteren Zutritt wehrte. Bis zum eigentlichen Audienzsaale waren der Gemächer gerade ein Dutzend zu passieren, und so waren schließlich gerade noch fünf Personen übrig geblieben, die bis zu dem innersten und heiligsten Gemache der kaiserlichen Würde, das mit allem Prunke des Zeitalters ausgestattet war, vordringen durften.
Kaiser Alexius saß auf einem herrlichen Throne, der mit Edelsteinen und Gold überladen und zu beiden Seiten, wahrscheinlich zur Nachahmung salomonischer Pracht, mit einem ruhenden goldenen Löwen dekoriert war. Ueberschattet wurde der Thron von den goldenen Zweigen eines Baumes, dessen goldener Stamm seine Rückseite bildete; auf den Aesten und Zweigen, wie unter dem Laube, glitzerten allerhand künstliche Vögel und Insekten in der schillerndsten Farbenpracht, und die mannigfachsten Früchte, sämtlich aus Juwelen und Edelsteinen zierlich gebildet, hingen von den Aesten und Zweigen hernieder.
Dieses geheiligte Gemach zu betreten, war das ausschließliche Recht der fünf höchsten Kronbeamten, wenn der kaiserliche Rat versammelt wurde, nämlich des Majordomus, dessen Rang und Amt etwa demjenigen eines Ministerpräsidenten im modernen Staatswesen entsprechen dürfte; dem Logothet oder Reichskanzler; dem Protospatharius oder Oberbefehlshaber des Reichsheeres; dem Akoluth oder Kommandanten der kaiserlichen Warägergarde, und dem Patriarchen als Oberhaupt aller kirchlichen Behörden im Reiche.
Die Portale, die zu diesem geheiligten Raume des Palastes fühlten, wurden durch sechs nubische Sklaven gehütet, deren schwarze, verschrumpfte Gesichter in widrigem und grellem Gegensatze zu ihrer weißen Tracht mit dem glitzernden Harnisch darüber standen. Damit sie nicht die Taten der despotischen Herrscher, ausplaudern könnten, deren blinde Werkzeuge sie waren, wurden sie der Fähigkeit der Sprache durch Ausreißen der Zunge beraubt, nach dem bei asiatischen Despoten in Uebung befindlichen Brauche. Ein weiterer, aus Asien entlehnter Brauch bestand darin, daß vermittelst einer künstlichen Vorrichtung die beiden Thronlöwen den Eintritt jedes Fremden in das Staatsgemach durch lautes Gebrüll verkündeten, daß ein Windstoß durch das goldene Laub der Bäume fuhr, daß die goldenen Vögel von Ast zu Ast hüpften, an den goldenen Früchten pickten und ihr mechanisches Gezwitscher hören ließen. Das Ganze war weiter nichts als kindische Spielerei und hatte doch schon manchen der beim Reiche akkreditierten Botschafter und der an den kaiserlichen Hof gesandten Boten in Schrecken gesetzt; und kein kaiserlicher Rat durfte sich dem Throne nahen, selbst wenn es zum halbhundertsten Male geschah, ohne über das Löwengebrüll zu erschrecken und das Vogelgezwitscher zu bewundern. Heute indessen wurde den fünf obersten Staatsbeamten der kindische Brauch erlassen, was als ein bedeutsames Zeichen der Dringlichkeit der bevorstehenden Sitzung aufgefaßt werden mußte. Die Rede, mit welcher der Kaiser sie eröffnete, setzte mit einer an das Löwengebrüll gemahnenden Stärke ein, ging aber in süßlichen, dem Vogelgezwitscher ähnlichen Tönen aus. Sie wandte sich zuerst drohend gegen die zahllosen Heerscharen der Franken, die unter dem Vorwande, Palästina den Ungläubigen zu entreißen, sich der schmählichen Verletzung kaiserlichen Reichsgebietes schuldig gemacht hätten, und bedrohte die Eindringlinge mit schweren Züchtigungen; er verweilte indes nicht eben lange bei diesen, von den anwesenden Militärs mit Beifall begrüßten Ausführungen, sondern legte nach einigen schicklichen Uebergangsworten dar, daß man freilich in den Franken keine barbarischen Horden, sondern