Das Paradies



Wie schon erwähnt, sind die beiden Hauptströme Kaliforniens, an deren Ausläufern das Gold gefunden wird, der Sacramento und der San Joaquin. Der erste kommt vom Norden herunter, der andere vom Süden herauf, beide laufen am Fuß des Gebirgsrückens entlang, der im Westen die dritte und niedrigste Bergreihe Amerikas bildet. Es ist gewissermaßen das Rückgrat der Gebirge, die im Norden Felsengebirge, in Mittelamerika Anden und in Südamerika Kordilleren genannt werden. Von diesem Bergrücken laufen eine große Zahl kleiner Bäche und Bergströme von Osten nach Westen in dieses Tal und in die Hauptströme hinab. Gerade an diesen kleinen Bächen hatten sich die Uferbänke und Betten als sehr goldhaltig erwiesen. Schon jetzt arbeiteten Tausende von geschäftigen Händen daran, sie umzuwühlen und ihnen die lang bewahrten Schätze zu entreißen.


Oben im Norden waren die wichtigsten dieser Ströme der Featherriver, Yuba und Bearcreek mit dem American Fork und manchen anderen, kleineren. Im Süden hatten dagegen der Calaveres, Macalome und Stanislaus den besten Namen.

Zwischen dem Stanislaus und Calaveres floß ein kleiner, klarer Bergbach dem Stanislaus zu. Ihm hatten die Indianer in ihrer bilderreichen Sprache den Namen ‚Himmelsauge‘ gegeben. Später eintreffende Amerikaner gaben ihm aus irgendeiner Laune heraus den Namen ‚Teufelswasser‘.

Sie hatten beide recht. War der Bergquell mit seiner klaren, unter Blumen spielenden Flut früher ein Himmelsauge gewesen - jetzt mit seinem durchwühlten Bett, mit der durch Maschinen getrübten Flut, mit seinen umgegrabenen und durcheinandergestürzten Uferbäumen war er wirklich zum Teufelswasser geworden. Die vertriebenen Nymphen des mißhandelten Stromes hätten sich nicht besser rächen können als eben durch das Gold.

Ziemlich weit oben sprang das ‚Teufelswasser‘ aus einer herrlichen, von steilen Wänden eingedämmten Kluft und bildete ein breites, kesselartiges Tal mit völlig flachem Boden. Weiter unten floß es wieder durch eine ähnliche Kluft ab. Es war erkennbar, daß sich in früheren Jahrhunderten das Wasser hier zu einem See gesammelt hatte. In gewisser Tiefe zeigte der Boden überall klaren Kies und kleine Muscheln. Als das Wasser zu stark anschwoll, hatte es sich wieder einen Ablauf gesucht und dadurch den See wieder trockengelegt. Das Tal wurde dadurch zu einer sogenannten Flat, wie sie hier in den Bergen häufig vorkommt. Nach einigen mißglückten Versuchen erwies sich gerade diese Flat als so reichhaltig mit dem edlen Metall, daß sie den Namen der ‚reichen Diggings‘ erhielt. Nicht nur aus den Städten, sondern auch aus den benachbarten Minen kamen zahlreiche Goldwäscher hierher, um ihr Glück erneut zu erproben. Händler brachten gleichzeitig ihre Waren herauf, Proviant, Kleider, Handwerkszeug und Branntwein. Wenige Wochen später stand in der Flat, in deren weichem Boden die Spuren des grauen Bären noch nicht einmal wieder durch neuen Regen verwischt waren, eine kleine Zeltstadt, einer abgerissenen Ecke San Franciscos nicht unähnlich.

