Glimpf und Schimpf in Spruch und Wort Teil 1

Sprach- und sittengeschichtliche Aphorismen
Autor: Constant v. Wurzbach, Erscheinungsjahr: 1864
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Sprichwörter, Redensarten, merkwürdigen Ausdrücke, Gelehrsamkeit, Sprachwissenschaft, Kulturgeschichte, Gesellschaft, Sprachtrödel, Kapriolen, Schimmelreiter, Etymologie, Staatsmann, Humor der Kanzleisprache, Physiognomik, Heraldik, Sitte und Recht
„Glimpf“ ist ein Wort von gar schöner Bedeutung; es drückt die ganze Stimmung der Seele aus, welche dem kalten Ernst, der lieblosen Strenge, dem hartnäckigen Willen, dem unbeugsamen Egoismus und Eigensinn entgegengesetzt ist; also bezeichnet es: Sanftheit, Gelindigkeit, Milde, Nachgiebigkeit, Vertrauen erweckendes Wohlwollen, Gleichmut der Seele; dann auch gute Meinung, Verehrung, Würde, persönliches Ansehen.

Körte, 161
Inhaltsverzeichnis
  1. Volks- und Städte-Schimpf und Glimpf
  2. Schimpf und Glimpf von den Frauen und von der Liebe
  3. Glimpf und Schimpf in Herren-Brauch und Spruch
  4. Kalender - Schimpf und Glimpf
Ein Vorgespräch

Man unterhielt sich von Sprichwörtern, Redensarten, merkwürdigen Ausdrücken. Die Gesellschaft war eine gebildete und gemischte. Einer der Anwesenden, ein Herr N., betrachtete derlei Untersuchungen für Zeitverlust, eitel Spielwerk und weiß Gott was mehr. Man machte ihm vergeblich versteckte und offene Zeichen, daß Jemand anwesend sei, der in Sprichwörtern arbeite. Das rührte ihn nicht, vielmehr gab er seinem Groll gegen die Sache eine persönliche Richtung und gebärdete sich, während er auf die abgeschmackten „Sprachnergeleien,“ wie er dergleichen geistreich nannte, loszog, wie ein der Zwangsjacke Entsprungener. Mich befremdete dieses Verhalten, und um so mehr, als ich den Herrn selbst gar nicht und nur aus Mitteilungen einiger seiner Kollegen kannte, die mir den Griffel zu dem Bilde liehen, welches ich weiter unten von ihm entwerfe.

Was soll's, rief mein geistreicher Gegner, mit diesen Hypothesen, die im besten Falle kaum ein Bischen Scharfsinn verraten, im Ganzen aber zu Nichts taugen. Sie werden mich doch nicht glauben machen, und dabei machte er eine halbe Wendung mit dem Körper, so daß die folgende Apostrophe an mich gerichtet zu sein schien, daß hinter dergleichen antiquierten Schnurpfeifereien eigentliches Wissen oder gar Gelehrsamkeit stecke. Wenn ich ein Buch von solchem Afterwitz vollgepfropft erblicke, verschlägt es mir den Atem und ich bedauere.

Entschuldigen Sie, fiel ich dem Redner in's Wort, indem ich mich solchem unberechtigten Übermute gegenüber nicht länger zurückhalten konnte, ich weiß nicht woher Ihr Unmut über einen Gegenstand, der eher heiter zu stimmen als aufzuregen vermag; jedoch, um auf Ihren Ausspruch zurückzukommen: ich weiß nicht, was Sie unter Wissen verstehen; aber über den oft sehr alten und unklaren, fast immer höchst interessanten Ursprung von Ausdrücken, Redensarten, Sprichwörtern u. dgl. m. eine erschöpfende Auskunft zu geben, Unrichtigkeiten zu berichtigen, Hypothesen durch Tatsachen zu verdrängen, kurz, dem Volkswitze so zu sagen hinter die Kulissen zu schauen, ist, mögen Sie es abgeschmackt, albern, antiquierte Schnurpfeiferei oder was immer nennen, meines Erachtens ein nicht ganz verwerfliches Wissen, welches eine beachtenswerte und noch immer nicht sehr verbreitete Kenntnis der Geschichte und Kulturgeschichte voraussetzt, wie denn überhaupt die Sprichwörterkunde ein nicht unwichtiger Zweig der Sprachwissenschaft ist.

Daß ich es gewagt, der Paladin meiner eigenen Sache zu werden, stachelte den Sprichwörter-Cerberus, dem überdies das Befremden und Mitleiden der ganzen Gesellschaft in ziemlich deutlicher Weise kundgegeben wurde, nur noch mehr auf, und eine neue Batterie vorführend und abprotzend begann er:

Zweig auf, Zweig ab! Wissenschaft hin, Wissenschaft her! Ich gebe keinen Deut um den Bettel.