Christenheere zu erblicken hätte, deren Ziele doch vielleicht, wenn auch auf Irrtümern fußend, eine nachsichtige Beachtung bedängen. Zudem kämen sie nicht bloß in großen Scharen, sondern in großen Heeren, und hätten von ihrer Tapferkeit die rühmlichsten Beweise gegeben, wie namentlich in der großen Schlacht bei Durazzo. Sie seien mithin Gegner, die nach allen Seiten hin ernst aufzufassen seien, könnten aber, menschliche Weisheit und göttliche Fügung vorausgesetzt, leicht zu vorteilhaften Werkzeugen für das allerheiligste Reich umgewandelt werden. Sein Plan ginge deshalb dahin, zu der Tapferkeit, die das Herz eines Kaisers immer entflammen müsse, Klugheit, Humanität und Großmut zu gesellen, und um sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob er hiermit das Richtige gewählt habe, richte er zunächst an den Majordomus die Frage, auf welche Streitkräfte westlich vom Bosporus gezählt werden dürfe. . „Unzählig wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Meere ist die Streitmacht, die Kaiserlicher Majestät zu Gebote steht!“ lautete die Antwort. – „Eine vortreffliche Rede, Majordomus,“ erwiderte der Kaiser, „falls Reichsfremde an diesem Staatsrate teilnähmen; da wir aber in geheimer Sitzung beraten, so wollen wir alle Umschweife vermeiden. Ich muß wissen, was ich unter dem Ausdrucke unzählig, den Du brauchest, zu verstehen habe.“
Diese Worte belehrten den Majordomus, daß heute mit dem Kaiser nicht zu spaßen sein werde, und so überdachte er sich eine Weile, bevor er seine Antwort, wie folgt, formulierte: „Kaiserliche Majestät wissen am besten von uns allen hier, wie schwer es ist, auf diese Frage verläßliche Auskunft zu geben. Ungerechnet die auf Urlaub befindlichen Mannschaften, wird sich die Stärke des zwischen der Hauptstadt und der Westgrenze des Reiches in Etappen verteilten Heeres auf etwa fünfundzwanzig- bis höchstens dreißigtausend Mann veranschlagen lassen.“ Der Kaiser schlug sich mit der Hand vor die Stirn, zum Zeichen des Verdrusses, den er fühlte. Die Räte, bestürzt hierüber, ergingen sich daraufhin in Auseinandersetzungen, die sie weit lieber für eine andere Zeit und einen anderen Ort aufgespart hätten. „Im letztverwichenen Jahre,“ ergriff der Logothet das Wort, „ist aus dem Schatze Kaiserlicher Hoheit, wie mir Dieselben vertraut haben, soviel Gold entnommen worden, daß reichlich die doppelte Zahl von Bewaffneten, die der Majordomus angibt, unterhalten werden könnten.“ – Mit Eifer äußerte hierauf der Majordomus, daß Kaiserliche Majestät zu den Linientruppen noch die Besatzungstruppen rechnen müsse, die von dem Vorredner dem Anschein nach nicht in Betracht gezogen würden. – „Ruhe, ihr Herren!“ nahm der Kaiser wieder das Wort, „Unsere Heeresmacht ist allerdings um vieles geringer, als Wir dachten. Indessen wäre es sicher verkehrt, durch Zwist die Not der Zeit zu verschlimmern. Unsere Truppen sollen zwischen Unserer Hauptstadt und der Westgrenze des Reiches in Tälern und Pässen, auf Höhen und andern schwierigen Punkten derart verteilt werden, daß man ihre geringe Stärke höher einschätzt. Unterdes werden Wir mit den Kreuzfahrern, wie sich die fremden Heerscharen nennen, in Unterhandlung über die Durchzugsbedingungen treten und erwarten, hieraus Vorteile für das Reich zu gewinnen. So gedenken Wir ihnen den Durchzug nur in Abteilungen bis zu fünfzigtausend Mann und den Anmarsch zu Unserer Hauptstadt nur immer einer solchen Abteilung zu gestatten, so daß die Sicherheit derselben nicht bedroht werden wird. Wir sind willens, wenn sich die durchziehenden Heerscharen friedlich betragen und