2. Kapitel. - Während der Kaiser sich in sein Schlafgemach zurückzog, um den ganzen Abend sich ...

Während der Kaiser sich in sein Schlafgemach zurückzog, um den ganzen Abend sich bei den Damen nicht mehr sehen zu lassen, schritt der Waräger in einem Gemütszustande, der es ihm außerordentlich schwer machte, die ihm so plötzlich auferlegte Bürde einer so vielseitigen Aufgabe zu tragen, durch die vom Monde erhellten Straßen der griechischen Hauptstadt. Da drang das Geschmetter von Trompeten an sein Ohr. Solche Musik zu solcher Stunde mußte eine ganz besondere Bedeutung haben, denn ohne eine wichtige Ursache wäre die Ruhe zur Nachtzeit ganz gewiß nicht gestört worden. Aber welcher Art konnte diese Ursache sein? Hatten etwa die Kreuzfahrer, die in ihren Handlungen ja unberechenbar waren, auf ihrem Zuge nach Palästina Kehrt gemacht und waren im Anmarsche gegen Konstantinopel begriffen? Unwahrscheinlich war dies nicht, zumal die Kreuzfahrer allerlei Ursache zur Klage wider die treulosen und hinterlistigen Griechen gefunden hatten, und recht wohl daran denken konnten, sich hierfür zu rächen. Aber im andern Augenblicke mußte Hereward sich sagen, daß der Ton, den er vernahm, sich nicht anhörte wie die langgezogenen Kriegssignale der Franken und Normannen; zudem bemerkte er auch, daß sich die Bewohner nicht sonderlich beunruhigt zu fühlen schienen, denn auf der Straße herrschte nach wie vor die größte Ruhe; nur hin und wieder lugte ein Kopf zu einem Fenster auf die Straße heraus, der aber, als er des Warägers in Rüstung ansichtig wurde, schnell wieder zurückfuhr und sich in Sicherheit brachte. Nach ein paar Schritten weiter sah er einen der Bewohner auf die Straße hinaustreten; aber auch dieser bezeigte wenig Lust, dort zu verweilen, sondern war schon wieder fast in der Tür verschwunden, als Hereward ihn stellte und die Frage an ihn richtete, ob er wisse, was der ungewohnte Lärm zur Nachtzeit wohl zu bedeuten habe. Mit dem Bescheide, daß er keine Auskunft darüber geben könne, verwies der Bürger ihn an seinen Nachbar, der kein anderer war als der Ringer Stephanos, der im Verlaß auf seine Körperstärke, und da er hinter sich den Schreiber Lysimachus wußte, keck auf Hereward zutrat und dessen von neuem gestellte Frage mit der Antwort abfertigte, »das müsse doch der Waräger am besten wissen, denn seines Wissens seien es keine anderen als Waräger-Trompeten, die Konstantinopel und seine ehrlichen Schläfer in ihrer Ruhe störten.«

»Halunke!« herrschte der Waräger ihm zu, mit einer Stimme, daß der Ringer in sein Haus zurückpurzelte und sich dabei in die zu Ehren eines von ihm jüngst erfochtenen Sieges vor der Tür aufgehängte Guirlande verheddert – »Halunke! riefe mich das Signal nicht zu Kaserne, so wollte ich Dir zeigen, was Deiner Frechheit gebührt!«


Als er über die Schwelle des Kasernentores trat, erklang das dröhnende Signal von neuem. »Engelbrecht,« fragte er die am Tore postierte Schildwache, »,was geht denn vor?«– »Merkwürdig!« antwortete der Gefragte, »es wird zu einem Zweikampf aufgerufen! Wie es scheint, haben die tollen Kreuzritter die hinterhältigen Griechen angesteckt mit ihrer Kampfwut.« – Hereward trat auf eine Gruppe seiner Kameraden zu, die sich eben zusammenscharten, um zu einer anderen Gruppe zu stoßen, die von Achilles Tatius in Person geführt wurde. Kaum hatte dieser den Waräger bemerkt, so gab er ihm zu verstehen, daß er ihn nach Abwickelung der im Gange befindlichen Handlung zu sprechen wünsche. Wieder dröhnten die Trompeten, und dann trat ein Herold vor und verkündete, »daß der durchlauchtigste Kaiser Alexius Komnenos darein gewilligt habe, daß sein erlauchter Schwiegersohn, der Cäsar Rikephoros Briennios, es übernommen habe, sich im Kampfe wider jenen Grafen von Paris zu stellen, der die Verwegenheit gehabt habe, die geheiligte Majestät des Kaisers öffentlich zu beschimpfen und in deren Gegenwart die Zierde des Thrones, den salomonischen Löwen, zu zertrümmern. Damit in Europa niemand sage, die Griechen stünden hinter den christlichen Völkern in der Uebung der Waffen zurück, habe der Kaiser einen dreimaligen Gang zu bestimmen geruht: mit gespitzten Speeren und geschliffenen Schwertern.«

