Geschwindigkeiten und Höhen, die der Mensch erträgt. Mit einer Sonderzeichnung

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1929
Autor: Botho von Römer, Ingenieur, Erscheinungsjahr: 1929

Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Technik, Natur, Höhe, Geschwindigkeit, Weg, Zeit, Raum, Weltall, Beschleunigung, Verzögerung, Luftwiderstand, Luftdruck, Außenluft, Temperatur
Von jeher lag es im Wesen des Menschen, sich mit dem Erreichten nicht zu begnügen, sondern immer rastlos vorwärtszustreben und das scheinbar Unmögliche zu versuchen, um nach und nach zu immer vollkommenerer Naturbeherrschung zu gelangen. Reichte die menschliche Kraft allein nicht aus, um ein gestecktes Ziel zu erlangen, so musste die Technik dem menschlichen Streben nutzbar gemacht werden.

*********************************************
Zwei Probleme sind es heute hauptsächlich, die das größte Interesse der Allgemeinheit in Anspruch nehmen, einmal die Überwindung von Raum und Zeit durch Erzielung von großen Geschwindigkeiten, und Zweitens die Erforschung der Lufthülle, der Stratosphäre, über unserer Erde. Hierbei wirft sich naturgemäß die Frage auf: Welche Geschwindigkeiten und Höhen kann der menschliche Organismus überhaupt ertragen?

Zunächst sei betont, dass reine gleichmäßige Geschwindigkeit nichts schaden kann. Der Mensch kann jede, auch die größte Geschwindigkeit, wenn sie nur gleichmäßig bleibt, ohne weiteres aushalten. Wir alle rasen ja mit einer Geschwindigkeit von 30.000 Meter in der Sekunde, mitgerissen von der Erde auf ihrem Fluge um die Sonne, durch das Weltall und merken gar nichts davon. Wir können auch von dieser Geschwindigkeit nichts wahrnehmen, weil eben eine reine gleichmäßige Geschwindigkeit auf unseren Körper nicht einwirkt. Ein Zweites Beispiel: Wir sitzen in der Luxuskabine eines modernen Großflugzeuges, das mit 150 Kilometer pro Stunde seinem Ziele zustrebt. Schauen wir hinunter aus die Landschaft, so sehen wir diese nur ganz langsam unter dem Tragflügel vorbei gleiten; schließen wir jedoch die Augen, so merken wir von einer Fortbewegung gar nichts; erst wenn wir den Kopf zum Fenster hinauslehnen, spüren wir einen mächtigen Luftzug, der von der Geschwindigkeit des Flugzeuges herrührt.

Dasjenige, was für den Menschen fühlbar ist, ihm sogar sehr gefährlich werden kann, ist nicht die Geschwindigkeit, sondern die Änderung der Geschwindigkeit, die wir Beschleunigung oder Verzögerung nennen. Dafür wieder ein Beispiel: Ein Fahrzeug fährt mit plötzlichem Ruck an (Beschleunigung), die Fahrgäste werden dabei stark an die Rücklehnen gedrückt, oder ein schnellfahrender Eisenbahnzug wird plötzlich gebremst (Verzögerung), die im Seitengang stehenden Leute werden in der Fahrtrichtung nach vorne geworfen, Gepäckstücke fallen aus den Gepäcknetzen.

Auf Grund eingehender Berechnungen wurde ermittelt, dass eine sekundliche Geschwindigkeitszunahme von 25 bis 30 Meter von einem gesunden Menschen auf kurze Zeit ohne Störungen ausgehalten werden kann.