Der Ort, der von Tag zu Tag größer wurde und durch Laubhütten, Schindeldächer und blaue und weiße Zelte immer neue Auswüchse erhielt, mußte einen Namen erhalten. Viele Vorschläge wurden dazu gemacht. Zuletzt entschied ein Zufall den Streit. Ziemlich in der Mitte der Flat stand ein einzelner knorriger Eichenbaum, der mit dem darumliegenden Terrain für die reichste Stelle gehalten wurde. Er war schon von einer amerikanischen Gesellschaft in Beschlag genommen, ehe die Miner hierherkamen. Jetzt verweigerten sie den anderen die Erlaubnis, in der Nähe nach Gold zu suchen, obwohl sie selbst den Platz nicht bearbeiteten, denn sie hatten noch einen anderen in Arbeit. Sie waren auch zahlreich genug, um ihre Rechte verteidigen zu können. Niemand wagte es deshalb, ihnen zu trotzen. Es gab auch genug Stellen in der Nachbarschaft, die sich ebenfalls als sehr reich herausstellten. So wurde der Platz mit dem Baum bald nur noch ‚der verbotene‘ genannt, die Stadt selbst bald im Scherz das ‚Paradies‘. Soviel Mühe sich auch ein gewisser Mr. Brown gab, der hier das erste Zelt aufgebaut hatte und den Ort Browntown nennen wollte, seine Versuche scheiterten trotz etlicher Brandyflaschen. Das Paradies mit dem ‚verbotenen Baum‘ stand für ewige Zeiten - oder doch so lange, wie dieses Tal Gold hatte - am Teufelsbach.

Vom Namen einmal abgesehen, bot das Paradies aber sehr wenig Anspruchsvolles. Die ganze kleine Stadt bestand aus einer einzigen etwa vierhundert Schritt langen Straße, an der sich alle Kaufzelte gesammelt hatten. Die ‚Vorstädte‘ wurden durch einzelne unordentlich in der Nachbarschaft stehende Zelte und Buschhütten gebildet. Trotzdem war dieser kleine Staat hier in der Bergwildnis bereits organisiert. Ein Friedensrichter und ein Sheriff waren gewählt. Vor dem Zelt des Richters wehte als Zeichen seiner Würde lustig das Sternen- und Streifenbanner der Vereinigten Staaten. Sonst trieb natürlich jeder, was ihn erfreute. Steuern und Abgaben existierten nicht. Der Friedensrichter oder, wie man ihn kalifornisch nannte, der Alkalde, mußte sehen, wie er sein Gehalt durch allerlei Amtsgebühren und andere zufällige Einkünfte herausschlug.

Das ‚Paradies‘ bildete so nur den Mittelpunkt der hier plötzlich an allen Stellen in Angriff genommenen Minen, den Ort, an dem sich nur ein Teil der wirklichen Goldwäscher für den Augenblick niedergelassen hatte. Von hier aus konnten auch die benachbarten Miner ihre Lebensmittel beziehen, solange sie es für gut hielten, in der Nachbarschaft zu bleiben. Sonst war niemand an den Boden einer solchen ‚Stadt‘ gefesselt. Selbst die wenigen Händler, die hier Bretterbuden für ihr Lager aufschlugen, konnten durch die Nachricht von einem reicheren Platz bewogen werden, sofort zusammenzupacken und dorthin aufzubrechen - ein Fall, der fast jede Woche in den verschiedenen Minen vorkam.

Trotz des weiten, ebenen Tales war die Gegend sehr malerisch. Die Berge waren mit Kiefern, Zedern und Eichen bewaldet, und die grüne Flat bot einen reizenden Ruhepunkt für das Auge. Ja, die bunten, unter den einzelnen Baumgruppen verstreuten Zelte dienten nur dazu, das Bild lebendiger zu machen. Wohin der Blick auch fiel, traf er an den Hängen auf die hellen Leinwandhäuser, vor denen abends die Lagerfeuer flammten und abenteuerlich und wild gegen die düsteren Schatten der Felswände abstachen. Es war doch auch ein abenteuerliches und wildes Leben, das die Bewohner dort führten. Jetzt aber schien die Sonne hell und klar auf die grüne Waldung, auf das freundliche, menschenbelebte Tal. Wer plötzlich von den umliegenden Bergen dahinunter gegangen wäre, ohne zu wissen, was sie da unten trieben, wer nur das hübsche, von den grünen Hängen eingeschlossene und scheinbar von der Welt abgeschiedene Fleckchen Erde vor sich gesehen hätte, hätte vielleicht dasselbe ausgerufen: Ein Paradies!

Ja, Gottes Welt ist schön und die Natur überall zu bewundern, wenn nur nicht die Leidenschaft der Menschen überall eingriffe! Ein entweihtes Heiligtum war auch dieses Tal, dem die Natur nichts versagt hatte, um ein wirkliches Paradies zu werden - aber die Menschen darin gruben nach Gold!

