4. Kapitel. - Des hohen Ranges und der hohen Geburt ungeachtet, zeigte die Prinzessin Anna Komnena sich augenscheinlich eifriger besorgt...

Des hohen Ranges und der hohen Geburt ungeachtet, zeigte die Prinzessin Anna Komnena sich augenscheinlich eifriger besorgt, mit ihrem Vortag den Beifall Herewards zu gewinnen, als den der Höflinge. Ihrem Blicke entging es nicht, daß der Waräger ein Mann von großer körperlicher Schönheit war, und erklärlicherweise regte sich bei ihr ein gewisser Wunsch, bei ihm Gefallen zu finden. War er auch als Barbar des hier herrschenden Zeremoniells überhoben, so ließ sich nicht verkennen, daß er über einen angeborenen Anstand verfügte, der ihm weit besser stand als jeder gekünstelte oder angedrillte. Zudem weckte sein soldatisches Temperament und seine stramme Haltung Sympathie und Interesse. Auch für den Waräger waren die Umstände nicht danach beschaffen, ihn unbedingt gleichgültig zu lassen. Anna Komnena war zwar keine jugendliche Dame mehr; wie weit sie aber über den Zeitpunkt hinaus war, wo sich die Schönheit der Frau dem Niedergänge zuwendet, war bis auf die vertraute Dienerschaft der Schlaf- und Wohngemächer für jedermann ein Geheimnis. Dem allgemeinen Aussehen nach zu schließen, mochte die Prinzessin ihr siebenundzwanzigstes Jahr vollendet haben. Wenn sie auch nach griechischem Begriffe keine Schönheit ersten Ranges war, so konnte sie recht wohl als solche für einen nordischen Barbaren noch gelten. Die Fälle, wo ein siegreicher Heerführer von der Witwe eines Herrschers zum Ehgemahl erkoren worden, waren in jenen Zeiten gewaltsamer Umwälzungen durchaus keine Seltenheit; Hereward indessen erblickte in Anna Komnena, wenn ihm auch die Aufmerksamkeit schmeichelte, die ihm von ihr geschenkt wurde, nur die Tochter seines Kaisers und aus freiem Willen erkorenen Oberherrn und das Ehgemahl eines edlen und gütigen Fürsten: Vernunft sowohl als Pflicht verboten ihm also, die Prinzessin in irgend welchem andern Lichte anzusehen.
Endlich begann die Prinzessin, zuerst freilich mit etwas unsicherer Stimme, ihren Vortrag. Je weiter sie aber in das eigentliche Thema des Abends, die Schilderung der Schlacht von Lavdikaia, kam, desto kräftiger und lauter sprach sie. Den Waräger hatten die darin vorkommenden Auftritte schon wiederholt in sichtliche Erregung versetzt, denn er hatte der Schlacht vom Anfang bis zum Ende beigewohnt, und zwar in ziemlich hervorragender Rolle. Hin und wieder, wie zum Beispiel bei der Schilderung eines mitternächtlichen Kriegsrates vor der Schlacht, oder wenn seinem Kommandanten Achilles Tatius überschwengliche Lobsprüche gezollt wurden, huschte ein Lächeln über sein Gesicht; ja auch der Name des Kaisers, trotz der Ehrfurcht, mit der seiner erwähnt wurde, weckte den von der Tochter beabsichtigten Eindruck nicht bei ihm. Wäre diese nicht so vertieft in ihre Pergamentrolle gewesen, so hätte ihr die Wandlung in dem Verhalten des Kriegsmannes wohl schon auffallen müssen; die stramme Haltung, mit der er beim Beginn des Vortrages vor dem kaiserlichen Stuhle gestanden, war schon eine Weile verschwunden, auf seinem Gesicht verriet eine innere Bewegung, die immer stärker wurde, je näher die Prinzessin der Szene kam, die zur Entscheidung geführt hatte: als die Kaiserlichen, aus einem Passe dringend, die Araber nach schwerem Ringen in die Flucht geschlagen hatten. Da wechselte der Waräger die Farbe, seine Augen zeigten einen wilden Glanz, in seine Glieder kam Leben, und sein ganzes Wesen schien so bei der Sache, daß er vollständig vergaß, wo er sich befand, die schwere Streitaxt zu Boden fallen ließ, die Hände rang und aus tiefster Brust die Worte hervorstieß: „O mein Bruder!“
Als die schwere Waffe auf den Boden schlug, wurde von mehreren anwesenden Personen der Versuch gemacht, eine Erklärung dafür zu geben: Achilles Tatius stotterte ein Paar Worte von der rauhen Art seiner Waräger, den Schmerz kundzutun, und setzte auseinander, daß der in dem Passe Erschlagene der jüngere Bruder des hier anwesenden Barbaren gewesen sei; die Prinzessin war, obwohl sie nichts äußerte, sichtlich ergriffen, vielleicht auch bloß erfreut darüber, durch ihre Schilderung einen so starken Eindruck bewirkt zu haben. Von den übrigen Anwesenden sprach jeder in seiner Weise Worte, die Trost spenden sollten, denn Unglück, das aus natürlicher Quelle stammt, weckt auch bei verschlossenen Gemütern Teilnahme. Aber die Stimme des Kaisers legte einem jeglichen Schweigen auf. „Tapferer Krieger,“ sprach er, „ich muß mit Blindheit geschlagen gewesen sein, daß ich Dich nicht früher erkannte, denn es steht im Reichsregister verbucht, daß dem Waräger Edward fünfhundert Goldgulden gezahlt werden sollen als Schenkung, zu der sich der Staat verpflichtet hält gegen einen so hervorragenden Diener wie Dich: und die Zahlung soll Dir nicht länger vorenthalten bleiben.“
