1. Kapitel. - Hereward war, seit dem im ersten Buche beschriebenen ersten Erscheinen bei Hofe, ...

Hereward war, seit dem im ersten Buche beschriebenen ersten Erscheinen bei Hofe, wiederholt dorthin beschieden worden, sowohl von der Prinzessin Anna Komnena, die sich bei ihm Auskunft über die Sitten in seiner Heimat geben ließ, als auch vom Kaiser Alexius, der es, wie manche andere Monarchen auch, liebte, sich bei Hofleuten untergeordneten Standes über Vorgänge in ihren engeren Kreisen, wie unter der Bevölkerung zu erkundigen. Der Ring, den ihm die Prinzessin bei seinem ersten Hofgange behändigt hatte, hatte ihm schon wiederholt als Legitimation gedient, und er war allmählich so intim bei den Palastsklaven geworden, daß er ohne weiteres, wenn er sich meldete, Zutritt erhielt und in ein von dem Musensaale, wo wir ihn zum ersten Male sahen, nicht weit entferntes, kleineres Gemach geführt wurde. Dort pflegte die kaiserliche Familie in vornehm-bürgerlicher Weise, frei von Hofzwang, intim unter sich zu verkehren. Nur eins war dem Waräger gleich das erste Mal aufgefallen, daß sämtliche vier Wände dieses Gemaches mit gepolsterten Matratzen überkleidet waren, die jeden Schall in sich aufsogen.

»Ah, unser wackerer Waräger,« sprach die Kaiserin, als Hereward von einem Sklaven in das Gemach geführt wurde. – »Ich habe ihn rufen lassen, damit er mich noch einmal über die Männer in Stahl unterrichte, von denen ich in meinem nächsten Kapitel zu handeln gedenke.« – »Ich auch, meine geliebte, übergelahrte Tochter,« nahm der Kaiser das Wort, »aber aus einem Grunde, der wohl angetan sein dürfte, Dich in schmerzliche Aufregung zu setzen, wie wohl auch Deine Mutter, die Kaiserin.« – »Wenn dieser tapfere und rechtliche Mann Nachricht bringt,« versetzte die Kaiserin resolut, »die unser Wohlergehen angeht, so möchte es gut sein, uns nicht lange darauf warten zu lassen.«


»Das ist auch nicht meine Absicht,« antwortete der Kaiser, »so gern ich es auch vermieden hätte, Euch das Herz damit zu beschweren, zumal dasjenige meiner edlen Tochter, die dadurch genötigt wird, ihre Meinung über jemand zu ändern, den sie bisher nur als brav und uns wohlgesinnt zu halten gewohnt war.« – »O, edler Vater,« rief die Prinzessin aus, »was sind das für Anfänge!« – »Fasse Mut, meine Tochter,« erwiderte der Kaiser, »Du hast als Purpurgeborene die Pflicht, Deinem Vater angetane Unbill zu rächen, sollst aber nicht darüber jammern und wehklagen. Vernimm also: der Cäsar, vergessend, daß er Dein Lager geteilt hat, bereitet mir den schweren Kummer, sich mit einer Rotte von Verschwörern zusammenzutun, die kein anderes Ziel verfolgt, als mich vom Throne zu stoßen!« – »Was?« schrie die Kaiserin auf, »das könnte Nikephoros tun?« Und die unglückliche Prinzessin stürzte zu dem Vater hin und klagte: »O, edler Vater, daß der Mann, den ich meinen Gemahl nenne, solch falschen Herzens wäre, ist ja nicht möglich! Nein! nein! Du wirst falsch berichtet sein!« – »Ich wünschte, ich brauchte Dir nicht zu widersprechen,« versetzte der Kaiser, »aber unsere Leibwache ist verführt worden, desgleichen ihr Kommandant, der undankbare Achilles Tatius, und der Philosoph Agelastes; sie sollen ihre Hand dazu bieten, mich dem unglücklichen Reiche in dem Augenblicke zu rauben, in welchem es auf das allerdringendste der Fürsorge eines Mannes bedarf, der vielleicht allein klug genug ist, es aus den Wirren zu befreien, die sich täglich, ja stündlich häufen.« – »Mir kommt's so vor,« bemerkte die Kaiserin, »als wenn mein Gemahl sich zu lange besänne, Mittel gegen solche Gefahr zu ergreifen.« – »Und ich möchte sagen,« sprach die Prinzessin, »daß mein kaiserlicher Vater zu schnell gewesen sei, Dinge zu glauben, die noch durch keine Untersuchung festgestellt sind! Das Zeugnis eines Warägers, und sei er noch so tapfer und ehrlich, kann doch gegen die Ehre eines Cäsar, gegen die bewährte Treue eines Achilles Tatius und gegen die Tugend und Weisheit des größten Philosophen im Reiche...« – »Meine Tochter,« unterbrach sie der Kaiser, »schießt wohl über das Ziel hinaus, wenn sie meint, ihrem Vater stünde in Dingen, die ihn zumeist angehen, ein Urteil nicht zu; Du darfst mir schon glauben, Kind, daß ich jeden von den dreien genau kenne und recht gut weiß, wie weit ich mich auf sie verlassen kann. Hatte ich sie nicht alle im Sacke? Aber seit die Säcke leer geworden sind, ziehen sie es vor, wie die Schmetterlinge, wenn das naßkalte Wetter kommt, davonzuflattern, und es mir zu überlassen, ob ich mir zutraue, wider den Sturm zu bestehen, oder die Segel beizeiten zu streichen. Du meinst, es fehle noch an einer Untersuchung? Nun, wenn die Winke, die mir dieser ehrliche Mann hier gibt, mit meinen eigenen Wahrnehmungen sich decken, so werde ich nicht erst abzuwarten brauchen, was eine langwierige Untersuchung zutage fördert! Ich werde den Waräger zum Haupte der Waräger machen an Stelle des verräterischen Tatius, und was weiter noch geschehen wird, möge mir überlassen bleiben.«