Das war ein Leben und Treiben überall! Aus allen Tälern und Bachbetten heraus tönte das klappernde, rasselnde Geräusch der sogenannten Wiegen oder Waschmaschinen. Wo man hinuntersah, standen Gruppen von Männern, die schweren Spitzhacken in den starken Fäusten, um den harten Boden damit aufzureißen. Und hin und wider zogen die Scharen der Kommenden und Gehenden! So viele durch das Gerücht von reichen Minen hierhergelockt sein mochten, so viele wurden auch enttäuscht, sie fanden nicht das, was sie erhofft hatten. Andere Märchen, von den Nachbarminen in Umlauf gesetzt, machten die Runde, und viele schnürten wieder ihr Bündel, um dorthin zu wandern. Damals gingen bis heute unbestimmte Sagen von einem Goldsee oben in den Bergen herum, den wenige Glückliche zufällig gefunden hätten und der unermeßliche Schätze bergen sollte.

Der Weg wand sich an ziemlich rauhen Felsen das Tal hinauf. Er wurde aber trotzdem von den derben und schweren Auswandererwagen der Amerikaner befahren. Eben kam eine neue Karawane anmarschiert. Sie gingen neben dem Wagen, der ihr Gepäck transportierte. Die Gesellschaft schien bunt zusammengewürfelt und verdankte auch ihre Vereinigung nicht einer freiwilligen Wahl. Allein das Gewicht ihres Gepäcks hatte sie für die kurze Zeit der Reise aneinandergebunden. In Stockton fanden nämlich viele dieser Fuhrwerke eine außerordentlich einträgliche Beschäftigung mit dem Transport des Gepäcks in die Minen. War die Gesellschaft groß genug, um einen besonderen Wagen zu füllen, dann gab es weiter keine Schwierigkeit, und sie konnten sofort aufbrechen. Bestand sie aber nur aus wenigen Mitgliedern, dann mußten sie so lange warten, bis sich noch andere fanden, die in die gleiche Richtung oder zumindest in die Nachbarschaft wollten. Da die zukünftigen Goldwäscher selten ein genaues Ziel hatten und sie ihr Glück an dem einen Platz genausogut versuchen konnten wie an einem anderen, schlossen sie sich häufig solchen reisefertigen Wagen an. Sobald der Fuhrmann seine Ladung voll hatte, brach er auf.

Auf diese Weise hatte sich auch hier nur zum Transport des Gepäcks eine gemischte Gesellschaft aller möglichen Nationen zusammengefunden. Sie trugen fast alle nur ihre Hemden und hatten die Jacken und Röcke auf den Wagen geworfen. Lachend und plaudernd gingen sie daneben her, blieben dann und wann stehen, um die in der Nähe des Weges arbeitenden Gruppen zu beobachten. Das war doch für sie ein Bild ihres künftigen Lebens.

Merkwürdig genug sahen diese Gruppen aus. Hier, gleich am Weg, der um einen Felsenvorsprung bog, arbeiteten drei Neger und ein Mulatte zusammen in der Nähe des Flusses. Sie hatten ein tiefes Loch in das Ufer gehackt, aus dem sie die goldhaltige Erde zum Wasser schleppten. Etwa hundert Schritt weiter oben wühlten sich drei Weiße, offensichtlich Iren, in den harten Boden hinein. Über ihnen arbeiteten Mexikaner mit ihren flachen Holzschüsseln und kurzen Brechstangen, und noch weiter oben dämmte eine größere Gesellschaft von Amerikanern den ganzen Bergstrom zur Seite. Für eine kurze Strecke gab man ihm ein anderes Bett, um in dem alten nach seinen Schätzen zu suchen.

Auch das ‚himmlische Reich‘, China, hatte seine Söhne herübergesandt, um die kalifornische Erde aufzuwühlen. Noch etwas weiter oben, wo sich das Tal verengte und der Bergstrom so nach seinem rechten Ufer hinüberdrängte, daß ihn der Weg hier kreuzen mußte, arbeitete ein kleiner Trupp von Chinesen in ihren blauen, baumwollenen geräumigen Jacken und kurzen weißen Hosen.