ordentlich führen, für ihren Unterhalt zu sorgen. Etwaige Marodeure werden durch die kräftigen Bauern Unseres Landes ohne direkten Befehl von Uns – denn Wir wünschen nicht, in offene Fehde mit den Feinden zu treten – zur Räson gebracht werden. Des weiteren versehen Wir Uns von seiten der in Unserem Reichsgebiete befindlichen Skythen, Araber, Syrer und anderer Söldner aller Beihilfe gegen etwaige Versuche der Eindringlinge zur Schädigung Unserer Untertanen; es soll Uns auch durchaus nicht befremden, da Wir nicht gewillt sind, Unser Land um der fremden Menschen willen in Armut zu stürzen, wenn unter die Mehllieferungen hin und wieder ein Sack voll Kreide oder Kalk geschmuggelt wird. Ein Frankenmagen kann bekanntlich Erstaunliches vertragen. Auch sollen die Führer, die aus Unseren Bürgern und Bauern von den Fremden genommen werden, nicht immer die besten und kürzesten Wege weisen, und zwar im eigensten Interesse der Fremden, weil es denselben anders ja schwer fallen möchte, sich an die Widerwärtigkeiten von Land und Klima zu gewöhnen. Wir selbst wollen Uns unterdes bemüht zeigen, – und Gleiches empfehlen Wir allen Unseren Räten und Beamten – dem Hochmut der fremden Heerführer, die sich nicht geringer als ein Kaiser dünken, nicht zu nahe zu treten, anderseits aber keine Gelegenheit verabsäumen, ihnen schickliche Begriffe von Unseres Reiches Macht und Stärke zu geben. Wo es angebracht erscheint und wo Vorteile dadurch winken, soll mit der Verteilung von Geld nicht gegeizt werden, sei es an Hoch-, sei es an Niedriggestellte. Solcherweise bezweifeln Wir nicht, daß es gelingen werde, über diese auf einander eifersüchtigen und aus aller Herren Ländern zusammengelaufenen Franken so viel Macht zu gewinnen, daß es ihnen vorteilhafter erscheinen wird, Uns als ihren Oberherrn zu erkennen, statt sich aus ihren eigenen Kreisen einen solchen zu erküren; denn der Tatsache, daß jeglicher Ort Palästinas von Dan bis Berseba ursprünglich ein Teil Unseres heiligen römischen Reiches sei, und daß jeglicher Christ, der dort auf Eroberung ausgeht, solches nicht anders tun könne denn als Uns untertan und angewiesen auf die Uns schuldige Lehnspflicht, wird sich im großen und ganzen keiner dieser Kreuzfahrer verschließen können.“
Die fünf hohen Räte neigten das Haupt und riefen: „Lang lebe der Kaiser!“ worauf Alexius ihnen nochmals einschärfte, die von ihm gegebenen Direktiven streng einzuhalten, und mit den Worten schloß: „Den Befehl über die Schar der Unsterblichen, die in der Hauptstadt verbleibt und zu der sich Unsere Warägergarde zu gesellen hat, übernehmen Wir selbst, um an ihrer Spitze die Ankunft dieser Kreuzfahrer zu erwarten. Wir werden, solange es angeht, jedem Kampfe aus dem Wege gehen und nur im schlimmsten Falle Uns auf einen solchen einlassen, indessen immer bereit bleiben, Uns demjenigen zu fügen, was der allmächtige Herr der Schöpfung über Uns verhängen wird.“
Hierauf ging der Staatsrat auseinander. Die verschiedenen Kronbeamten begaben sich nach ihren verschiedenen Abteilungen oder Aemtern, und nun konnte man den Charakter des Griechenvolkes in seiner vollen Eigentümlichkeit kennen lernen, denn ihre laute, großsprecherische Art, Geschäfte zu verrichten, konnte – worauf es dem Kaiser in erster Reihe ankam, nicht verfehlen, von der Größe und dem Reichtum des oströmischen Reiches eine günstige Meinung zu erwecken; daß sie nebenbei – auch entsprechend ihrem Charakter – nicht unterließen, bei allem, was mit Geld im Zusammenhange stand, tüchtig in die eigene Tasche zu arbeiten, wollen wir jedoch hier ebensowenig verschweigen.
