Guter Leumund ist mehr wert, als ein goldner Gürtel

Guter Leumund ist mehr wert, als ein goldener Gürtel

Die Entstehung dieses Sprichwortes erzählt man in folgender Weise. Die Königin Blanka von Castilien, Gemahlin Ludwigs VIII. von Frankreich, umarmte eines Tages, den Friedenskuss bietend, eine öffentliche Dirne, die sie wegen der Pracht der Gewänder für eine vornehme Dame gehalten. Der Friedenskuss war eine christliche Begrüßung im 7. Jahrhundert, welche Papst Leo III. eingeführt hatte. Man umarmte und küsste sich gegenseitig und sprach dabei die Worte: Pax domini sit semper vobiscum, der Friede des Herrn sei immer mit Euch! Der König, über den Missgriff seiner Gemahlin außer sich, verbot solchen Weibern das Tragen goldener Gürtel und Mäntel, die das Zeichen verheirateter und ehrbarer Frauen waren. Denn guter Leumund ist mehr wert, als ein goldener Gürtel, welcher goldene Satz sich bis heute im Volksmunde erhalten hat.


An die Geschichte dieses Wortes knüpft sich noch eine ernstere Tradition, deren Spitze die Erwerbung eines der schönsten Kronländer, der Steiermark, durch die Herrscher Österreichs ist.

Der Friedenskuss stellt sich nämlich in dieser Tradition noch in anderer Bedeutung als christliche Begrüßung dar, u. z. im Innern des kirchlichen Lebens selbst, unter den Mönchen, die sich während der Horen und Vespern auf dem Chore, sobald sie sich dazu versammelten, gegenseitig den Friedenskuss, osculum pacis genannt, spendeten. Der letzte Markgraf der Steiermark, Ottokar II. (1163—1192), litt an einem bösen Aussatze, der seine Gesundheit untergrub und ihn zum Gegenstande allgemeiner Zurückhaltung machte. Er war aber sehr fromm und fand sich gerne bei den geistlichen Übungen der Mönche ein. Eines Abends betrat er wieder nach längerer Abwesenheit das Oratorium eines Klosters, wo die Mönche eben sangen und beteten. Er setzte sich schweigend auf einen freien Stuhl, an die Seite eines Mönches. Als dieser den Markgrafen erblickte, erhob er sich, und gab ihm, getreu der frommen Sitte und ungeachtet des häßlichen Aussatzes im Gesichte, das „Osculum pacis.“ Der Markgraf war darüber so ergriffen, dass er den Mönch näher kennen zu lernen wünschte. Es war ein Mann aus dem österreichischen Lande. Schon lange mit dem Gedanken umgehend, wegen seiner Krankheit der Regierung zu entsagen, soll der Markgraf durch diese Liebestat des Mönches eine große Zuneigung für das österreichische Volk gefaßt und endlich sich bewogen gefunden haben, sein Land dem Herzoge von Österreich, Leopold dem Tugendhaften, zu schenken. Seitdem besitzt Oesterreich die Steiermark (1192).

Noch steht mit dem Friedenskuss die Redensart „Das Paz küssen“ in Verbindung.

Unter Paz ist das kirchliche Pacificale, eine Art Friedenskuss, osculum pacis, gemeint. Daß das Küssen oft eine gewagte und gefährliche Sache sei, brauchen wir wohl nicht erst zu beweisen. Eine Geschichte der Küsse, u. z. der historischen Küsse, an der wir arbeiten, wird genug Belegstücke bieten. Wie aber der Bischof von Speyer von dem Kaiser erinnert ward, sich ein eigenes Paz zum Küssen zu bestellen, erzählt uns Zincgref: Als dieser Bischof nämlich die Gemahlin Rudolphs I., welche sehr schön war, gegen ihren Willen mit einem Kusse zum Empfange begrüßt hatte, ließ ihm der Kaiser entbieten: „er habe dieses Paz (pacificale) für sich allein gekauft; wolle der Bischof eines küssen, so möcht' er sich ein eigenes bestellen.“


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Glimpf und Schimpf in Spruch und Wort Teil 1