Die Geschwindigkeit, die wir mit Maschinen auf der Erde und innerhalb der Erdatmosphäre erreichen können, ist durch den auftretenden Luftwiderstand begrenzt, denn der Luftwiderstand wächst bekanntlich mit dem Quadrat der Geschwindigkeit. Praktisch heißt das: Wenn zum Beispiel ein Flugzeug seine Geschwindigkeit von 100 auf 300 Kilometer pro Stunde erhöht, so wächst der Luftwiderstand um das Neunfache. Die Konstrukteure von Rennwagen und Flugzeugen sind deshalb auch dauernd bemüht, den schädlichen Luftwiderstand durch günstige Formgebung der Fahrzeuge und durch Verkleidung aller im Luftstrom liegenden Teile möglichst klein zu halten. Die heute erreichte Höchstgeschwindigkeit im Rennflugzeug beträgt 512,8 Kilometer pro Stunde. Dieser Weltrekord wurde aufgestellt von dem italienischen Major de Bernardi auf einem Macchi-Zweischwimmer-Flugzeug mit einem 858-PS-Fiat-Motor. Diese enorme Geschwindigkeit lässt sich vielleicht noch von einem Landflugzeug mit stärkerem Motor um einige Kilometer verbessern. Die 600-Kilometer-Grenze wird aber von Flugzeugen, die noch innerhalb der dichten Luftschichten fliegen, wohl schwerlich erreicht werden. Es ist deshalb für den kommenden Schnellflugverkehr geplant, die Flugrouten in die luftverdünnten Schichten, in die sogenannte Stratosphäre, zu verlegen.

Während sich in der „Troposphäre“, der unteren dichten Luftschicht, die Witterungseinflüsse, wie Stürme, Regen, Schnee und Nebel, für den Luftfahrer sehr unangenehm bemerkbar machen, lacht in der „Stratosphäre“ der ewig blaue Himmel; doch stellen dort große Kälte, geringerer Luftdruck und Mangel an Sauerstoff dem menschlichen Vordringen große Hindernisse entgegen. Alle führenden Fachleute sind sich darüber einig, dass das Fliegen in 12 bis 15 Kilometer Höhe ohne Gefährdung der Insassen möglich ist, da durch hermetischen Abschluss der Innenräume, durch künstliche Lüftung und Heizung der Luftdruck, die Luftzusammensetzung und die Temperatur in normalen Grenzen gehalten werden können. Die Erreichung solcher Höhen scheiterte bisher nur noch an der Motorenfrage, da die Leistung der heute üblichen Verbrennungsmotoren in so großen Höhen infolge der geringen Luftdichte stark nachlässt.

Es steht deshalb heute das Raketenproblem im Vordergrund des Interesses, weil der Raketenmotor, der erst am Anfang seiner Entwicklung ist, von der umgebenden Außenluft vollkommen unabhängig ist. Allerdings müssen noch genügend Erfahrungen über die Zusammensetzung und Wirkungsweise geeigneter, vielleicht flüssiger Treibstoffe gesammelt werden.

Zunächst ist beabsichtigt, unbemannte Raketenfahrzeuge für Forschungszwecke zu verwenden, welche Instrumente und selbstschreibende Registrierapparate in sich bergen. In zweiter Linie kommen Raketen für den Schnellpostverkehr von Kontinent zu Kontinent in Frage. Ob es in absehbarer Zeit möglich sein wird, mit irdischen Hilfsmitteln den Bannkreis unserer Erde zu verlassen, kann noch nicht entschieden werden. Die kommenden Versuche mit Raketenflugzeugen werden uns jedenfalls einen großen Schritt in der Entwicklung zum einstigen Weltraumschiff vorwärtsbringen.


Vergleich der Geschwindigkeiten vom Läufer bis zum Raketenflugzeug.

