Die psychologischen Grundlagen der sexuellen Belehrung

Besprechung. Dr. Julius Moses. „Die psychologischen Grundlagen der sexuellen Belehrung“ Sonderabdruck der Zeitschrift für Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Leipzig 1907.

Dr. Moses, der sich durch eine kritische und vorsichtige Behandlung der Frage der sexuellen Aufklärung auszeichnet, versucht aus den bisher bekannten Erscheinungen der kindlichen Sexualpsychologie jene aufzusuchen, die für Theorie und Praxis der geschlechtlichen Aufklärung eine Grundlage abgeben könnten.


Er geht von der physiologischen Tatsache aus, dass der Beginn des Sexuallebens von der Reifwerdung der Sexualorgane abhängt, dass aber Dauer und Verhalten dieser Reifungsperiode von rassenbiologischen, klimatischen, Vererbungs-, hygienischen und sozialen Elinflüssen abhängen. Diese „vorgeschlechtliche“ Lebensperiode nun sei eine für die Erhaltung der Art äußerst nützliche Einrichtung, wie es sich auch durch das ganze Tierreich zeigt, bei welchem aber von der ersten Jugend an gewisse „sexuelle Spiele“ auftreten. Wenn nun der Verfasser den analogen Spielen der Kinder jeden sexuellen Charakter abspricht, so können wir ihm hierin nicht beistimmen, und glauben vielmehr, dass auch das bei Entblößung der Geschlechtsteile auftretende Schamgefühl durchaus sexueller Natur ist, wovon uns schon ein Hinweis auf die Geschichte der Bekleidung überzeugen würde. Auch die weibliche Sprödigkeit, ein Ausdruck der weiblichen Schamhaftigkeit, tritt in der frühen Kindheit durchaus nicht so zurück, wie der Verfasser glaubt; sie ist im Gegenteile oft sehr deutlich ausgesprochen. Wir meinen darum auch, dass die Pflege der Schamhaftigkeit, natürlich nicht im Sinne der Prüderie, von großer Bedeutung sein könnte für die ethisch-sexuelle und mithin für die gesamte Charaktererziehung.

Hingegen sind wir mit der Behauptung des Verfassers, dass die Fragen der Kinder nach der Herkunft des Menschen nicht sexuellen Ahnungen, sondern nur der allgemeinen Wissbegierde entspringen, um so mehr einverstanden, als wir verschiedentlich darauf aufmerksam gemacht haben, dass daraus der Irrtum bewiesen wird, den die öffentliche Meinung bezüglich der frühzeitigen Aufklärung begeht. Diese Fragen werden also, wie der Verfasser richtig hervorhebt, entsprechend der psychologischen und intellektuellen Entwicklungsstufe der Kinder beantwortet werden müssen, mit Märchen so lange es geht, mit biologischen Belehrungen später; die intimeren sexuellen Vorgänge aber brauchen durch eine längere Zeit, selbst im Beginne der Pubertät, wie wir hinzufügen möchten, nicht berührt zu werden, „die Ausschaltung fremder Einflüsse vorausgesetzt.“

Diese fremden Einflüsse, welche, wie der Verfasser zeigt, dem täglichen Leben, den modernen Kulturauswüchsen, aber auch somatischen Vorgängen entspringen, müssen, wie er nach Ribot angibt, und wie wir stets vertreten haben, durch eine auf entsprechende Diätetik des Empfindungs- und Gefühlslebens aufgebaute sexuelle Hygiene bekämpft werden. Die freilich überaus schädliche unberufene Aufklärung müsse wohl ausgeschaltet werden, ihr entgegen aber, vermöge eine theoretische Aufklärung „vielleicht nur wenig auf das Gefühls- und Triebleben, für das keine Motive existieren, zu wirken,“ — könne doch nicht einmal die Onanie durch Belehrung eingedämmt werden.

Wir empfehlen diese kleine Schrift allen denen, welche sich über die Grundlagen der frühzeitigen Aufklärung belehren wollen, ehe sie in deren Lobpreisung einstimmen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Gesundheit und Erziehung 1908