Die sexuelle Frage und die Volksschule

Besprechung. Max Enderlin. „Die sexuelle Frage und die Volksschule“. Referat, erstattet auf dem Kongresse der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten in Mannheim.

Enderlin behandelt die Frage der sexuellen Aufklärung mit Rücksicht auf die Volksschule, also gerade jene Seite der Frage, die am strittigsten ist.


Von der richtigen Anschauung ausgehend, dass mangelhafte „Kenntnis der festliegenden wissenschaftlichen Tatsachen der geschlechtlichen Entwicklung in physiologischer und psychologischer Hinsicht“ die Ansichten in falsche Bahnen leitet, dass ferner auch das eigene erotische Befinden oft ausschlaggebend ist, gelangt er doch bald zu dem die Geister derzeit beherrschenden Trugschlüsse, dass, weil bei dem bisherigen Vertuschungssysteme geschlechtliche Schäden sich zeigten, diese bei einer frühzeitigen Aufklärung ausgeschlossen seien.

Bei der näheren Behandlung der Frage aber schwankt er zwischen dem Bestreben, diesen derzeitigen allgemeinen Anschauungen sich anzupassen und den Ansichten, die ihm aus der Kenntnis der kindlichen Seele ersprießen.

Während er also mit der Aufklärung dann beginnen heißt, „wann das Kind über die Herkunft des Menschen die ersten Fragen stellt“, was doch gemeiniglich schon im vierten und fünften Jahre erfolgt, warnt er andererseits davor, hinter den Fragen des Kindes jene Gefühle zu wittern, die wir Erwachsene mit diesen Fragen verbinden und ihnen von Dingen zu sprechen, die dem kindlichen Verständnisse zu hoch liegen.

Während er ferner als Pädagoge ganz richtig einsieht, dass nur die Eltern in der Lage sind, individuell vorzugehen, wie es ja in dieser Beziehung allein ersprießlich ist, muss er doch bei dem Unverständnisse der großen Anzahl der Eltern sich an die Schule wenden, um bald wieder zu erkennen, dass besonders die Volksschule gegen die unmittelbare und nachhaltigere Einwirkung des Elternhauses und, möchte ich hinzufügen, gegen die zumeist schon früher erfolgte unberufene Aufklärung, kaum aufzukommen vermag.

In dieser, wohl nicht klar ausgesprochenen Erkenntnis gelangt der Verfasser zu jenen für die sexuelle Erziehung wichtigeren Erfordernissen, das ist in moralischer Beziehung Stärkung des Willens, in intellektueller — Pflege des naturwissenschaftlichen Unterrichtes.

Aber diese Seite der Frage nur streifend, kehrt Enderlin wieder zur Aufklärung zurück, um hierbei so viele Einschränkungen zu machen, dass fast nichts mehr übrig bleibt. Er weist die zu einem bestimmten Zeitpunkte zu erfolgende integrale Aufklärung zurück, um diese ganz allmählich erfolgen zu lassen, so dass also für die Volksschule eigentlich nur eine geringe Summe biologischer Tatsachen vorbehalten ist und möchte vor Eintritt der Pubertät überhaupt nicht in die intimeren geschlechtlichen Verhältnisse eingehen.

So gelangt er schließlich dazu, mit besonderem Nachdrucke die Wichtigkeit körperlicher, intellektueller und moralischer Hygiene hervorzuheben und auf einen in dieser Beziehung nur wenig beachteten Faktor, auf die künstlerische Erziehung als ein Mittel sexueller Pädagogik aufmerksam zu machen, da diese berufen wäre, für die natürliche Auffassung des Sexuellen Wertvolles zu leisten.

Es scheint uns demnach Enderlin, wiewohl er bezüglich der frühzeitigen sexuellen Aufklärung noch nicht den Mut hat, der allgemeinen Strömung zu widerstehen, in der Gesamtheit der Frage auf dem richtigen Wege sich zu befinden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Gesundheit und Erziehung 1908