Abschnitt 2

Die vorreformatorische Zeit.


Die Art des Unterrichtes wird dieselbe gewesen sein wie überhaupt in den Pfarrschulen. Die Hauptaufgabe der Pfarrschulen bestand einerseits darin, einen Sängerchor für die kirchlichen Cultushandlungen zu bilden, andrerseits darin, die zu akademischen Studien bestimmten Knaben vorzubereiten. Demnach erstreckte sich die Unterweisung vornehmlich auf Singen und Latein, während die religiöse Unterweisung, soweit man von einer solchen reden kann, der gottesdienstlichen Praxis überlassen blieb. Wenn, wie es in Sternberg der Fall gewesen zu sein scheint, eine besondere deutsche Schreibschule neben der Pfarrschule fehlte, so mußte freilich die Pfarrschule auch die Unterweisung derjenigen Knaben übernehmen, welche, ohne zu höherer Bildung bestimmt zu sein, doch Deutsch lesen und schreiben (vielleicht auch Rechnen) lernen sollten, und deren werden in Sternberg mit seiner strebsamen und gutsituirten Bürgerschaft allezeit nicht ganz wenige gewesen sein. Die Aufgabe war in der That nicht leicht, beiderlei Unterricht zu vereinigen und die Jugend vom frühesten Alter bis zu etwa 16 Jahren in Einer Classe zu unterweisen. Und dieser Umstand ist mit in Betracht zu ziehen, um die Thatsache zu erklären, wie sehr der klerikale Unterricht der vorreformatorischen Zeit in äußerlichem Mechanismus befangen war.


Die Leistungsfähigkeit der Schule war natürlich wesentlich von dem Maße der Tüchtigkeit des jeweiligen Rektors abhängig. Einen gewissen Maßstab für die Leistungen der Sternberger Schule gewährt, wie gesagt, die Thatsache, daß im 15. Jahrhundert verhältnißmäßig nicht wenige Sternberger Bürgerkinder zum Studium gelangten. Gewiß war Sternberg ein Ort, an welchem man nicht den ersten besten „fahrenden Scholaren“ zum Schulmeister machte, sondern mit Erfolg sich bemühen konnte, graduirte Kleriker für die Leitung der Schule zu gewinnen.

Bemerkenswerth ist, wie der Zudrang zur Akademie grade gegen das Ende des 15. Jahrhunderts sich steigert: vom Jahre 1490 an sind in den 35 Jahren bis 1524 nicht weniger als 18 Sternberger in Rostock immatrikulirt worden, also fast die Hälfte der auf die vorreformatorische Zeit fallenden Gesammtzahl. Es fällt dieser Aufschwung zeitlich zusammen mit der außerordentlichen Steigerung des Eifers für das gottesdienstliche Wesen, wie sie in Sternberg damals, namentlich in Folge der Judenverbrennung und der Verehrung des heil. Blutes, eingetreten ist. Da die Unterweisung der Jugend ganz überwiegend nur im Dienst des Cultuswesens stand, so ist auch ein innerer Zusammenhang nur wahrscheinlich; und es bestätigt sich auch für Sternberg, daß es eine verkehrte Anschauung wäre, wenn man annehmen wollte, daß die mittelalterliche Kirche, indem sie das Cultuswesen auf die Spitze trieb, das Schulwesen überhaupt vernachlässigt habe. Vielmehr, was das Aeußerliche betrifft - abgesehn von dem innern Gehalt -, nehmen wir wahr, daß auch die Richtung auf höhere Bildung eine Steigerung erfuhr.

Eben dahin weist auch die im Anfang des 16. Jahrhunderts erfolgte Begründung des Augustinerklosters in Sternberg. Jedes Augustinerkloster war doch in gewissem Maße eine Pflegestätte der Studien und kann nicht ohne Unterweisung der Novizen gedacht werden. Zu seinem Gedeihen war eine nothwendige Voraussetzung, daß es an dem Orte seiner Gründung nicht an regerem Bemühen um klerikale Bildung fehlte. Andrerseits wird dann auch das Bestehen des Klosters in dieser Richtung anregend gewirkt haben. Der Umstand, daß in dem Kampf des städtischen Klerus gegen das Kloster gerade der Schulmeister die Hauptrolle spielt, läßt mich vermuthen, daß dieser von dem Klosterconvent eine seiner Schule abträgliche Concurrenz erfuhr. Und wenn nun auch nicht anzunehmen ist, daß mit dem Kloster eine besondere Schule verbunden gewesen sei, so ist doch nur wahrscheinlich, daß dasselbe, indem es junge Leute als Novizen anzog, manchen Schüler der Pfarrschule entzog; zumal wenn einmal zufällig der Schulmeister, wie es mit diesem Andreas Widenbek der Fall gewesen zu sein scheint, nicht das Zeug hatte, die Schule in Flor zu erhalten. 7) -

Stellen wir nun diesem, äußerlich betrachtet und an dem Maße jener Zeit gemessen, im Allgemeinen nicht unbefriedigenden Stande des Schulwesens in vorreformatorischer Zeit den Zustand gegenüber, wie wir ihn in der ersten Zeit nach der Reformation finden, so läßt sich nicht verkennen, daß auch in Sternberg, wie im Allgemeinen in Deutschland, der Eintritt der Reformation zunächst einen gewissen Verfall des Schulwesens im Gefolge gehabt hat. Die Wirkungen der Reformation machten sich in Sternberg zuerst am Augustinerkloster bemerkbar und zwar als solche auflösender Art. Das Kloster, welches der Visitator Linck noch im Jahre 1520 gut besetzt und wohl geordnet gefunden hatte, wurde im Jahre 1524 durch den Prior Johann Steenwyk der reformatorischen Richtung zugeführt, und schon nach drei Jahren, im Jahre 1527, befand es sich im Zustande völliger Auflösung. Es ist nicht zu bezweifeln, daß damit ein Element verschwand, welches in der Richtung auf klerikale Bildung fördernd einzuwirken geeignet war. Im Uebrigen blieb in Sternberg das alte Kirchenwesen noch verhältnißmäßig lange äußerlich bei Bestand, aber seinen Boden in der Bürgerschaft hatte es verloren, zumal seitdem im Jahre 1533 Faustinus Labes, vom Herzog Heinrich als Caplan und Prädikant berufen und geschützt, die evangelische Lehre zu verkündigen anfing. Da nun die Schule in der Hand des Klerus blieb und in dem alten Geiste, als Hülfs- und Bildungsanstalt für den äußerlich fortbestehenden bisherigen Cultus, weiter geleitet wurde, so mußte selbstverständlich die Schule nach Seiten ihrer Frequenz wie auch im Zusammenhange damit ihrer Leistungsfähigkeit in Verfall gerathen.




7) Die Augustiner, in ihren anläßlich des von Lisch kurz dargestellten Streites an den Herzog gerichteten Rechtfertigungsschreiben, nennen den Schulmeister „Bachant“ und stellen ihn als einen jungen unwissenden Cleriker dar. Sein Verhalten in dem Streit kennzeichnet ihn als einen wüsten, rohen Gesellen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Sternberger Schulwesens