»Möge mir Eure kaiserliche Hoheit,« sprach Hereward, der bis jetzt geschwiegen hatte, »die Erwiderung vergönnen, daß sich mit meinem Gewissen solcher Weg zur Höhe nicht vertragen mochte. Zudem habe ich eine mir seit der Jugend liebwerte Person jüngst wiedergefunden nach langer, langer Trennung, und dieser Umstand legt mir den Wunsch nahe, mich in das Land König Wilhelms von Schottland zu begeben. Ich werde mithin Eure kaiserliche Hoheit in absehbarer Zeit bitten müssen, mir meinen Abschied zu geben.« – »Ich soll mich von dem treuesten meiner Diener trennen gerade dann, wenn ich auf seine Hilfe am meisten angewiesen sein dürfte?« rief der Kaiser mit Nachdruck. – »Bei aller Dankbarkeit für Eure Güte,« erwiderte der Waräger, »muß ich doch geltend machen, daß mir das Schicksal von Männern, die mir nichts Böses, sondern nur Gutes erwiesen haben, um so weniger gleichgültig sein kann, als doch gerade meine Mitteilungen mitbestimmend für dasselbe gewesen sein dürften. Zudem läßt sich doch nicht verhehlen, daß in dem Reiche kaiserlicher Majestät nicht selten Männer, denen heute die allerhöchste Gnade winkte, morgen mit ihrem Fleische Krähen und Dohlen zum Futter dienen, und um solcher Aussicht willen möchte ich meine Knochen nicht an dieses Gestade getragen haben.« – »Wir wollen über alles, was Du mir hier sagst, sprach der Kaiser, »mit Weisheit und Ruhe beschließen; vorerst lies hier nach, was über die Uns bekannt gewordene Verschwörung von Uns aufgezeichnet worden ist, und gib das Pergament, wenn Du es gelesen, meiner Tochter, die an die Gefahr erst glauben will, wenn die Dolche der Verschworenen mich durchbohren.«

Nachdem Hereward gelesen und durch ein Nicken sich mit dem Inhalte einverstanden erklärt hatte, überreichte er das Pergament zunächst der Kaiserin Irene, die es mit den von bitterem Unwillen erfüllten Worten: »Da, lies! kannst Dir viel zugute tun auf die Dankbarkeit und Liebe solches Menschen!« ihrer Tochter gab. Diese las zuerst mit gleichgültiger Miene, bald aber mit wachsender Neugier, bis sie zuletzt ihre Wut nicht mehr bändigen konnte. »Ha! über den doppelzüngigen Verräter! Kein Wort mehr aus meinem Munde, den Wicht vor verdienter Strafe zu schützen! Eine Fürstentochter aus dem Blute der Komnenen wagt er der Haushälterin des geringsten Quiriten gleich zu achten?«

Ihr sonst so gütiges Gesicht war jetzt schrecklich entstellt, und aus ihren Augen schossen die Thränen in Strömen. Hereward betrachtete sie mit einer Empfindung, halb Mitleid, halb Furcht und Abscheu. Der Kaiser aber sagte bei sich: »Vortrefflich! sie schnaubt nach Rache, und wir werden ihr eher einen Zaum anlegen müssen, als daß wir sie anzuspornen brauchten!« – Dann sprach er laut: »Höret jetzt, was ich bei mir beschlossen habe. Ihr drei sollt allein vernehmen, wie ich das Schiff meines Staates durch diese Untiefen zu steuern gedenke. Die Erwägung der Mittel, deren sie sich bedienen, wird uns lehren, wie wir ihnen zu begegnen haben. Leider sind einige der Waräger durch den verräterischen Akoluthen auf Abwege geleitet worden; aber der größere Teil von ihnen wird sich um unsere Person scharen. Manche von ihnen wähnen, der alte Verräter Ursel sei tot; das hat insofern gar nichts auf sich, als schon sein bloßer Name hinreichen würde, seine alten Anhänger zusammenzuscharen; ihnen in dieser Hinsicht gefällig zu sein, fehlte es mir nicht an Mitteln, aber ich will mich darüber zunächst nicht auslassen. Auch von den Unsterblichen sind einige zum Abfalle reif; sie sollen zu den Warägern stoßen, die zum Angriffe gegen Unsere Person ersehen sind. Unser Getreuer hier soll nun Vollmacht erhalten, die Meuterer mit den Uns treu gebliebenen Mannen aufzuheben und in Unsere Gewalt zu liefern.«

»Und was soll aus dem Zweikampfe werden, kaiserlicher Herr?« fragte der Waräger. – »Du müßtest kein Waräger sein, wenn die Frage hätte unterbleiben sollen,« erwiderte mit huldvollem Lächeln der Kaiser, »nun, Wir wollen dafür Sorge tragen, daß der Cäsar nicht darum herumkommt, so absonderlich ein solcher Kampf auch sein wird. Aber die Verschwörung wird ausbrechen, sei es damit so oder so, und da sie Uns vorbereitet trifft, wird sie im Blute derer, die sie angezettelt haben, erstickt werden.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Graf Robert von Paris