Der Arme

Ein alter armer Mann wollte sich sein Almosen sammeln, vor Mattigkeit legte er sich auf der Gasse nächst der Mauer eines Hauses hin, und lehnte sein Haupt auf einen Stein, der neben ihm lag. Gotthold von Mitleid gerührt, führt' ihn indes in sein Haus, bis er ihm anderswo um einen Unterschluf umgesehen hatte. O du lieber Gott, dachte er am Heimwege mit dem Elenden, wie unerforschlich sind deine Wege, und wie unbegreiflich dein Gericht? wie teilst du doch so wunderbarlich aus? der eine lebt im Überfluss, und hat alles nach Wunsch und Willen; ein anderer muss auf der Gasse liegen, der Himmel ist seine Decke, das Pflaster sein Lager — und sie sind doch beide Menschen; ja der eine wohl oft dein Feind, und der andere dein Freund, dein liebes Kind. Was habe nur gleich auch ich dir mehr gegeben, als dieser arme Lazarus, und was ist mein Vorzug vor ihm? etwa, dass ich mehr Sünden auf mir habe, als er? Hab' ichs nun doch wider Verdienen besser, als dieser Elende, so will ich wenigst meine Pflicht an ihm tun, und mich seiner annehmen — Heißt es ja: Selig, der sich des dürftigen Armen erbarmet. Die Welt rauscht wohl vorüber, und denkt: wer weiß's was es für ein Landläufer ist; wer weiß's, ob er sich nicht selbst mutwillig in dies Elend gestürzt hat? Es reisen wohl oft hohe Personen verkleidet in ihrem Lande herum, um die Gemächer der Ihrigen auszukundschaften; Jesus hat auch diese Weise: er hüllt sich je in den Kittel eines Bettlers, um mein Herz auf die Probe zu stellen, ob wohl er, oder mein Geld mir lieber sei ? — Nein, mein Jesus, du verhüllst dich mir nicht, ich kenne dich auch unter der schlechten Hülle des Bettlers; ja ich danke dir, dass du dich gewürdigt hast bei meiner Türe anzuklopfen, und Hilfe von mir zu fordern. Mit diesem Armen meinen Bissen teilen ist mir lieber, als die prächtigste Königstafel! Herr Jesu! gib mir allemal nicht nur das Wollen, sondern auch das Vollbringen, und lass dir denn Beides Wohlgefallen! — Jetzt kömmst du mir, einst werd' ich dir vor die Türe kommen, o da nimm mich auf in deine Herberge, in das Haus deines Vaters, in die Wohnungen ewiger Freuden!