Die Camenzer Nase

Die Camenzer Nase

Nach der hierüber bestehenden geschichtlichen Aufklärung hätte man sich wohl nichts Besseres als eine „Camenzer Nase“ anzuwünschen, etwa wie das „Tischlein deck' dich“, oder den „Knüppel aus dem Sack“ von „damals“; denn die Camenzer Nase wittert Alles voraus und gibt natürlich ihrem glücklichen Träger Zeit, seine „Maßregeln“, wie man sagt zu nehmen. Das ist aber häufig so viel als ein gedeckter Tisch — natürlich die Nase witterte ja den Braten schon im Voraus. Wir Deutsche haben übrigens auch ohne diese Erklärung alle Ursache, vor den Camenzer Nasen Respekt zu haben, denn eine solche muss wohl der größte „ästhetische Witterer“ aller Zeiten, Lessing, der in Camenz geborene, getragen haben. Nun aber zur Geschichte.

Camenz ist eine Stadt der Ober-Lausitz. Diese kriegte einst Händel mit dem Reiche und der Reichsmajestät. Da die Lausitzer nach und nach fühlen mochten, es sei nicht gut, auf große Herren Gesichter zu schneiden, so entschlossen sich fünf Städte des Landes zur Absenkung von Abgeordneten nach Prag, alldort abzubitten und sich wieder in Gnade zu setzen. Die sechste Stadt, und das war Camenz, tat aber nicht so, und man blieb dort daheim. Der Erfolg aber zeigte, dass die Camenzer sehr Recht hatten und „feine Vögel“ waren, die den Braten wirklich gerochen haben mussten. Denn der Empfang der Abgeordneten war ein so haarsträubender, dass diese sich die Ohren verhielten und, ohne umzusehen, nach der Lausitz zurückliefen. Die Camenzer aber, die sich das erspart hatten, durften von nun an ihre Nasen wirklich höher tragen.*)

*) Zeitung für die elegante Welt 1824, Sp. 1051