Gotthold, oder der christliche Leser im Buche der Natur . Band 1

Ein Erbauungsbuch für den gemeinen Mann
Autor: Stickl, Franz Xaver (1760-1814) deutscher Theologe, Lehrer, Musiker, Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1795
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Religion, Christentum, Gebet, Gottesdienst, Kirche, Gemeinde, Abendmahl, Buch der Natur
„Es fehlt nicht am Zunder, Stein und Stahl,
sondern an der Hand, die Funken schlägt.“


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Das Abendmahl Gotthold ward von einem guten Freunde zum Abendmahle eingeladen. Freilich wohl, dacht er, werd' ich bei meinem guten Freunde recht guter Dinge sein, und er wird mir seine freundschaftliche Liebe wieder auf allerlei Weise zu bezeigen suchen; es wird also gewiss ein recht freundschaftliches Abendmahl werden: aber was wäre dies gegen das Abendmahl des Herrn? O, in diesem Liebemahl offenbart sich seine Liebe am wundervollsten: wie die Sonne zu Mittag am hellsten scheint, so leuchtet die Liebe des Sohns Gottes in diesem wundervollen Mahle am Herrlichsten; da öffnet sich so zu sagen sein göttlich Herz, wie eine Rose in ihrer vollen Blüte; darin schenkt er mir sich selber mit seinem Verdienst und seiner vollen Gerechtigkeit; er wird meine Speise, mein Trank, mein Leben, meine Kraft, mein Friede, mein Trost, mein Alles; da wird meine Seele mit seinem Geiste, mein Herz mit seiner Liebe, meine Schwachheit mit seiner Gottheit, mein Elend mit seiner Herrlichkeit, meine Unvollkommenheit mit seiner Heiligkeit aufs Innigste vereinigt. O du unbegreifliche Wunderliebe Jesu! — So oft ich zu diesem teuersten Liebemahl hinzutrete, ist mir’s, als hört ich meinen Jesus rufen: Kommt her zu mir alle, die ihr's mühselig habt, und belastet seid, ich will euch erquicken. — Hier werdet ihr Ruhe finden für eure Seele; wenn ich’s genieße, da wird’s mir, als hört ich ihn sagen: Ihr in mir, und ich in euch; worin ich davon wiederkehre, o da spricht meine Seele voll der Freude: Jesus ist mein, und ich bin sein; sie wird wie von Liebetrunken; und machte das Herz so sicher und stolz wider Satan und Sünde, wider Hölle und Tod; es ist mir, als lebte nicht mehr ich, sondern Christus mit seiner Gerechtigkeit, seinem Siege, seinem Leben und Allem, was er hat, in mir; ich weiß denn nichts mehr von Sünde und Elend, von Kreuz und Not — das Einzige weiß ich, dass Jesus über alles herrscht, und mein ist. O wer möchte nicht vor Freude aufspringen, so, bald er nur dies heiligste Sakrament nennen hört? Wer sollte nicht vor Liebe süßiglich weinen über dies selige Liebemahl des Herrn, darin er sich — seinen Leib und sein Blut, uns zur Speise, und zum Trank mit so süßen freundlichen Worten hingibt: Für euch gegeben, für euch vergossen! Doch leider, wie weit ist’s nicht gekommen: die tolle Vernunft will ihren Herrn lehren und meistern, und macht aus dem Mahle der siebe einen Zankapfel; die Spötter und Frevler verlachen’s; die Heuchler entehren’s; der gemeine Haufe läuft hinzu, ohne Buße und Prüfung, ohne Glaube und Liebe, ohne Vorbereitung und Andacht! O du gottlose Welt! was soll der liebe Gott noch an dir tun? Er hat dir seine Gnade reichlich dargeboten, und du hast sie mutwillig ausgeschlagen; er hat dir sein Wort gegeben, und du haft damit dein Gespötte getrieben; er hat dir Vergebung der Sünde verheißen, und du hast desto kühner gesündigt; er hat dir ein so teures Liebemahl bereitet, und du issest und trinkst dir daran das Gericht hinein. — Herr Jesu, lass mich unter den Wenigen sein, die dich, und alles, was du redest, ordnest, tust, und gibst, hoch und teuer halten! — und dein heiligstes Abendmahl, das sei mir dein Himmel auf Erde!