Die Wasserversorgung Berlins,

die voraussichtlich in den nächsten Jahren eine völlige Umgestaltung erfahren wird, ist für die Bevölkerung erst verhältnismäßig spät ein Gegenstand größerer Sorge geworden. Wenn man absieht von dem im 16. Jahrhundert gemachten, aber nicht von dauerndem Erfolg begleiteten ersten Versuch einer öffentlichen Wasserleitung, der „Wasserkunst“ Kurfürst Joachims II., dann hat Berlin erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, viel später als manch andere Großstadt, künstliche Wasserversorgung erhalten. Bei der Beschaffenheit ihres Bodens konnte die Stadt bis dahin ohne Wasserleitung auskommen; sie besaß in dem Grundwasser lange Zeit eine durch zahlreiche Hof- und Straßenbrunnen erschlossene Quelle guten Trinkwassers. Erst die fortschreitende Verseuchung des Bodens führte zu einer allmählichen Verschlechterung des Wassers. Gegen Ende der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts trat der Gedanke einer künstlichen Wasserversorgung Berlins auf, aber auch jetzt erwuchs er noch nicht aus dem Gefühl eines Mangels an gutem Trinkwasser, sondern aus dem Ekel vor dem Zustand der Rinnsteine; wie ja auch die „Wasserkunst“ Joachims II. nur den Mängeln des Feuerlöschwesens und der Straßenreinigung ihre Entstehung zu verdanken gehabt hatte. In einer Schrift „Wie sind die Rinnsteine Berlins mit fließendem Wasser zu versehen?“ schlug Major Bayer 1838 vor, Wasser durch Dampfkraft aus der Spree zu entnehmen und in die Rinnsteine zu drücken. Später veröffentlichte dann der Architekt Schrammke seinen Plan eines „Wasserwerkes zur Versorgung der Stadt Berlin mit reinem und gesundem Quellwasser und zur Bewässerung der Straßen Berlins.“ Eine von Friedrich Wilhelm IV. schon bald nach seinem Regierungsantritt zur Prüfung der Wasserversorgungsfrage eingesetzte Kommission entschied sich 1846 angesichts der wegen Geldmangels ablehnenden Haltung der Gemeindebehörden für Bildung eines Aktienvereins zur Errichtung eines Wasserwerkes an der Oberspree. Die Angelegenheit zog sich dann durch mehrere Jahre hin, zumal da die Erwartung, einheimisches Kapital zu erhalten und besonders die Hausbesitzer zu gewinnen, fehlschlug. Erst 1852 brachte der Polizeipräsident v. Hinckeldey einen Vertrag zwischen der Regierung und den Engländern Fox und Crampton zu stände, sehr gegen den Willen des Magistrats, der Hinckeldeys Plan für unsicher hielt und jetzt am liebsten selber ein Wasserwerk errichtet hätte. Die Engländer begannen 1853 vor dem Stralauer Tor den Bau ihres Werks und setzten es 1856 in Betrieb. Sie hatten auf 25 Jahre das alleinige Recht, den Einwohnern Wasser zu liefern, und die Verpflichtung, das zur Rinnsteinspülung und zu Feuerlöschzwecken erforderliche Wasser umsonst herzugeben. Die Entnahme von Wasser war anfangs gering, später wurde sie stärker, namentlich seit Wohnungen ohne Wasserleitung schwerer vermietbar wurden. 