St. Martinsgans — St, Martinsbrüder — St. Martinshörner

St. Martinsgans. — St. Martinsbrüder. — St. Martinshörner

Wohl überall ist der Martinstag bekannt und in „gutem Geruche“, da er auf die meisten Tische den düfteverbreitenden Gänsebraten spendet, namentlich dort, wo derlei heilige Tage sich nicht zu oft wiederholen, und ganz besonders unter den Handwerkslehrjungen, die nebenbei erwähnt, auch Michaeli und Lichtmess, wegen der „Michaeli- und Lichtbraten“ verehren.


Wie kömmt aber der h. Martin zur Gans, oder vielmehr, wie die Gans zum h. Martin? Der heilige Martin war in der Jugend ein tapferer und zugleich edelmütiger Kriegsmann. Später wählte ihn das Volk zum Bischofe, und zwar von Tours. Nach einer Sage hätte nun der Heilige, als ihn diese Wahl traf, aus Demut sich versteckt; wäre aber unter die Gänse gekommen und diese hätten durch ihr Geschnatter — wer gibt gerne seine Traditionen auf? — ihn verraten. Im heiligen Zorne soll hierauf St. Martinus die Gänse all haben schlachten lassen. Martin selbst starb um 400 oder 402 n. Chr.

Nach den kirchlichen Traditionen wäre die Verehrung des h. Martin eine allgemein verbreitete gewesen und deshalb Martin zum Schutzpatron großer Länder erhoben und nach seinem Namen viele Kirchen und Kapellen geweiht worden. Interessant ist die Ableitung des Wortes Capella von diesem Heiligen. Der Glaube an ihn war im Volke so stark, dass man wichtige Dinge bei seinen Reliquien beschwor, seinen Mantel, seine Kappe (Cappa) ins Feld mitnahm. Der Ort, wo jene Cappa verwahrt wurde, hieß Capella und der die Aufsicht darüber führende Geistliche Capellan. Ludwig XI., der ebenso grausame als bigotte König ließ dem Heiligen in Tours um das Grab ein silbernes Gitter aufführen, welches die damals große Summe von 200.000 Francs gekostet haben soll. Nach einer kirchengeschichtlichen Mitteilung haben besonders die in strenger klösterlicher Zucht lebenden Mönche den Martinstag (11. Nov.) zu verehren Ursache gehabt, da ihnen ausnahmsweise an diesem Tage gestattet worden war, sich besonders gütlich zu tun. Da war denn nun auch das Landvolk mit seinen Gaben herbeigekommen, um zu dem Tische der armen Mönche etwas beizutragen. Bekannt ist, dass im Mittelalter ein gut Theil der geistlichen Einkünfte in Eiern, Hühnern, Gänsen, Käsen u. bestand.

Weil nun zur Zeit des Martinsfestes das Gänsefleisch eben am besten ist, so war es zumeist dieser capitolinische Vogel, dessen Geruch sich mit dem der Heiligkeit zu mischen berufen war. Später wurde daraus eine fixe jährliche Abgabe, unter dem Titel: „Die Martinsgans“, wenn es auch nicht immer einzig und allein bei der Gans blieb.

Wie oben bemerkt worden, war der Cultus dieses Heiligen ein in ungewöhnlicher Weise verbreiteter. Von den 25 Pfarreien, welche König Karlmann dem Stifte Würzburg gegeben, waren 14 zu Ehren des heiligen Martin eingeweiht und noch heute befinden sich in jener Gegend viele Martinskirchen. Die Beliebtheit des Heiligen im protestantischen Deutschland beruht nicht nur auf seiner Güte, Gerechtigkeit und Duldsamkeit gegen Andersdenkende in Glaubenssachen, sondern auch in der Namensverwandtschaft mit dem großen Reformator der christlichen Kirche.

Der h. Martin ist aber auch ein Kinderfreund und daher die Sitte, Kindern zu Martini kleine Geschenke zu machen. Das hängt wohl mit der unten bei den „Martinshörnern“ näher beleuchteten Sitte der Opfergaben zusammen. Auf Bildern erscheint Sankt Martin öfter als Mann, der Äpfel unter Kinder verteilt. In Holland zum Beispiel ist der Martinstag ein Jugendfest. Die Jugend zündet große Feuer an und tanzt und singt dabei:

Stookt Vyer an, makt Vyer
Sinte Martin kommt hier
Met syne bloten Armen
Hy foude gerne warmen.

d. h.: Steckt's Feuer an, macht Feuer an
Der heilige Martin kommt heran

Mit seinen bloßen Armen
Er will sich gerne warmen.

Diesem Heiligen zu Ehren haben sich in der Folge Gesellschaften gebildet, die ihn zum Schutzpatrone erkoren, und sich Martinsgilden, Martinsbrüder, Martinsmänner nannten. Wenn nun der 11. November herangekommen war, setzten sie sich zu fröhlichen Gelagen, Martinsschmausereien genannt, und taten sich recht gütlich, oft so, dass sie den Heiligen in üblen Ruf hätten bringen können. Der Umstand, dass gerade um diese Zeit — wie schon bemerkt, fällt Martin auf den 11. November — die Weinlese endet, und man sich aller Gaben der ländlichen Natur erfreuen kann, trug wesentlich zu den etwas überschwänglichen Martini-Ovationen bei. In der Tat schalten die Franziskaner im Jahre 1487 ihre Gegner: Martinsmänner, d. h. Schwelger und Schlemmer.

Ein Lied, das bei solchen Gelagen gesungen ward, läßt die Färbung derselben am besten sehen:

„Das Geld aus den Taschen,
Der Wein aus den Flaschen,
Die Gans vom Spieß,
Da sauf’ und friß —
Wer sich recht voll saufen kann,
Ist ein rechter Martinsmann.“

Auch die Entstehung der „Martinshörner“ gründet sich auf eine diesen Heiligen betreffende Legende. Der h. Martin sei einst krank gewesen und habe dem Tode nahe auf der Erde liegend sehr gelitten. Da sei der Teufel mit einem großen blutigen Horne in der Hand vor ihm erschienen und habe ihm — der Teufel dem Heiligen! — Vorwürfe wegen seiner Sünden gemacht. Martin erwiderte darauf: „Christi Blut habe sie getilgt“, auf welche Entgegnung der Teufel das Feld geräumt. — Was sind aber diese Martinshörner? Zu allererst scheinen es Opferkuchen gewesen zu sein, welche man dem Capellan, der die Cappa hütete, dargebracht. Die Hörner waren nichts als eine Nachahmung der Heiligenstrahlen, denn die alten Maler und Bildhauer gingen bei Ausführung solcher symbolischer Attribute etwas derb zu Werke und so ein Heiligenstrahl auf einem alten Bilde sieht oft einem Horn ähnlich. Nach Andern wieder wären die bei den Martinsgastereien gebrachten Trinkgefäße „Hörner“ genannt worden, sei es nun ihrer Form wegen oder in geschichtlicher Reminiszenz.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Glimpf und Schimpf in Spruch und Wort Teil 1