Einer unterschied sich von allen anderen, nicht nur durch die Kleidung, sondern durch sein ganzes Wesen. Er schien der Anführer der Schar zu sein. Er war ungewöhnlich groß und kräftig für diesen sonst eher kleinen und schmächtigen Menschenschlag. Er trug einen wunderschönen schwarzen langen Zopf, der ihn aber bei der Arbeit behinderte. Deshalb hatte er das untere Ende zusammengewickelt und trug ihn in der linken Jackentasche. Gerade als der Wagen vorbeifuhr, war er ihm einmal herausgerutscht. Er legte seine Spitzhacke hin, wusch sich erst die Hände und brachte dann dieses Heiligtum der Chinesen wieder sorgfältig an seinen früheren Platz zurück.

„Donnerwetter, Justizrat“, sagte da einer der Wanderer, der sich die Chinesen mit besonderer Neugier angesehen hatte. „Was der Bursche für einen Schopf hat!“

„Hm ja!“ stieß der Justizrat heraus. Mit seiner ewig langen Pfeife war er am Wegrand stehengeblieben und schien fest entschlossen, sich in Kalifornien über nichts mehr zu wundern, so außergewöhnlich und neu es ihm auch sonst wohl erscheinen mochte. „Aber nichts Besonderes, wir Haare wachsen lassen - ebensolang!“

„Na, das wäre was, nehmen Sie mir’s nicht übel!“ rief der andere erstaunt.

„Nein, nehmen Sie es ihm lieber nicht übel, Herr Hufner“, näselte der dritte, der eben herankam und bei seinen Reisegefährten stehengeblieben war. „Daß dem Herrn Justizrat hier die Zöpfe nicht so groß vorkommen, ist wohl leicht erklärbar. Zu Haus in seinem Büro hat er sie bestimmt größer gesehen und für sich selbst ein Prachtexemplar mitgebracht.“

„Unausstehlicher Mensch, dieser Binderhof“, brummte der Justizrat vor sich hin, zog an seiner Pfeife und drehte sich, ohne ein Wort auf die boshafte Bemerkung zu erwidern, rasch ab, um den Wagen wieder einzuholen.

„Aber, lieber Herr Binderhof, was haben Sie denn ständig mit dem armen Justizrat?“ sagte Hufner freundlich vorwurfsvoll.

„Gar nichts“, lachte der Lange, „nur meinen Spaß.“

„Sie werden ihn noch richtig böse machen!“

„Das sollte mir leid tun, denn er allein bestreitet meine Unterhaltung hier in dem langweiligen Land“, sagte der Lange. „Hören Sie mal, Hufner, die Geschichte scheint mir hier faul zu sein, denn wenn ich solche Löcher in die Erde hineinkratzen soll wie die Leute hier, dann werde ich wohl sehr wenig Gold finden.“

„Hm ja“, meinte Hufner etwas kleinlaut. „Sie haben da nicht so unrecht, Herr Binderhof. Was ich so von den Minen gehört habe, sollten die Arbeiten ganz anders gehen. Man kratzte da bloß das Gold mit dem Messer aus den Felsspalten heraus.“

„Nicht wahr, das habe ich auch gehört. Aber was tut’s, wir wollen schon unser Gold finden, und wenn wir andere für uns graben lassen müssen. Hallo, was ist da vorn los? Sehen Sie einmal, das muß ein Deutscher sein.“

Vor dem Wagen hielt ein Mann mit einer schwerbeladenen Eselin. Er wollte offensichtlich ebenfalls in die Minen. An das Tier schmiegte sich ständig ein wenige Wochen altes Eselchen an, so daß es nicht sehr rasch von der Stelle kam. Die alte Eselin hatte wohl auch zu viel aufgepackt bekommen, und das Gehen fiel ihr schwer, während ihr Herr ständig mit einem dicken Stock auf sie einschlug. Der Wagen konnte jetzt eben vorüberfahren, und die Eselin ging ein paar Schritte nach vorn, aber das Junge drängte sich wieder vor sie, und erneut blieben alle stehen.

Der Mann war jedenfalls ein Deutscher. Er trug lange Wasserstiefel, eine Mütze und über der Schulter ein einläufiges Jagdgewehr an einem Riemen. Er stieß ständig fürchterliche Flüche aus, weil er das Tier nicht von der Stelle brachte. Dabei trat er das arme Füllen so mit seinen schweren Stiefeln in die Seite, daß es stürzte.

