Der indianische Häuptling -3-



Der Lange zog die Brauen finster zusammen und verfolgte, ohne weiter auf den Burschen zu achten, seinen Weg. Der Knabe deutete mit ausgestrecktem Arm auf ihn, und dieses Zeichen wirkte eigenartig auf die Mädchen am Hügel.


‚Melangaju‘, ‚die Wespe‘, wie sie der junge Häuptling genannt hatte, zuckte empor, raffte ihr langes, rotes Kleid zusammen und war mit einem Sprung bei ihrem Pferd. Kaum hatte der kleine Bursche Zeit, den Zügel loszulassen, so riß sie ihn schon über den Nacken des Tieres, griff mit der linken Hand in die zottige Mähne, schwang sich auf seinen Rücken und flog im nächsten Augenblick schon in toller Hast den Hügel abwärts. Kaum zwei Minuten später hatte sie den breiten Weg erreicht. Die Weißen konnten ihr kaum, lachend und fluchend, schnell genug Platz machen, da hatte sie auch schon den Fremden erreicht, den sie nicht für einen Moment aus den Augen verloren hatte.

Als der die Hufe auf dem harten Weg hörte, drehte er sich um und wollte aus dem Weg springen. In dem Augenblick hatte Melangaju auch schon ihr Pony herumgeworfen, preßte ihm die Hacken in die Flanken und hob es zum Sprung. Es flog über den Weg, dicht vor dem Erschrockenen vorbei. Dabei stieß sie ihren triumphierenden Schrei aus, der den Häuptling alarmieren mußte.

„Hast du ihn, Mädchen?“ rief er ihr auch schon von weitem zu, als er nur die Szene erblickte.

„Das ist er!“ jauchzte sie ihm zu. „Sieh nur, wie bleich er geworden ist! Das sind die Zeichen meiner Nägel, die ich ihm in die Stirn und die Wange gegraben habe!“

„So nah ist er dir gewesen?“ zischte der Indianer zwischen den Zähnen hindurch und warf einen Blick voll tödlichem Haß auf den Amerikaner. „Da, Sheriff, ist das einer Ihrer Landsleute oder nicht?“ sagte er dann zu dem Mann, der ihm eilig nachgekommen war. „Ich denke, sein Vaterland steht ihm deutlich genug auf der Stirn.“

„Das wäre eine verdammt schlechte Empfehlung!“ brummte der Sheriff leise in den Bart. Es blieb ihm keine Zeit für lange Betrachtungen. Der Gestellte hatte sich von der ersten Überraschung erholt und rief jetzt ziemlich barsch, was das zu bedeuten habe. Gleichzeitig zog er seinen Revolver und sah den Sheriff wie den Indianer trotzig an.

Der Sheriff war nicht der Mann, der sich von einer gezogenen Waffe einschüchtern ließ. Im Gegenteil stimmte ihn das noch eher zugunsten des Indianers ein, an dessen Klage er keinen Augenblick zweifelte.

„Stecken Sie bitte den Revolver wieder ein“, sagte er deshalb ruhig. „Sie haben keinen Überfall zu befürchten, denn ich bin der Sheriff hier.“

„Und was habe ich mit dem Sheriff zu tun?“ sagte der Lange, der jedoch der Aufforderung Folge leistete und seine Waffe in eine Seitentasche zurückschob.

„Das werden Sie gleich hören. Wie ist Ihr Name?“

„Smith.“

„Gut, Mr. Smith. Sie halten sich hier im Paradies auf?“

„Wie Sie sehen, ja.“

„Wo schlafen Sie?“

„In Dolkins Zelt.“

„Gut. Der Indianer hier hat eine Klage gegen Sie eingebracht. Sie sollen in sein Lager eingebrochen sein und einen alten Mann seines Stammes mit dem Messer verwundet haben.“

„Der Bursche träumt“, sagte der Lange finster. „Seit ich in Kalifornien bin, habe ich kein Lager dieser braunen Schufte betreten.“

„Du lügst, Weißer!“ rief ihm der Häuptling entgegen, und wieder zuckte die Hand des Amerikaners nach der Waffe. Rasch trat der Sheriff zwischen die beiden und sagte ernst:

„Auf offener Straße kann die Sache nicht abgemacht werden. Sie werden sich morgen im Zelt des Majors Ryoth einfinden.“

„Wegen der Aussage eines Indianers?“ lachte Smith höhnisch. „Seit wann gelten diese Gesetze in den Vereinigten Staaten?“

„Sie werden sich nicht weigern, sich einer Jury zustellen“, sagte der Sheriff finster.

„Bestimmt nicht“, lachte der Amerikaner, „aber natürlich nur einer Jury von weißen Männern, falls Sie etwa eine andere Absicht hätten.“

„Es ist gut“, erwiderte der Sheriff, ohne auf die höhnische Bemerkung weiter ein Wort zu entgegnen. „Es wird meine Sorge sein, daß Sie morgen um die bestimmte Zeit noch hier an Ort und Stelle sind.“

„Ich werde mich der edlen Gerichtsbarkeit nicht entziehen!“ lachte Smith und schritt langsam durch die angesammelte Menge die Straße hinab.

„Lassen sie den Mörder gehen?“ rief erstaunt das junge Mädchen dem Häuptling zu.

Der Indianer biß seine Zähne fest aufeinander und drehte sich, um zum Hügel zu gehen, auf dem die Pferde standen.

„Kommt morgen rechtzeitig in die Stadt, Kesos!“ rief ihn da der Sheriff an. „Wenn es irgend möglich ist, bringt den Verwundeten mit!“

„Glauben Sie, daß mich Ihr Stock von einem Richter überhaupt hören wird?“ fragte der Indianer finster.

„Er kann es nicht verweigern“, erwiderte der Sheriff. „Viel Erfolg kann ich Ihnen allerdings nicht versprechen, auch wenn Sie das Recht auf Ihrer Seite haben. Wenn Sie nur einen Weißen als Zeugen hätten! Aber kommt trotzdem, mir liegt viel daran, daß der rauflustigen, vor nichts zurückschreckenden Menschenklasse wenigstens bewiesen wird, daß das Gesetz die Indianer unter ihren Schutz stellt. Sie müssen dann weniger befürchten, weiter belästigt zu werden.“

„Ich werde kommen!“ sagte der Häuptling, ergriff den Zügel des neben ihm reitenden Mädchens und schritt langsam mit ihr zu dem nahen Hügel zurück. Wenige Minuten später sprengte der kleine Trupp wieder in voller Flucht, die Stadt umreitend, den Bergen zu.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Gold