Die Nachricht von dem Herannahen des gewaltigen Völkerheeres und seiner Absicht, nach Palästina zu ziehen, verbreitete sich nun mit wachsender Eile in der Hauptstadt. Wie immer bei solchen Anlässen, mischte sich Wahrheit und Dichtung. Manche wollten wissen, Zweck des fränkischen Zuges sei die Eroberung Arabiens und die Zerstörung des Prophetengrabes; andere behaupteten, daß für die Franken, doch Konstantinopel das nächstliegende Plünderungsobjekt sei; noch andere behaupteten, der griechische Patriarch solle gezwungen werden, sich der päpstlichen Oberhoheit zu unterwerfen, die Form des lateinischen Kreuzes anzunehmen und das Kirchenschisma fallen zu lassen. Für die Warägergarde sorgte Hereward noch für eine besondere Freude durch die Nachricht, daß ein normannisches Heer unter dem Sohne des berühmten Wilhelm des Eroberers, Herzog Roberts, im Anrücken sei, und, wie sich nicht anders erwarten ließe, mit besonders feindlicher Absicht gegen die Waräger, die sie sogar bis hierher zu verfolgen trachteten, getrieben von dem unausrottbaren Hasse wider alles, was angelsächsisch ist und von angelsächsischem Blute stammt. Alle Waräger verschwuren sich nun, das Blutbad von Hastings, wo ihr König Harald dem Normannen Wilhelm unterlag, mit der Schärfe ihrer Streitäxte an den normannischen Teilnehmern des Kreuzzuges zu rächen, und sie setzten Hereward vom frühen Morgen bis zur späten Nacht mit Fragen und Vermutungen so zu, daß er es bald bereute, sie mit dieser Neuigkeit versorgt zu haben. Gegen Mittag kam dann aus dem Munde des Kommandanten Achilles Tatius die weitere Kunde, daß die Waräger zusammen mit den Scharen der Unsterblichen unter den Wällen der Stadt ein Lager zu beziehen hätten, um zur Verteidigung derselben sofort bereit zu sein. Das lenkte die Waräger auf andere Dinge, denn sie erwarteten nun alsbald den Ausbruch von ernsten Feindseligkeiten und wußten sich vor Jubel darüber nicht zu fassen. Hereward aber, von dem Wunsche nach Einsamkeit erfüllt, begab sich, ohne sich von jemand aufgehalten zu sehen, aber von vielen Blicken verfolgt, weil überall die Meinung bestand, daß er weit mehr noch über die großen Tagesneuigkeiten wissen müsse, seit er Zutritt zu dem Kaiser in dessen Privatgemächern gehabt habe – aus den lichteren Baumreihen in die dunkleren, von den schmäleren zu den breiteren Terrassen; aber die Empfindung, doch nicht allein zu sein, wollte nicht von ihm weichen. Es währte auch nicht lange, so sah er einen schwarzen Sklaven hinter sich her schleichen; zwar verlor er ihn auf Minuten aus dem Gesichte, aber immer tauchte er in gewissem Abstande wieder hinter ihm auf. Endlich wurde es dem Waräger unangenehm, sich so verfolgt zu sehen: er drehte sich rasch um, trat dem Neger an einem einsamen Orte gegenüber und fragte ihn, was ihm einfiele, hinter ihm her zu schleichen, und ob er es auf jemands Befehl oder aus eigenem Willen tue?
Der Neger erwiderte in einem dem Waräger kaum verständlichen Kauderwelsch, daß er Befehl habe, zu beobachten, wohin der Waräger sich begebe. – „Von wem Befehl?“ rief der Waräger. – „Von meinem Herrn und von dem Euren,“ sagte der Neger. – „Ungläubiger Hund!“ rief der Waräger, „hätten etwa wir schon zusammen Kameradschaft gehalten? Wen also wagst Du meinen und Deinen Herrn zu nennen?“ – „Einen, welcher Herr über die Welt ist, da er seinen Leidenschaften Zügel anzulegen weiß,“ erwiderte der Neger.