Als Achilles Tatius daraufhin seine Mannen hatte wieder abtreten lassen, fragte er Hereward, ob er inzwischen vielleicht von dem Grafen Robert Kunde bekommen habe. Der Waräger verneinte, worauf Achilles fragte: »Glaubst Du, daß er die Proklamation mit angehört hat?« – »Seine Pflicht wäre es wenigstens gewesen,« erwiderte der Waräger, »denn ich wüßte nicht, daß jemand das Recht hätte, statt seiner sein Erscheinen in den Schranken zu versprechen.« – »Ei, Du klügster aller Waräger,« rief der Akoluth, »merkst Du den Witz des Cäsars nicht? Der Narr besteht auf seiner Ehre, die es ihm verbiete, sich mit einem Weibe zu schlagen; und so hat er an Stelle der Gräfin den Grafen als Gegner genannt. Erscheint nun der Graf nicht, so fordert der Cäsar als Sieger – denn als solcher gilt er ja dann – die Auslieferung der Gräfin als seine Gefangene! Das wird natürlich einen allgemeinen Aufstand hervorrufen, und unsere Sache wird es nun sein, den Kampf so zu organisieren, daß möglichst alle Verschworenen hineinbezogen werden. Ich übergebe dabei Dir die Aufgabe, den Kaiser so zu umzingeln, daß sich ihm keiner von der ihm treu gebliebenen Mannschaft nähern kann. Dann mag der Cäsar kämpfen mit dem Grafen oder der Gräfin: wir wollen den Aufstand dazu benützen, daß an Stelle des Geschlechtes der Konmenen dasjenige der Tatier auf den Thron von Ostrom steige! Und nun, mein getreuer Hereward, vergiß nicht das Losungswort für heute und morgen: Ursel, der einstige Mitbewerber um den Kaiserthron, der von Alexius nicht durch Tapferkeit und Weisheit, sondern nur durch gemeine Hinterlist beseitigt wurde, und der meines Wissens in den Kerkern des Blachernä-Palastes umgekommen ist, übt noch immer eine große Zauberkraft auf das Volk von Ostrom aus.«

»Ihr habt den Kaiser heute gesehen?« fragte der Waräger. – »Selbstverständlich,« erwiderte der Akoluth; »hätte ich die Trompeten auf eigenen Antrieb hin schmettern lassen, so hätte mir Kopf wohl am längsten zwischen den Schultern gesessen. Nun aber wird der Kaiser sich der Anwesenheit beim Zweikampfe nicht entziehen können, sondern mit seiner Gewohnheit, die Öffentlichkeit zu meiden, brechen müssen; und so wird er, wenn Du nur so handelst, wie ich es Dir vorschreibe, sich unserer Gewalt schwerlich entziehen können. Mag er dann die Strafe ernten für alle die Gewalttaten, die er verübt hat!«

Als Hereward nach dieser Unterredung in die Wachtstube trat, eilte ihm Graf Robert entgegen und rief, ohne Besorgnis, sich zu verraten, mit freudiger Stimme:

»Hereward! hast Du vernommen, daß mich diese griechische Antilope zu drei Gängen mit spitzen Lanzen und scharfen Schwertern fordert? Was mich dabei wundert, ist lediglich, daß er es nicht für gescheiter hält, meine Dame zu fordern! Vielleicht meint er, die Kreuzritter möchten solchen Zweikampf nicht dulden? Nun, wie es ihm beliebt! Ich bin der Meinung, es heiße ihm schon Ehre genug antun, wenn ich mich bloß mit meinem Schwerte ihm gegenüberstelle und auf jegliche Rüstung in dem Kampfe verzichte!« – »Laßt mich bessere Vorsorge treffen, denn Ihr kennt die Griechen nicht, edler Graf!« erwiderte Hereward; »verübelt es mir darum nicht, wenn ich nicht eher mich von Euch beurlaube, als Ihr mir Euern Siegelring anvertraut habt!« – »Ich bin überzeugt, daß Du ihn nicht forderst, um Mißbrauch damit zu treiben; immerhin möchte ich wissen, zu welchem Zwecke Du ihn gerade heute forderst?« – »Binnen heute und sechs Tagen sollt Ihr es wissen!« – Mit diesen Worten verließ Hereward, im Besitze des Ringes, den Grafen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Graf Robert von Paris