Des Warägers Gesicht nahm wieder seinen früheren rauhen Ernst an. „Nicht mir steht der Anspruch zu auf solche Spende, denn ich heiße Hereward; den Namen Edward führen drei Kameraden von mir, von denen jeder seine Pflicht gegen Eurer Majestät Reich so getreu und gewissenhaft erfüllt hat wie ich.“ – Achilles Tatius versuchte wieder alle möglichen Zeichen und Winke, seinen Soldaten vor solcher Torheit, wie sie die Zurückweisung einer kaiserlichen Spende sei, zu bewahren. Agelastes der Zyniker aber ergriff laut das Wort im gleichen Sinne. „Mein junger Freund,“ sagte er, „nimm solche Gelegenheit, Dir einen neuen Namen beizulegen, getreulich wahr! Was kann Dir gelegen sein an einem Namen, den Dir ein Pfaffe bei der Taufe beigelegt hat, im Vergleich zum Namen Edward, durch den es dem Licht der Welt gefallen hat, Dich aus der Sippe der Barbaren herauszuheben? den Du hinfüro zu führen, mit Stolz zu führen ein Anrecht hast?“ – „Hereward war meines Vaters Name,“ erwiderte der Soldat, der seine volle Ruhe wiedergefunden hatte, „und so lange ich meines Vaters Andenken ehre, solange kann ich auch seines Namens mich nicht begeben. Zudem hieße das, mich auf Kosten eines Kameraden zu bereichern.“ – „Still!“ rief der Kaiser dazwischen, „ist Uns ein Irrtum unterlaufen, so verfügen Wir über Mittel und Vermögen genug, ihn gut zu machen. Hereward soll nicht zu kurz kommen, wenn einem andern, namens Edward, die registrierte Prämie zusteht.“ – „Wollen das Weitere in dieser Angelegenheit Kaiserliche Hoheit ihrem Ehgemahl anheimstellen!“ nahm Kaiserin Irene das Wort. – „Unser kaiserlicher Vater ist so eifrig bemüht, Liebe und Gunst zu erweisen,“ erklärte Anna Komnena, „daß er selbst seinen nächsten Anverwandten nicht vergönnen mag, Großmut zu üben. Ich will indes, so weit es in meinen Kräften steht, dem tapferen Waräger Dankbarkeit erzeigen dadurch, daß ich seinen Namen in meiner Geschichte durch gewissenhafte Aufzählung seiner Taten der Nachwelt überliefere. Zum Zeichen, mein Braver,“ setzte sie hinzu, indem sie einen kostbaren Ring vom Finger zog, „daß ich mein Versprechen auch halten werde, nimm hier dieses Kleinod!“ – Mit einer tiefen Verbeugung, zugleich einer ihm in seiner Stellung zukommenden Miene von Beklommenheit nahm der Waräger das wertvolle Pfand aus der Hand der Prinzessin und drückte es respektvoll an die Lippen. „Du köstliches Kleinod!“ rief er; „wohl wird es uns nicht lange vergönnt sein, zusammen zu bleiben; doch darfst Du versichert sein,“ setzte er hinzu, einen Blick der Dankbarkeit auf die Prinzessin heftend, „daß nur der Tod dich mir entwinden wird!“ – „Prinzessin-Tochter,“ nahm Kaiserin Irene das Wort, „Du hast zur Genüge gezeigt, daß Du beim Manne tapferen Sinn zu ehren und zu preisen weißt; gleichviel, ob er sich findet beim Römer oder beim Barbaren, darum fahre fort in Deiner Schilderung!“
Mit einer Miene, die eine leichte Verlegenheit verriet, folgte Anna Komnena der mütterlichen Aufforderung, war aber kaum über die ersten Sätze der Fortsetzung hinaus, als die Haupttür des Saales aufflog, geräuschlos zwar, doch mit beiden Flügeln zugleich. Hieran ließ sich ermessen, daß es kein Höfling war, der eintrat, sondern ein Mann hohen Ranges, denn nur einem in Purpur Geborenen oder mit solchem Engverwandten stand hier ein solches Vorrecht zu. Die meisten der im Studiersaale anwesenden Personen schienen zu wissen oder doch zu ahnen, wessen Eintritt zu erwarten stand; und wenn sie den Ehgemahl der Prinzessin-Tochter und gelahrten Geschichtsschreiberin, den in der schönsten Blüte der Männlichkeit stehenden Nikephoros Briennios, wohl dem Range, aber nicht dem Rechte und der Würde nach – denn die Politik seines kaiserlichen Schwiegervaters hatte mehrere Personen zwischen ihn und sich einzuschalten verstanden – die zweitmächtigste Person im oströmischen Reiche, erwartet hatten, so sollten sie sich nicht getäuscht haben.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Graf Robert von Paris