Abschnitt 1

Uebergangszeit 1758-1803.

Das Amt.


Ein Lektionsplan aus dieser Zeit findet sich nicht - ein Zeichen, daß der Unterricht in der Neubildung begriffen war. Und es läßt sich nun zunächst verfolgen, wie das Lateinische im Laufe dieser Jahrzehnte aus dem öffentlichen Unterrichte verschwindet und lediglich Gegenstand privater Unterweisung wird. 1760 nennt der Superintendent noch die „Latinité“ unter den dem Rektor offiziell obliegenden Unterrichtsgegenständen; 1769 berichtet Rektor Schmiedekampf, daß er von Lateinschülern für öffentliche Stunden 4 ß. wöchentlich erhalte; dagegen kennt 1803 Rektor Bürger als Theilnehmer am öffentlichen Unterricht nur noch Lese-, Schreib- und Rechenschüler, so daß also etwa vorhandene Lateinschüler unter „Privatisten“ mitbegriffen sind. Damit hat also die Schule aufgehört, die Vorbereitung der Knaben zum Studium überhaupt zu ihren eigentlichen Aufgaben zu rechnen. Sie beschränkt ihre Aufgabe auf dasjenige, was für’s bürgerliche Leben nothwendig ist. Daher erklärt sich, daß Rektor Brinckmann, der mit höheren Plänen kam und dieselben im Anschluß an die öffentliche Schule ausführen zu können hoffte, sich so völlig getäuscht sah, daß er nach einem Jahre resignierte und ein Privatinstitut mit fremdsprachlichem Unterricht etablierte. Was Jahrhunderte lang, zunächst als vornehmster, dann doch noch als gleichberechtigter Zweck des öffentlichen Schulwesens gegolten hatte, war jetzt aus demselben hinausgewiesen und blieb dem Privatunterricht als Anhängsel der Schule überlassen. Und während die Prüfung der Rektoren in den „Schulwissenschaften“ noch immer sich auf „Lateinisch, Griechisch und Hebräisch“ erstreckte, beschränkte sich ihr öffentlicher Schulunterricht außer Religion im Wesentlichen auf „Lesen, Schreiben und Rechnen“.


Eine weitere bedeutsame Wandlung gegen früher vollzieht sich darin, daß der Unterricht im Singen aus der Schule verschwindet. Früher waren dafür 4 Stunden, jedesmal die erste am Nachmittag, angesetzt, und einer der beiden Collegen hatte seinen Titel von daher, daß ihm vornehmlich die Pflege des Gesanges oblag. Nach der Aufhebung des Cantorates sollte freilich der Rektor die Pflichten des Cantors mit übernehmen, und im Princip hielt man daran fest, daß er „zugleich Cantor“ sei. Denn zu seinen Obliegenheiten gehörte nun auch die gesammte kirchliche Gesangleitung bei Gottesdiensten, Copulationen und Beerdigungen. Allein schon der dritte Rektor dieses Zeitraums, Schmiedekampf, fing sofort nach seinem Antritt 1769 an, sich dieses Theiles seiner Amtspflichten zu entledigen. Unter Connivenz der Prediger accordierte er mit dem Küster, gegen eine Vergütung von 16 Thlr. das Singen zu übernehmen. Der Magistrat namens der Bürgerschaft beschwerte sich darüber: früher, so lange hier zwei Lehrer gewesen, sei „alles ordentlich und wohl zugegangen“; nun aber wolle der Rektor „sich mit dem Singen in der Kirche und bei den Leichen nicht befassen“; es möge doch wieder ein Cantor angestellt werden. Schmiedekampf wurde angewiesen, wenn er nicht binnen 14 Tagen die Beschwerde widerlegen könne, „sich seinen Pflichten im Singen nicht zu entziehen“. Allein mit Erfolg remonstrierte er dagegen: „ich habe das Singen abgelehnt, weil ich die Information für das Wichtigste halte“; daneben schützte er seine schwache Brust vor, wies darauf hin, daß der (Notab. schon altersschwache und fast kindische) Küster ganz gut das Singen verrichten könne; augenblicklich sei er allerdings krank, habe aber auf eigne Kosten einen Leineweber substituiert. Daraufhin wurde die Beschwerde des Magistrats ad acta gelegt. Es wurde auch fortan bei Berufung eines neuen Rektors gar nicht danach gefragt, ob er singen könne. 1771 berichtet Rektor Günther an den Herzog: als er ganz unerwartet das Rektorat in Sternberg erhalten, habe er in der Freude seines Herzens sich nicht näher erkundigt, habe sich in Schwerin examinieren und dann einführen lassen; - da habe er zu seiner höchsten Bestürzung erfahren, daß mit dem Rektorat das Singen in der Kirche verbunden sei, wozu er ganz unvermögend sei. Wieder wird genehmigt, daß er sich den Küster bezw. dessen Substituten substituiere. 1779 erlaubt sich der Superintendent noch einmal zu fragen, „warum denn eigentlich der Rektor nicht singen solle?“ Aber der Herzog entschied, daß er „vom Singen befreit“ bleiben, und dies dem Küster übertragen werden solle; zu dem Zweck mußte die leistungsunfähige Oekonomie zu dem vom Küster verlangten Honorar von 20 Thlr. einen Zuschuß von 11 Thlr. geben. Und dabei erklärte der Küster, daß er sich „am liebsten des Singens ganz überhoben“ sähe!