„Laß Dir nicht beikommen, mich mit dergleichen Weisheitsbrocken abzuspeisen,“ rief der Waräger, „es könnte Dir sonst klar werden, daß mir die Fähigkeit zum Schaden anderer abgeht, meine Leidenschaften zu beherrschen. Also: was willst Du von mir? und weshalb schleichst Du mir nach?“ – „Ich habe es doch schon einmal gesagt: auf Befehl meines Herrn!“ – „Wer ist Dein Herr?“ – „Das muß er Dir selbst sagen; denn darüber, wie auch über die Absicht, die er mit Dir verfolgt, hat der arme Sklave kein Recht, zu schwatzen.“ – „Er hat Dir aber die Zunge zum Schwatzen gelassen!“ rief der Waräger, indem er drohend die Axt hob; „sperr' Dich nicht länger, oder ich lehr' Dich auf andere Weise, mir zu sagen, was Du Dich zu sagen weigerst!“ – „Schlagt Ihr den armen Sklaven nieder, so entzieht Ihr Euch auch die Möglichkeit, von seinem Herrn zu hören, was er von Euch will; denn wie sollt Ihr dann erfahren, wer der Herr ist? Noch ein paar Schritte, und Ihr werdet dem gegenüberstehen, der mich schickt; wozu wollt Ihr Eure Ehre besudeln, indem Ihr einen Wehrlosen erschlagt?“ – „So geh' weiter voran! aber glaube mir, daß ich mich mit Worten nicht narren lasse! Zeig' mir den frechen Wicht, der sich herausnimmt, mir Spione an die Fersen zu heften!“
Mit einem Scheelblick, der trefflich zu dem Gesicht voll Bosheit und Tücke paßte, ging der Neger weiter, während der Waräger argwöhnisch folgte; unterwegs sah sich der Neger wiederholt um, und mit so scharfem, durchbohrendem Blicke, daß Hereward wiederholt meinte, es möge klüger für ihn sein, nicht weiter zu folgen; und je näher sie dem Ziele kamen, desto öfter kam dem Waräger diese Meinung.
Der Weg ging von der Terrasse nach dem Meeresufer zu, an eine Stelle, die mehr im Hintergrunde des Goldenen Hornes lag und mit Getrümmer augenscheinlich sehr hohen Alters bedeckt war. Während die Pflanzenwelt sonst überall üppig wucherte, standen hier nur einige spärliche Zypressen. Was von den Trümmern noch zu unterscheiden war, ließ einen von dem griechischen stark abweichenden Stil erkennen, aber zu bestimmen, was für ein Stil es sei, war nicht möglich, dazu war selbst der Portikus, als den man den einen Haufen hätte ansprechen können, nicht mehr erhalten genug; bloß die auf den Kolossalstatuen befindlichen Zeichen, die aber auch fast nicht mehr zu erkennen waren, standen bei den Bewohnern Konstantinopels in dem Ansehen ägyptischer Hieroglyphen, und hieraus hatte sich die Sage gebildet, daß die Trümmer von einem uralten Kybele-Tempel herrührten, der zu einer Zeit gebaut worden sei, als Konstantinopel noch den Namen Byzanz geführt habe, daß also vor Jahrhunderten, wie in allen Kybele-Tempeln, auch hier die schändlichsten Genüsse ihren Kultus gehabt hätten. Als das Christentum zur Staatsreligion durch Konstantin den Großen erhoben worden, sei der Tempel niedergerissen und zerstört, die Stätte, wo er gestanden, als unheilig erklärt und verflucht worden.
Dem Waräger war der üble Ruf dieser Oertlichkeit nicht fremd, und als der Neger sich anschickte, in das alte Getrümmer zu dringen, blieb Hereward stehen und erklärte, keinen Fuß weiter setzen zu wollen, ehe ihm nicht gesagt worden sei, wer und was ihn hier erwarte. Der Neger aber, ohne mit einem Worte zu erwidern, trat beiseite, wie wenn er dem Waräger Platz machen wollte, und am Ende eines halbversteckten, kaum sichtbaren Pfades, vor einer halbverfallenen Nische, erblickte er, auf einer Grasnarbe sich sonnend, – den Philosophen Agelastes.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Graf Robert von Paris