Zur Frage der werktätigen Erziehung der Jugend

Zur Frage der werktätigen Erziehung der Jugend betitelt sich ein Aufruf des verdienstvollen Förderers der körperlichen Jugenderziehung, E. von Schenckendorffs dem wir folgende Stelle entnehmen:

„In keinem anderen Lande der Welt als in Deutschland sieht man so geringschätzend auf die Knabenhandarbeit hin. Würde man ernst prüfend an die Sache herantreten, dann würde man bald erkennen, dass es sich um etwas mehr als um die Schaffung von kleinen Arbeiten handelt, dass unser Ziel nicht die geschaffene Arbeit mit ihrem geringen Werte, sondern das schaffende Arbeiten ist, das unter kundiger Leitung des Lehrers die Kräfte, die man im Auge hat, entwickelt; dass durch die darstellende Tätigkeit fast dem gesamten Schulunterricht klare Vorstellungen zugeführt werden können, und dass auf breitester, umfassendster Grundlage unser ganzer wirtschaftlicher Kampf mit anderen Nationen, und zwar durch die Erhöhung der wirtschaftlichen Leistungskraft, eine Stärkung erfährt, indem diejenigen Organe und Fähigkeiten methodisch in der heranwachsenden Jugend entwickelt werden, die in der wirtschaftlichen Arbeit vor allem notwendig sind: nämlich eine geübte Hand, ein geschultes Auge, praktische Intelligenz und Geschmacksbildung, ja, dass in dieser erweiterten Jugenderziehung auch ein sozial ausgleichendes Mittel ersten Ranges liegt, indem die Arbeit der Hand, die Millionen unserer Mitbürger als Lebensberuf dient, zur größeren Würdigung und zum besseren Verständnis auch in allen anderen Ständen der Gesellschaft gelangt.


Die erziehliche Knabenhandarbeit ist in den freien Bestrebungen, deren Stützpunkt der Deutsche Verein für Knabenhandarbeit ist, sowohl als Lehrfach wie als Lehrprinzip ausgebildet, wenn beide naturgemäß auch der weiteren Vervollkommnung fähig sind. Das liegt eben auch bei den in die Schule schon lange eingeführten obligatorischen Lehrfächern nicht anders, die grundlegende Vorarbeit ist aber geschaffen.

Unsere Widersacher erwachsen nun besonders aus dieser Geringschätzung, aus der gerade dem Deutschen eigenen einseitigen Hochschätzung der geistigen Arbeit. Noch immer gilt in Deutschland das Wort: „Wissen ist Macht!“ Nun, wir lassen uns in dieser Wertschätzung gediegenen Wissens von niemandem übertreffen. Aber dieses Wort in dieser Einseitigkeit ist veraltet; was heute Macht gibt, das ist nur Wissen und Können gemeinsam, aber nicht das bloße gedächtnismäßige Wissen, sondern das auf klaren Anschauungen sich gründende Wissen; auch nicht das nur aus mechanischer Fertigkeit sich ergebende Können, sondern dasjenige, das sich aus der methodischen Entwicklung aller Könnensanlagen und Kräfte des Kindes, vornehmlich aus der Schulung von Hand und Auge entwickelt. Wir können daher getrost und mit Aussicht auf endlichen Erfolg unseren Kampf hierfür fortsetzen; denn auf unserer Seite steht die werbende Kraft des Lebens, die den volleren Einklang der Schule mit den immer vernehmlicher sich geltend machenden Forderungen des Lebens anstrebt. Noch immer haben wir im wesentlichen die Lernschule, während unser hochentwickeltes Leben immer lauter auch nach der Arbeitsschule, nach der Willensschule ruft, nach der Ausbildung der Jugend zu harmonisch entwickelten Persönlichkeiten! Leben und Schule sollen im Einklang stehen, aber diese steht, wenn auch mannigfachste Annäherungen statt gefunden haben, besonders nach zwei wesentlichen Richtungen heute noch weit zurück:

nach der Richtung zu kräftiger körperlicher Ertüchtigung und zu werktätiger Befähigung, die beide zum Fortkommen im Leben niemals so notwendig gewesen sind, wie gegenwärtig.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Gesundheit und Erziehung 1908