„Na, das ist grausam!“ brummte der Justizrat, der jetzt gerade neben dem fremden Landsmann war. „Donnerwetter, Tierquälerei!“

„Donnerwetter!“ fluchte aber, dadurch gereizt, auch der Eseltreiber. „Das ist mein Vieh, und mit meinem Vieh kann ich machen, was ich will. Das Biest hat mich lange genug aufgehalten, und ich habe es satt.“

Mit diesen Worten warf er seinen Stock hin und riß die Büchse von der Schulter. Ehe einer der Leute ahnte, was er vorhatte, erschoß er das kleine Eselfüllen, das eben wieder aufgestanden war und bei der Mutter Schutz suchte. Dann griff er seinen Stock auf, und hieb unbarmherzig auf die Eselin ein, um sie von dem toten Jungen wegzutreiben. Das Tier leckte das Füllen und stieß es mit der Schnauze an.

Die Tat war zu roh, um nicht die gerechte Entrüstung aller Zeugen hervorzurufen. Der Wagen hielt, und besonders der Justizrat war so außer sich, daß er selbst die Pfeife ausgehen ließ.

„Kümmert euch um euch selbst!“ schrie aber der Deutsche. „Das Tier ist mein Eigentum, und ich kann damit machen, was ich will. Wenn ich zu spät in die Minen komme, gibt mir keiner von euch etwas dazu!“

„Was sagt er?“ erkundigte sich der Wagenführer, ein baumlanger Mann aus Tennessee. Er musterte dabei den Mann von oben bis unten mit nicht gerade freundlichem Blick.

Hufner, der etwas Englisch mit sehr gezwungenem Dialekt sprach, übersetzte dem Langen die Worte. Kaum war er damit fertig, als der seine Peitsche ergriff und ausrief: „So, mein Lieber, das Eselfüllen gehört dir, und du kannst damit machen, was du willst? Sieh dir mal die Peitsche an; die gehört mir, und ich, habe die gleichen Grundsätze!“ Dabei hieb er dem frechen Burschen aus voller Kraft eine Anzahl Streiche über Kopf und Schultern.

Der Deutsche faßte in blinder Wut nach seiner abgeschossenen Büchse und riß dann sein Messer aus der Tasche. „Bravo, bravo!“ schrien die Amerikaner und seine Landsleute, die sich ihm alle drohend entgegenstellten. Gegen die Übermacht konnte er nichts ausrichten. Der Justizrat zählte inzwischen mit großer Genugtuung die verabreichten wohlverdienten Hiebe.

„Hm“, sagte er dann, als der Amerikaner aufhörte und wieder ruhig zu seinem Wagen ging. „Neun! Hätte fünfundzwanzig verdient! Pft! Lumpenkerl!“

Der Deutsche fluchte und schimpfte und schwur, er wolle den Fuhrmann über den Haufen schießen wie einen tollen Hund, sobald er wieder geladen hätte. Aber es kümmerte sich niemand um ihn, und als er allein war, durfte er ungestraft seine Wut an der armen Eselin auslassen.

Dieses kleine Intermezzo lenkte die Aufmerksamkeit der Reisenden für kurze Zeit von den Goldwäschern ab. Mit Entrüstung sprachen sie über die Brutalität des rohen Menschen. Die ‚Passagiere‘ holten dabei ihre verschiedenen Flaschen heraus und tranken dem Fuhrmann zu, der dem Kerl doch mit seinen Peitschenhieben gezeigt hatte, wie sie über sein Verhalten dachten. Bald nahm aber wieder der Weg ihre Aufmerksamkeit in Anspruch, denn er führte einige Male hin und herüber durch den überall von Löchern durchwühlten Bergbach. An einigen Stellen wurde er so schmal, daß sich die Räder gerade noch so in der ausgefahrenen Spur halten konnten. Sie befanden sich jetzt auch an der Stelle, wo sich das Wasser des früheren Bergsees seine Bahn ins Freie und in das enge Tal gewaschen hatte. Hier vorüber, und alle Schwierigkeiten waren beseitigt.

