Verschiedener Turnstoff für die Knaben- und Mädchenschule notwendig?

Ist ein verschiedener Turnstoff für die Knaben- und Mädchenschule ans rein physiologischen Gründen erforderlich? Um für die Entscheidung dieser Frage einen Anhalt zu gewinnen, wandte sich die „Monatsschr. f. d, Turnwesen“ an mehrere als Freunde und Kenner des Turnens bekannte Ärzte mit der Bitte, ihre Meinung mitzuteilen. Die allgemeine Ansicht ging dahin, dass im ersten Schulalter die Übungen des Mädchenturnens sich nicht zu unterscheiden brauchen von denjenigen des Knabenturnens, dass aber während und nach der Reifezeit, aus Gründen, die in der Organisation und in der Entwicklung des weiblichen Körpers liegen, die Übungen der Mädchen zum Teil etwas anders geartet sein müssen, als diejenigen der Knaben. Immerhin würde zu berücksichtigen sein, dass im allgemeinen das Mädchen zarter ist als der Knabe, so dass für gleichaltrige Kinder beiden Geschlechtes nicht durchweg die völlig gleichen Übungen zu empfehlen sind, sondern man tue gut, wie etwa bei verschiedenen Stufen von Knaben, gewisse Unterschiede zu machen, namentlich wo es sich um erwachsene Mädchen oder Frauen handle. Oft beginne man leider mit dem Mädchenturnen zu spät, und dann könne es allerdings Bedenken erregen, wenn von 14 — 16jährigen Mädchen, die vorher nie geturnt haben, plötzlich die Turnleistung gleichaltriger Knaben gefordert würde. Aber Mädchen, die von klein auf, genau wie die Knaben, im Turnen geübt werden, zeigen sich auch im reifenden Alter genau so leistungsfähig wie die Knaben. Keinesfalls dürfe das Mädchenturnen zimperlich betrieben werden und etwa bloß aus zierlichen, komplizierten Gangarten oder Stellungen bestehen, die den Körper nur wenig durcharbeiten und das Gedächtnis mehr anstrengen als die Muskeln.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Gesundheit und Erziehung 1908