Was hat man von diesem Sprachtrödel? Wird die Sprache dadurch besser? —

Fast fürcht' ich nein, nach der Probe die Sie mein Herr uns gerade zu geben belieben, warf ich rasch ein.

Mein Gegner stutzte, aber nur einen Augenblick, und fuhr sogleich fort: Was hat der Staat davon? Werden dadurch etwa seine Lasten geringer, seine Gesetze besser?

Er wollte in seinen offiziellen Kapriolen fortfahren; aber ich fiel ihm wieder in's Wort. Ob die Sprache dadurch besser wird, das kann hier nicht in Betrachtung kommen, aber daß man dabei ihren (verzeihen Sie, ich meine die Sprache) und den Geist des Volkes, das sie spricht, kennen und würdigen lernt, daß man sich dabei mit den vergessenen Sitten des Altertums vertraut macht und manche Gewohnheit der Gegenwart verstehen lernt, unterliegt keinem Zweifel. Sie fragen was der Staat davon hat? Auf den ersten Anschein hat der Staat von vielen Dingen Nichts; ich sage auf den ersten Anschein. Was hat der Staat von dem Bilde, mit dessen Ausführung er einen Künstler beauftragt? Was hat er von einer Statue, die er gießen läßt? Was hat er von den tausend und tausend Schimmelreitern, die in seinen Ämtern sitzen.

Was ist das, was ist das ein Schimmelreiter? riefen mehrere Damen und Herren zugleich.

Herr N. reitet einen Schimmel, fiel ein anderer erklärend ein.

Verzeihen Sie, meine Herren und Damen, ich wußte eben so wenig, daß Herr N. ein Reiter, als überhaupt daß er einen vierfüßigen Schimmel reite, begann ich entschuldigend, während meines Gegners Angesicht über und über von Purpurröte übergossen ward.

Also, was ist das ein Schimmelreiter? fragten zu wiederholten Malen Mehrere zugleich aus der Gesellschaft; erklären Sie uns doch das.

Verzeihen Sie, meine Damen, Sie können mich doch nicht Angesichts eines Feindes aller Etymologie verurteilen, einen etymologischen Vortrag zu halten?

Nun, dann müssen Sie es uns erklären, Sie Sprichwörter-Caliban, rief ein reizendes Mädchen, in dessen Augen der Angeredete sein oppositionelles Ansehen nicht geschmälert sehen mochte.

Wenn Sie es wünschen, begann der Staatsmann, ein Schimmelreiter ist Jemand, der nach Schimmeln arbeitet.

Jetzt wissen wir so viel wie früher, riefen Mehrere aus der Gesellschaft, wie arbeitet man nach Schimmeln?

Gibt es in den Ämtern auch Stallungen?

Warum gerade Schimmel und nicht lieber Füchse?

So fielen wie Schlossen die Fragen auf einander, bis endlich ein Herr meinen Gegner geradezu aufforderte: nun, so erklären Sie uns doch die Sache.

Ich habe schon gesagt: Ein Schimmelreiter heißt jener, der nach Schimmeln arbeitet.

Jetzt war der Augenblick gekommen, in welchem ich mein Geschütz auffahren und das ganze Feuer desselben vernichtend wirken lassen konnte. Ich bitte, rief ich laut, für einige Augenblicke um Gehör. Das gehört in mein Gebiet! Lassen Sie diesem Herrn seine Sorgen um den Staat, und mir die Sorge um den antiquarischen Sprichwörter-Trödel. Ich will Ihnen erschöpfenden Bericht geben über die Schimmelreiter. Ah, das ist ein Schimmelreiter! hört man nicht selten Jemand titulieren. Einen Schimmel, einen Schimmel! Wer kennt nicht, wenn er einmal unter den Schreibern gedient, diesen Zuruf? „Ein Königreich um ein Pferd“ wollte Richard geben, aber mit obigem Schimmel war' ihm doch nicht gedient gewesen. Was soll's mit diesem Schimmel? O, das ist ein geheimnisvolles, gewaltiges, mächtiges Getier, aber keines aus der Apokalypse. Mit so einem Schimmel hat es Mancher zum Dirigierenden gebracht, der nichts gelernt, nichts gedacht, nie etwas erfunden, der es versteht, sich von den Gedanken seines Vorgängers in Amt und Stelle, wenn gerade dessen Arbeit zum Schimmel dient, zu mästen. — Ich sprach diese Worte ohne meinen Körper durch Schwenkung in eine Stellung zu meinem Gegner gebracht zu haben, nichtsdestoweniger richteten sich Aller Blicke auf ihn, dessen Nasenspitze bereits Schweißperlen zu treiben begann.