1872 war das Werk an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit angelangt, obwohl immer noch erst ein Teil der Stadt und auch dieser nur mangelhaft mit Wasser versorgt wurde. Die englische Gesellschaft wollte an die notwendige Erweiterung des Werkes nur herangehen, wenn der Vertrag verlängert würde, aber die Gemeindebehörden waren entschlossen, nach Ablauf des Vertrags die Wasserversorgung Berlins selber in die Hand zu nehmen. Inzwischen waren sie auch der Frage der unterirdischen Entwässerung näher getreten. Da diese ohne ein eignes Wasserwerk nicht durchführbar schien, so brachten sie bereits 1873 das englische Werk durch Kauf in den Besitz der Stadt. Die fernere Entwicklung der nun städtischen Wasserwerke ist bekannt. Da das Wasser der Oberspree wegen der Vermehrung der hier liegenden Fabriken und der Zunahme der Schifffahrt sich immer mehr verschlechterte, so wurden neue Werke am Tegeler See und am Müggelsee erbaut Das eine wurde 1877, das andere 1893 eröffnet. Ende 1893 konnte dann das Stralauer Werk außer Betrieb gesetzt werden. Das Tegeler Werk schöpfte anfangs durch Tiefbrunnen aus dem Grundwasser, aber die dabei schon im Sommer 1878 gemachten Erfahrungen — das Auftreten einer Algenart (Crenothrix polyspora) in dem stark eisenhaltigen Wasser — nötigten, zur Entnahme von Oberflächenwasser aus dem See überzugehen. Nach 1884 wurde am Müggelsee und an der Dahme auf Brunnenwasser gebohrt, doch das Ergebnis war auch hier ungünstig und führte zu dem, wie man damals annahm, endgültigen Verzicht auf Brunnen. Das Müggelwerk wurde von vornherein auf Entnahme von Oberflächen-Wasser eingerichtet. Bei der in den nächsten Jahren vorzunehmenden Umgestaltung handelt es sich nun um den Übergang vom jetzigen System der Entnahme von Oberflächenwasser aus dem Tegelersee und Müggelsee zur Grundwasser-Verwendung. Unmittelbare Veranlassung hierzu gab der Plan der Gemeinde Reinickendorf, ihre Abwässer in den Tegeler See einzuleiten; die Stadt hat hiergegen Einspruch erhoben, doch hat die Staatsregierung entschieden, dass ihr ein Schutz gegen die hierdurch bedingte Verunreinigung ihrer Werke nur gewährt werden könne, wenn der Nachweis erbracht würde, dass ihr eine andere Möglichkeit der Wasserentnahme nicht zu Gebote stehe. Es sollen nunmehr die Wasserwerke zur Entnahme von Grundwasser umgebaut werden, nachdem Vorversuche dessen Vorhandensein in genügender Qualität und Quantität in der Nähe sowohl des Tegeler Sees als des Müggelsees ergeben haben — eine Entnahme von Seewasser würde dann sehr eingeschränkt und durch Freiwerden einer großen Zahl von Filtern für dessen bessere Reinigung Sorge getragen werden können. Die Stadtverordneten-Versammlung hat vorläufig einen Ausschuss zur schleunigen Beratung der betr. Magistratsvorlage niedergesetzt. Wenn es gelingt, der Stadt Berlin ein Trinkwasser zu verschaffen, welches möglichst unabhängig ist von der Beschaffenheit des Rohmaterials und von der Arbeit der Sandfilter, so würde dies gewiss in allen Kreisen mit Genugtuung begrüßt werden. Solange keine besonderen Verunreinigungen vorhanden sind, und solange die Filter nicht überanstrengt werden, arbeiten die Berliner Werke gewiss zu allseitiger Zufriedenheit; gelangen aber bacilläre Giftstoffe in unsere Wasserläufe und ist dabei der Wasserverbrauch sehr gross, so hört die Zuverlässigkeit der Filtration leicht auf; wir erinnern an die Arbeiten von C. Fränke1 und Piefke , die dargetan haben, dass die Sandfilter unter solchen Umständen nicht keimdicht arbeiten und dass z. B. Cholerabacillen keine Ausnahme von dieser Regel darstellen. Im Cholerajahr 1892 wurde deshalb mit Recht vor dem Genuas ungekochten Leitungswassers (welches freilich damals z. Th. noch aus den Stralauer Werken stammte) gewarnt. T. V.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Gesundheit 26. Jahrgang 1901