Ein Bild ohne Gnaden

Ein Bild ohne Gnaden

Dieser Raub fand im Jahre 944 statt. Die Seeräuber wurden aber in Caorle eingeholt, niedergehauen und ihnen die Bräute wieder abgenommen. Der kleine Seehafen, wo das Gefecht vorfiel, wurde seitdem Porto della donzelle (Hafen der Mädchen) genannt. Das Erinnerungsfest dieses Tages ward in der Folge immer luxuriöser gefeiert. Die Bräute zogen in der Stadt umher und empfingen reiche Geschenke. Die Nobili suchten sich hierin zu überbieten. Man fand sich endlich genötigt, mit Gesetzen dagegen aufzutreten. Die Zahl der Marienbräute ward auf drei herabgesetzt. Bald aber gaben auch diese allerlei Ärgernis, und das Fest, welches ursprünglich der ehelichen Tugend geweiht war, wurde ein Bachanale für Verheiratete und Ledige. Da ward verordnet, dass statt der lebendigen Frauenzimmer hölzerne Statuen geführt würden, und so hörte das Fest auf; denn nun war die Zügellosigkeit auf den höchsten Punkt gestiegen, da man die Statuen mit allen Gattungen Früchten, Gemüse, Kot usw. bewarf. Aber das Volk mochte seine lebendigen und hölzernen Marien nicht vergessen, und so hat es sie in dem Sprichwort „Maria di legno“ verewigt. Im Deutschen ist ein Seitenstück zu Maria di legno, jedoch in der Anwendung auf Frauenzimmer, welchen das neidische Geschick zwar nicht Reize, aber den Geist versagt hat, die Redensart: „ein Bild ohne Gnaden“ *).


*) Sonntagsblätter von L. A. Frankl, 1842, S. 510

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Glimpf und Schimpf in Spruch und Wort Teil 1