Der Fuhrmann konnte übrigens hervorragend mit seinen vier Ochsen umgehen. Mit Wort und Peitsche dirigierte er sie genau auf die Fahrgleise, wie er sie haben wollte. Wenn die Eigentümer auch manchmal ängstlich ihr Gepäck auf dem Wagen musterten, so rollte der doch auch am äußersten Rand unter wegbröckelnden Wänden noch sicher dahin. Der Mann war aber auch mit diesem Wagen, allerdings mit anderen Tieren, über die Felsengebirge gekommen und dort an schlimmere Wege gewöhnt worden. Hier sah er weiter keine Gefahr als das mögliche Umwerfen der Fracht, an der er weiter kein Interesse hatte. Oben in den Bergen hing oft sein Leben und das der Tiere an einem einzigen falschen Schritt, an dem Rollen eines Steines.

Jetzt erreichten sie den oberen Paß, und dicht vor ihnen ausgebreitet lag in einer Entfernung von kaum hundert Schritt diese ganze wunderliche Welt. Der Justizrat betrachtete sie kopfschüttelnd. Dazu hatte er allerdings jetzt auch gerade Ursache. Selbst die Amerikaner, die an das wilde Treiben viel eher gewöhnt waren, sahen überrascht hinab und konnten sich nicht erklären, was der wilde Lärm zu bedeuten hatte. Die ganze Flat schien in Aufruhr zu sein. Von allen Seiten sprangen die Miner kreischend, jauchzend, hüpfend und lachend herbei. Alle in dem Städtchen benahmen sich so ausgelassen wie zu Fasching oder einem anderen, tollen Fest. Hier stand ein Mann, der auf einem chinesischen Gong herumhämmerte. Die scharfen, ohrenzerreißenden Töne schmetterten weit über die Berge hinaus und suchten da ihr Echo. Dort stand ein anderer mit einer kleinen Kindertrompete. Sein Gesicht war zinnoberrot, seine Backen zum Zerspringen aufgeblasen, als er dem Instrument schrille Töne entlockte. Da wirbelte jemand auf einer Trommel, dort schlug man ein paar Becken zusammen, während ein Fünfter mit aller Kraft eine alte, zersprungene Glocke läutete. Den Leuten schien es nur darauf anzukommen, soviel Lärm wie irgend möglich zu machen. Während die Goldwäscher von allen Seiten herbeiströmten, sah es fast so aus, als ob hier zu irgendeinem Zweck Sturm geläutet wurde.

„Was um Himmels willen ist denn hier los?“ erkundigte sich der eine Amerikaner bei einem schnell vorbeispringenden Landsmann. „Brennt’s irgendwo?“

„Brennen?“ rief der lachend zurück. „Nein, nur in der Küche. Aber Hunger haben wir, und das sind die verschiedenen Signale, damit jeder von uns weiß, wohin er gehört. Ihr kommt gerade zur richtigen Zeit.“ Damit sprang er vorüber.

Der Mann hatte ihnen die Wahrheit gesagt. Viele der Kaufzelte hielten es für vorteilhaft, ihren Kunden für zwei Dollar auch ein Essen zu bieten. Die verschiedenen Alarmzeichen dienten also dazu, den Gästen anzuzeigen, daß das Essen fertig war. Da es nicht genug Glocken gab und es dadurch auch nur Verwirrung gegeben hätte, hatte jedes Eßzelt ein anderes Instrument. Die gerade Angekommenen konnten aber davon noch keinen Gebrauch machen, denn sie mußten erst ihr Gepäck abladen und dann auch im Auge behalten, bis es an einer sicheren Stelle, im Zelt oder Bretterverschlag, untergebracht werden konnte.

Nur der Justizrat nahm darauf keine Rücksicht. Er hatte die Überzeugung, daß seine Reisegefährten stillschweigend die moralische Verpflichtung übernommen hatten, nicht nur auf ihr Gepäck zu achten, sondern auch auf seins. Ohne sich deshalb darum zu kümmern, wanderte er zum nächsten Zelt, als er erfahren hatte, was die Signale bedeuteten. Er trat ein, legte die lange Pfeife und seinen Hut in die Ecke und nahm am gedeckten Tisch Platz.