Ich aber fuhr in meiner Apostrophe fort: Auf der Reitbahn dieser Schimmel galoppiert sich's nicht selten in Rang und Ehren; man weiß oft nicht wie das zugegangen. Nun, Einige wissen's wohl, aber die sagen's nicht, weil.... nun sie sagen's nicht, obgleich sie ganz gut wissen, wie Dieser und Jener in's Zentrum getroffen, der noch nie ein Pulver gerochen; wie Dieser und Jener zu einem Gedanken gekommen, obwohl es bekannt ist, daß auf Stroh nur Mispeln reif werden, aber keine Gedanken wachsen; wie Dieser und Jener als ein ganz exakter Geschäftsmann gilt, der eben nichts mehr versteht, als in seiner Amtsstube den Schimmel zu reiten. Wie's Gott will, das ist so der Lauf der Welt. Nun aber, was hat es mit diesem Schimmel für eine Bewandtnis? Wer ist das Tier? Ist es ein Tier überhaupt, oder ist es gar ein fabelhaftes Tier? Nichts von alledem. Ein Schimmel ist ein oder mehrere Bogen beschriebenes Papier, ein sogenannter Vorakt, in welchem bereits eine Angelegenheit (ein Simile) ähnlich jener, die eben wieder einem geleerten (das doppelte e ist hier kein Druckfehler) Federhelden zur Erledigung gegeben worden, behandelt ist. Ein solcher Vorakt, der dem neuen Akte in Form, Inhalt und Ausführung als Richtschnur dient — ein solches Simile, welcher lateinische Ausdruck ähnlich bedeutet, wie das französische Similairs — ist von dem Humor der Kanzleisprache — denn auch in den Kanzleien stecken Humoristen — zum Schimmel verderbt (oder verbessert) und jeder solche Federheld, der die ihm zugeteilten Aktenstücke nicht nach seinem Kopfe, nach seinem besten Wissen und Gewissen, sondern nach einem solchen Schimmel erledigt, treffend zum Schimmelreiter ernannt worden. Es ließen sich interessante Portraite von solchen Schimmelreitern entwerfen, aber das gehört schon mehr in das Gebiet der Physiognomik und Schädellehre, als in jenes der Kultur-Historie. Dieses letztere ist aber mit obiger Darstellung des Schimmelreiters erschöpft. Dieses Wort findet sich merkwürdiger Weise ungeachtet seiner Verbreitung —in keinem Lexikon. Es geschieht dadurch dem Worte ein um so größeres Unrecht, als es oft den einzigen Erklärungsgrund für manchen Bescheid bildet, der wie eine Faust aufs Auge passt. Ich werde beantragen, daß alle dergleichen Schimmelreiter oder Schimmelritter ein eigenes Wappen führen sollten, u. z. einen unter der Last von Schimmeln (sind hier ganze Akten-Konvolute zu verstehen) erliegenden Schimmel. Dieser müsste, da Grün keine heraldische Farbe ist, Gold nicht passt, weil zwei Metallfarben, der silberne Schimmel im goldenen Felde unheraldisch wären, im blauen Felde stehen, was vortrefflich passt, denn ein solcher Schimmelreiter schimmelt ja in's Blaue hinein, läßt oft genug Sitte und Recht blau anlaufen und macht der uneingeweihten Menge nicht selten blauen Dunst vor.

Ich hatte meine letzte Patrone verschossen. Die Wirkung war mörderisch gewesen, die Nase meines Gegners schwitzte sich zu Tode, und er, erst der Löwe der Gesellschaft, dessen Bomben vordem Jeden vernichtend treffen zu wollen schienen, war mäuschenstille geworden, und um seiner schonen Seele wie seinem Wissen ein letztes Relief zu geben, stotterte er: Mir hätte es doch schon längst einfallen sollen, daß der Schimmel von dem lateinischen Simile abgeleitet werden könne.

Nicht könne, mein Herr, sondern wird, verlassen Sie sich darauf, rief ich und wendete mich zur Gesellschaft mit den Worten: Sie sehen, meine Verehrten, diesem antiquarischen Plunder wohnt selbst humoristischer Reiz inne.

Ich weiß nicht ob ich den Sprichwörter-Haifisch von seiner Wut gegen diesen antiquarischen Plunder geheilt habe, daß er aber seit jenem Tage diese Gesellschaft nicht mehr besucht, ist eine Tatsache. Auch verbreitete sich die Nachricht von diesem seinem Solferino unter seinen Kollegen, bei denen er längst seiner armseligen Schimmelreiterei wegen nicht in gutem Andenken stand und wegen seiner Niederlage nicht im Geringsten bedauert wird.

Dr. Const. von Wurzbach