Die Einführung des obligatorischen Spielnachmittags

Die Einführung des obligatorischen Spielnachmittags wurde, wie ein süddeutscher Stadtschulrat der „Köln. Ztg.“ mitteilt, vor wenigen Monaten von der Schuldeputation der Stadt Wiesbaden beschlossen. Der Kultusminister hatte jedoch diesem Beschluss die Genehmigung versagt. Auf dem diesjährigen Kongress des „Zentralausschusses zur Förderung der Volksund Jugendspiele“ zu Straßburg wurde diese Stellungnahme der obersten Erziehungsbehörde des größten deutschen Staates als schwer verständlich und sehr bedauerlich bezeichnet. Der Vorsitzende des Zentralausschusses, Herr von Schenckendorff-Görlitz, Stellte fest, dass sämtliche Redner in dem Gedanken der Notwendigkeit eines allgemein verbindlichen Spielnachmittags übereinstimmten und dass jetzt bereits der dritte Kongressbeschluss darüber vorliege, der die Einführung des obligatorischen Spielbetriebes in allen Schulen fordert. Man darf hoffen, dass der neue Kultusminister dieser für die großstädtische Jugend geradezu brennend gewordenen Frage größeres Verständnis entgegenbringt. Es handelt sich bei der Verbindlichkeit des Spielbetriebes gar nicht um einen Sprung ins Dunkle, denn diese Verbindlichkeit besteht in den württembergischen höhern Schulen schon das zweite Jahr und wird auf Anordnung des sächsischen Unterrichtsministeriums mit Beginn des neuen Schuljahres auch in allen Realschulen Sachsens eingeführt. Auch die badische Unterrichtsverwaltung hat in jüngster Zeit in dieser Richtung eine bedeutsame Verfügung erlassen. Von der Ansicht ausgehend, dass der regelmäßige Besuch der Spielveranstaltungen durch sämtliche Zöglinge von besonderer Bedeutung wäre, hat die badische Oberschulbehörde mit Ermächtigung des Unterrichtsministeriums angeordnet, dass an einer Anzahl höherer Schulen des Landes zunächst versuchsweise verbindlicher Besuch eines Spielnachmittags eingeführt werde. Die von Anstaltslehrern übernommenen Aufsichtsstunden sind entweder in die Stundenpflichtzahl einzurechnen oder als Überstunden zu vergüten; für die teilnehmenden Schüler sind diese Nachmittage möglichst von Hausaufgaben freizuhalten. Befreiung von dem Besuch des Spielplatzes ist nur auf ärztliches Zeugnis oder in besonders begründeten Fällen zu gestatten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Gesundheit und Erziehung 1908