Das Zeltinnere war nicht vielversprechend. Eine ungehobelte lange Tafel aus Zederbrettern mit Bänken in gleicher Art stand in der Mitte. Nur an einigen Stellen lagen kurze und schon öfter benutzte Tischtücher. Messer, Gabel und Teller gab es allerdings und auch ein großes Salzfaß, vielleicht aus Zinn, denn der darauf liegende Staub ließ es nicht richtig erkennen. Aber zwei riesige Flaschen mit sogenannten Pickles, kleinen, eingelegten Gurken in Essig und spanischem Pfeffer, bildeten den eigentlichen Anlockungspunkt für diese Mahlzeiten. Es war etwas Pikantes für die Zungen, die sich das ewige frische Fleisch und Weizenbrot schon übergegessen hatten. Die Leute bezahlten auch gern einen ziemlich hohen Preis dafür. Das Essen konnten sie sich auch in ihrem Zelt zubereiten, aber die sauren und gepfefferten Pickles gab es nur hier.

Eine Menge Gäste strömten jetzt herein und hatten schon Platz genommen. Der Justizrat erwartete jetzt ein richtiges Menü, wurde aber natürlich enttäuscht. Das ganze Essen bestand aus einem Stück etwas zähem Rindfleisch, Kartoffeln mit Schale und Weizenbrot. Er versuchte auch die Pickles, mußte aber schon nach dem ersten Bissen so furchtbar husten, daß er kaum wieder zu sich kommen konnte. Dafür durfte er zwei Dollar bezahlen. Als er voller Entrüstung über solche ‚Prellerei‘ das Zelt wieder verlassen wollte, mußte er feststellen, daß inzwischen jemand seinen guten, breitrandigen Filzhut von der Pfeife weggenommen und statt dessen einen alten Strohdeckel darüber gestülpt hatte. Seine Nachforschungen waren vergeblich. Er konnte sich im Englischen auch nur schwer verständlich machen, und die Leute lachten ihn auch noch aus. Es blieb ihm schließlich nichts anderes übrig, als zu seinen Leuten zurückzukehren und den Hut aufzugeben.

„Sieh mal an“, empfing ihn dort der ihm verhaßte Binderhof mit vergnügtem Lächeln. „Solche Eitelkeit hätte ich dem Justizrat nicht zugetraut! Ist er doch gleich in die Stadt gegangen und hat sich einen neuen Hut gekauft!“

„Verdammter Deckel!“ fluchte der ärgerliche Mann, der den alten Strohhut in Gedanken aufgesetzt hatte. Er riß ihn herunter, knüllte ihn zusammen und warf ihn auf den Boden. „Nichtsnutzige Bande hier - wo ist meine Mütze?“

Lamberg war der einzige praktische Mensch in der kleinen Gesellschaft, hatte aber vor der Arbeit den gleichen Widerwillen wie der Justizrat. Vor dem besaß er allerdings den Vorteil, daß er wenigstens sagen konnte, wie etwas gemacht wurde. Zur Ausführung benutzte er dann Hufner, der mit großer Gutmütigkeit und Gefälligkeit nie jemand gern eine Bitte abschlug. Außerdem achtete Hufner den Justizrat besonders - wegen seines Titels.

Vor allen Dingen war es jetzt erforderlich, daß sie ihr mitgebrachtes Zelt an einem passenden Ort aufschlugen. Den Platz suchte Lamberg aus und zeigte die Stellen, wo die Löcher für die Zeltstangen gegraben werden mußten. Binderhof mußte dann die Stangen halten, während Hufner im Schweiße seines Angesichts die ersten Spitzhackenschläge in kalifornischen Boden tat.

Das Zelt stand endlich, und die mitgebrachten Gegenstände wurden - diesmal gemeinsam von allen - hineingetragen. Hufner blieb als Wache zurück, weil die anderen sich erst einmal den Ort ansehen wollten. Er hätte allerdings selbst gern so einen Spaziergang gemacht. Der Justizrat war aber nach der Unterbringung seines Gepäcks mit seiner wieder gestopften Pfeife losgegangen. Binderhof steckte beide Hände in die Taschen und schlenderte ihm nach. Lamberg hielt es für erforderlich, Gegend und Gelegenheit für die nächsten Arbeiten zu untersuchen. So blieb dann natürlich niemand außer Hufner übrig, um die Sachen im Auge zu behalten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Gold