A. Flugzeug mit Hilfsraketen (Konstruktion heute bereits ausführbar) dürfte eine Geschwindigkeit von über 600 Km/Std. in höheren Luftschichten erzielen.
B. Jetziger Schnelligkeitsrekord im Flugzeug 512,8 Km/Std.
C. Raketenschienenwagen (System Valier) wird nach den vorliegender: Berechnungen 400 Km/Std. erreichen,
D. Jetziger Automobilschnelligkeitsweltrekord, aufgestellt von Ray Keech mit TripleX-Rennwagen 334 Km/Std.
E. Opel-Raketenauto (Rak II), welches bei seinen Probefahrten eine Höchstgeschwindigkeit von 260 Km/Std. erreichte.
F. Ein elektrischer Schnellbahnwagen der A. E. G. erreichte bei den Probefahrten auf der Versuchsstrecke Marienfelde—Zossen im Jahre 1903 210 Km/Std.
G. Die schnellste Dampflokomotive der Welt, erbaut von I. A. Maffei-München, erreichte 154,5 Km/Std. Diese Geschwindigkeit ist bis heute von anderen Dampflokomotiven noch nicht übertroffen worden.
H. Den Weltrekord der Geschwindigkeit für Rennboote hält zurzeit das von Friedrich Lürssen in Vegesack bei Bremen erbaute Rennboot „Namenlos“ mit 106,45 Km/Std.
I. Ein Reiter kann in der Stunde höchstens 60 km zurücklegen.
J. Ein Läufer kann in der Stunde im besten Falle eine Strecke von 30 km bewältigen. —

Das Vordringen des Menschen in die höheren atmosphärischen Schichten.

01. Höchstes Bauwerk Europas, der Eiffelturm in Paris, 300 m. I. Stratuswolken von —1 km Höhe.
02. Höchster Berg Deutschlands, die Zugspitze, fast 3.000 m. II. Kumuluswolken von 3—6 km.
03. Die höchste menschliche Siedlung im Himalajagebirge, 4.900 m.
04. Die höchste Erhebung der Erde, Mount Everest, 8.840 m, ist bisher zu Fuß noch nicht erreicht worden. III. Zirren (schleierförmige Wolken) bis 9 km Höhe.
05. Höhenweltrekord im Flugzeug 11.827 m, erreicht von dem Italiener Renado Donati über dem Flugfelde bei Turin am 21. Dezember 1927.
06. Höchste erreichte Höhe im Freiballon 12.945 m von Lapt. L. Gray. (Bei einem zweiten Versuch, seinen eigenen Weltrekord zu überbieten, stürzte Lapt. Gray mit seinem Ballon aus 13.000 m ab.)
07. Das Transozeanflugzeug von Dr.-Ing. Rumpler soll in 15 km Höhe fliegen. Das Flugzeug liegt in der Konstruktion bereits vor.
08. Zum Vergleich: Der höchste Vulkanausbruch aller Zeiten, Eruption des Krakatau zwischen Sumatra und Java am 26.—27. August 1883. Ein Teil des Vulkans versank im Meer, die Rauchsäule und Asche flog 30 km hoch.
09. Ein Registrierballon mit Instrumenten (unbemannt) hat 37 km Höhe erreicht.
10. Zum Vergleich: Geschoßbahn des deutschen Ferngeschützes vor Paris. Das Geschoß erreichte nach Berechnungen 42 km Höhe. Es war dieses der erste irdische Körper, der am weitesten in die Stratosphäre vorgedrungen ist. Das fast völlige Aufhören des Luftwiderstandes ermöglichte eine Schussweite von 120 km in 3 Minuten.
11. Das Stratosphärenflugzeug mit Raketenantrieb und Hilfsmotoren ist das weitere Ziel unserer Flugzeugkonstrukteure.
12. Zum Vergleich: Geschossbahn des Pariser Ferngeschützes bei Steilfeuer. Das Geschoss würde theoretisch eine Höhe von 77 km erreichen.
13. Die Raumrakete, das Endziel der Höhenfahrzeuge, soll vorerst unbemannt als Postrakete entwickelt werden.

Geschwindigkeiten und Höhen

Geschwindigkeiten und Höhen

Geschwindigkeiten und Höhen_

Geschwindigkeiten und Höhen_

Geschwindigkeiten und Höhen__

Geschwindigkeiten und Höhen__