Stiefmutter ist des Teufels Unterfutter

Stiefmutter ist des Teufels Unterfutter

Ein solches Sprichwort ist mehr als historisch, es ist welthistorisch. Die Stiefmutter ist, wie bekannt, die durch eine zweite Ehe zugebrachte Mutter. Nach dem althochdeutschen stiufan, d. i. berauben, verwaisen, wäre Verwaisung der erste Begriff des Wortes, und Stiefmutter die Mutter der Verwaisten. Verwaist wäre aber wieder nur sekundär zu den Begriffen: Gebeugt, umgestürzt, nach dem altnordischen steypa, gießen (daher Stauf, der Humpen, das Gefäß, ehemals auch Höhe, z. B. Donaustauf), angelsächsisch steap gähe. Aber auch wenn wir die Wurzel stiban, d. i. stützen, hernehmen, und an befristen, d. i. begründen, einrichten, in Ordnung bringen, denken, bietet sich der sprachlichen Forschung über das Wort einiger Anhaltspunkt.


Seine echte Ausarbeitung hat der Begriff „Stiefmutter“ im Gefühlsleben des Volkes, in der Kulturgeschichte erhalten. Düstere Geschichten und reizende Märchen erzählen uns von dem Walten böser Stiefmütter und von dem eingewurzelten Hasse des Volkes gegen sie. Sprichwörtlich ist „einen stiefmütterlich behandeln“ für „schlecht behandeln“; und selbst ein harmloses Blümchen, die sogenannte Dreifaltigkeitsblume, auch Freisamkraut genannt, eine Art Gartenveilchen, mußte sich zum Träger dieses Gefühls hergeben. Von der Stellung der Blätter nämlich, deren die fünf obersten purpurfarbig, die zwei mittleren weiß und das unterste gelb ist, wird diese Blume auch das Stiefmütterchen genannt.

Der poetische Schmerz und Zorn des Volkes hat die Stiefmutter auch im Sprichworte im gebührenden Andenken erhalten.

Schon die alten Römer sagten, wenn sie vergebliche Klage andeuten wollten: „Seiner Stiefmutter klagen“, was nicht mehr und nicht weniger sagen will, als „dem Henker beichten“. — Der „Stiefmutter-Hass“ ist ein stehendes Wort im Familienleben, wenn derlei Unholde es zerstören; und von heuchlerischen Tränen sagt man witzig: „Er weint ob seiner Stiefmutter Grab“, denn solche Tränen können ja nicht wahr sein. Der traurige Einfluß, den ein solches Weib auf den Mann übt, ist treffend in einer Redensart ausgedrückt, die den alten Brand zum Urheber hat:

Eim Stiefvater folgt dick und vil,
Wer nicht sim Vater folgen wil,


oder in einem andern: „Wer eine Stiefmutter hat auch wohl 'nen Stiefvater“, der schwache Mann muß ja wohl um des lieben Hausfriedens willen. Der schwache Mann! Der Hass und die Poesie des Volkes gipfeln aber in dem einfachen: Stiefmütter sind am besten im grünen Kleide, d.h. drei Ellen tief unter grünem Rasen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Glimpf und Schimpf in Spruch und Wort Teil 1