Es erhellt, wie vollständig der cultische Gesang in Mißachtung gerathen war. Die Leitung desselben vertrug sich nicht mehr mit der Würde eines Rektors. Darnach läßt sich denn schon schließen, wie es mit der Pflege des Gesanges in dcr Schule bestellt gewesen sein wird. Ich habe keine bestimmte Nachrichten darüber, und es ist möglich, daß die beiden ersten Rektoren dieser Zeit noch Singunterricht ertheilt haben; aber die späteren haben es sicherlich nicht mehr gethan, zumal der eine „eine schwache Brust hatte“, der andre „nicht Ton halten konnte“, der dritte überhaupt „zum Singen unvermögend war“. Als im Jahre 1803 das neue Schulreglement in’s Leben trat, dachte Niemand mehr daran, daß die Schule auch dazu bestimmt sein könnte, Cultusgesang zu pflegen. Abgesehen davon, daß der Unterricht Morgens und Nachmittags mit „Gesang und Gebet“ begonnen werden sollte, hatte nunmehr das Singen keinen Platz mehr im Lektionsplan, und die vier ersten Stunden des Nachmittags, welche früher dem Singunterricht gewidmet waren, wurden jetzt Rechenstunden. Was früher der Schule Ruhm und Ehre gewesen war, der Gemeinde zur Verherrlichung ihres Cultus zu dienen, war jetzt durch die allgemeine Nichtachtung abgestoßen.

So wurden die beiden Hauptbestandtheile des alten Schulunterrichts - abgesehen von der Unterweisung im Christenthum -, Latein und Singen, im Laufe der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zu Grabe getragen.

Die positive Seite der Entwicklung dieser Uebergangszeit läßt sich im Einzelnen nicht verfolgen. Wir werden das Ergebniß in dem Reglement von 1803 finden.

Es erübrigt noch ein Blick auf die Küsterschule, wobei auch Mädchenunterricht, Nebenschulen und Schulbesuch zu berücksichtigen sind.

Als durch den Brand von 1741 die Orgel zerstört, und damit der kirchlichen Organisten-Mädchenschule die Basis entzogen war, trieb die Noth, Mädchen und kleinere Knaben in der Schule des Cantors bezw. seiner Frau zu vereinigen. So dürfte es auch unter dem letzten Cantor Nusbaum geblieben sein. Aus dieser Cantorschule wurde 1760 die Küsterschule. Daran, die größeren Mädchen mit den größeren Knaben unter dem Rektor zu vereinigen, dachte man damals noch nicht. Die Erinnerung an die alte Lateinschule blieb insoweit wirksam, daß man dem Rektor nur Knaben, und zwar die größeren, zuweisen zu können glaubte. Für sämmtliche Mädchen, wie für die kleineren Knaben erschien die Unterweisung durch einen Handwerker ausreichend. Hatte man sich doch lange Jahre mit weiblichem Unterricht begnügen müssen!

Im Princip also umfaßte die Küsterschule sämmtliche Mädchen nebst denjenigen Knaben, die „noch nicht für die Rektorschule tauglich“ waren. Die Altersgrenze wird verschieden angegeben, bald heißt es „unter 7 Jahren“, bald „unter 9 Jahren“, bald „unter 10 Jahren“. Ich schließe, daß der Uebergang aus der einen in die andre Schule ziemlich der Willkür anheimgegeben war. Ebenso schwankt die Bezeichnung der Unterrichtsgegenstände. Neben den „Anfangs-Sätzen der Pietaet“ wird bald nur „Lesen“, bald auch „Schreiben und Rechnen“ genannt. Letzteres mußte ja auch gelehrt werden, wenn auch auf größere Mädchen reflektirt wurde. In Wirklichkeit scheint aber die Küsterschule kaum jemals solche Schülerinnen gehabt zu haben. 1774 war zu berichten, der Küster habe nur „die kleinen Kinder unter 7 Jahren“ zu unterrichten.
In des Küsters wiederholten Klagen über die Nebenschulen, welche ihm die Schüler wegfangen, behauptet er zwar, daß ihm eigentlich die Mädchen sämmtlich gehörten, beschränkt sich aber zuletzt doch auf die Forderung, daß wenigstens die Knaben ihm verbleiben müßten. Und was das Schulgeld betrifft, so ist auch immer nur von „1 ß. wöchentlich“ die Rede, also von dem für Leseschüler üblichen Satze.

In der That war dieser Zeitraum die Blüthezeit der Nebenschulen, welche allen Angriffen mit Erfolg Trotz boten. Anfangs bestanden die Schulen der Demoisellen Kapherr und der Tochter des verstorbenen Rektor Plötz, später kam an Stelle der letzteren die der Schneiderfrau Glashoff hinzu. Namentlich letztere erfreute sich großen Zulaufes, wurde vom Magistrat begünstigt und erlebte schließlich den Triumph, daß ihr Duldung gewährt wurde.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Sternberger Schulwesens