Böhmische Dörfer

Böhmische Dörfer

Spanische Schlösser
Blinder Hesse


Wem wären der erste und letzte Volksschimpf — der letztere ist aber doch eigentlich ein Glimpf — unbekannt? Weniger dürfte dies mit den spanischen Schlössern der Fall sein. Über die böhmischen Dörfer besteht eine geschichtliche Erklärung, die aber offenbar nicht stichhaltig ist; denn sie lässt nicht ganz jenen Sinn ahnen, welchen der Volksmund mit dieser Redensart verbindet. Sie soll nämlich aus dem Jahre 1466 stammen, in welchem Böhmen so verwüstet wurde, dass oft weit und breit kein Dorf zu sehen war.

Untersuchen wir die Sache nach ihrem rechten Klange und, wie gesagt, vor Allem nach der volkstümlichen Deutung. Wir wenden diese Redensart an, wenn wir Dinge charakterisieren wollen, die uns entweder fremdartig anmuten und unzugänglich sind, oder von denen wir die Überzeugung haben, dass wir uns mit ihnen nicht befreunden können, ohne mit allen unsern Anschauungen in Konflikt zu geraten. Wohl ist der nächste Begriff des Fremden, Unbekannten nicht ausgeschlossen, und wir sagen ganz richtig von dem Jungen, der vor einem Wissensobjekte verblüfft und mit langem Gesichte steht, dass ihm dieses „böhmische Dörfer“ seien. Aber wir werden auch so, gewissermaßen abwehrend, sprechen, wenn Jemand unserer Intelligenz und Überzeugung mit einer Rede Gewalt antun will. „Was Du da sagst, sind mir böhmische Dörfer“, d. h. wohl, ich kann mich damit nicht vertragen, befreunden.



Wir dürfen ferner, was den Klang der Phrase betrifft, über das geographische Element derselben nicht hinwegsetzen. Böhmen, das Land der Wälder, ein Gebiet des Nordens, blieb, wie überhaupt die letztere Weltgegend, länger außerdem Zusammenhange mit der Kultur des mittleren und südlichen Europas. Wie die Römer und Griechen dort ihre „Barbaren“ fanden, so schlich sich in die deutsche, wohlverstanden deutsche Volksanschauung das „böhmische Dorf“ ein.

Noch mehr, wir können uns weiter an den Klang halten.

Übersehe man nur das Register echt böhmischer Dorfnamen. Wenn da eine deutsche, solchen Klanges ungewöhnte und ungeübte Zunge nicht an natürliche Hindernisse stößt und es nicht unwillkürlich ausspricht, dass sie es mit sehr Fremdartigem zu tun habe, so ist sie nicht eine deutsche Zunge. Fassen wir nun diese Überraschung, dieses Bewusstsein des unüberwindlich Fremden bei nächster Gelegenheit und ähnlichem Anlasse in einen Spruch zusammen, so muss er lauten: „das kömmt mir vor wie — böhmische Dörfer.“ Und dies wird gelten, sowohl in Hinsicht des Klanges als auch der moralischen Anschauung, in sprachlicher und original volkstümlicher Beziehung.

Endlich gibt ja nicht bloß Böhmen, sondern auch Spanien, China, wie wir Alle recht oft hören, die Namen zu gleichbedeutenden Redensarten her. Man sagt: das klingt spanisch, das ist chinesisch, will heißen: fremd, fremdartig, verworren, barbarisch, wobei wir übrigens zur Ehrenrettung der genannten Länder es aussprechen müssen, dass wir damit auch die eigene teilweise Unkenntnis von denselben bewusst oder unbewusst charakterisieren. Der deutsche Jude sagt: „das sein polnische Dörfer für mich,“ welche Bezeichnung für etwas, was er nicht versteht, durch die häufige Heimsuchung polnischer Juden ihm näher als eine andere liegt.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Glimpf und Schimpf in Spruch und Wort Teil 1