Abschnitt 2

Die nachreformatorische Zeit bis zur Aufhebung des Cantorats 1758

Schullokal, Wohnung und Besoldung.


Im Jahre 1719 war der Zustand des Hauses derartig, daß der Cantor höheren Ortes vorstellig wurde und sich zu dem Zwecke von dem Rektor Franck attestiren ließ: daß die Schulwohnung, nur aus Noth nach dem Brande hergerichtet, „nicht so viel Bequemlichkeit biete, als hiesige Viehhirten haben“; des Rektors Seite allein sei noch einigermaßen brauchbar, des Cantors Seite aber bestehe nur aus einer „dumpfichten“ Stube, könne nur mit Lebensgefahr bewohnt werden; die Balken seien vermodert, der Dachboden ruiniert; es regne durch; er seinerseits habe daher die Wohnung überhaupt nicht bezogen. Schon 1714: hatte Franck vergeblich beim Herzog um ein neues Schulhaus gebeten. 1719 reiste er persönlich mit dem Präpositus Sukow nach Dömitz, „um daselbst bey Sr. Hochfürstl. Durchlaucht Hertzog Carl Leopold eine unterthänigste Vorstellung, zum Besten der Schule, zu thun; insonderheit aber, um Landesherrlichen Consens zu einer Lotterie, für dieselbe anzuhalten. Es war die Sache schon mit Peter Heus, in Hamburg, abgeredet, welcher die Lotterie dirigiren, und einen Vortheil von 2000 Thlr. herausbringen wolte. Der Praepositus übergab deßfalls d. 21 Sept. eine unterthänigste Bittschrifft, welche mit diesen Worten anhebet: _Nachdem ich, durch Gottes Fügung in Ao. 1676 zum Pastorat und Seniorat anhero beruffen, ist mir aus dem Zustande der Kirche und Schule ein gedoppeltes großes Anliegen entstanden.’ Er erzählet darauf, wie die außgebrannte Kirche, worinn man, wegen androhender Einstürtzung der Gewölbe, nicht anders als mit Lebensgefahr gehen können, endlich sey repariret, und darauf fähret Er fort: _wegen der Schule aber ist das Anliegen je länger je größer geworden; weil die Brand-Mauren-Kiste des Hospitals zum H. Geist, so vor meiner Ankunfft, zur Information der Jugend und unvergnüglichen Wohnung der Schul-Bedienten, gar schlecht aptiret, von einer Zeit zur andern gebrechlicher und baufälliger geworden; biß endlich selbigem Gebäude so gar nicht mehr zu helffen gestanden, daß man schon vor Jahren per supplicata der Hochfürstl. Regierung die Noht zu erkennen geben müssen. Es haben aber zu Erbauung einer neuen Schule keine Mittel können außgefunden werden. Viel weniger hat sich finden wollen, wie bey der Schule, in welcher zuweilen, wenn nur genugsamer Platz zur location wäre, die Anzahl der Schüler biß an 100 sich erstrecken würde, der dritte Collega könne gesetzet werden. . . .’ Aus welchem Gezeugniß man den damahligen Zustand der Sternbergischen Schule genugsam erkennen kann. Es bekam aber der Praepositus hierauf keine schrifftliche, sondern nur diese mündliche Antwort, durch den Geh. Secretaire Scharff: daß der gegenwärtige Landeszustand dergleichen Unternehmen nicht gestate; womit Sie also beyde wieder zurück reiseten, um eine bessere Zeit zu erwarten.“ Aber die Zeiten wurden nur noch schlimmer. Nachdem in den folgenden Jahren aus den schon überaus schwachen Mitteln der Kirche an dem alten Gebäude hin und wieder einiges nothdürftig gebessert war, wurde dasselbe in dem Stadtbrande von 1741 32) vollends zur unwiederherstellbaren Ruine. „Hiemit hörte nun die Schule eine Zeit lang gäntzlich auf. Denn obwohl die Collegen an derselben die Information in der St. Georgi Kirche [welche als fast einziges Gebäude der Stadt vom Brande verschont geblieben war] füglich hätten fortsetzen können, so gingen Sie doch davon, üm sich eine Bey-Steur von mitleidigen Hertzen zu samlen; kamen auch nicht eher wieder, ihrem Singen in der Kirche vorzustehen, als auf Johannis 1742. Da denn inzwischen der Küster singen und ein Bürger die Jugend im Rechnen und Schreiben unterweisen muste. Es waren aber der Kinder sehr wenige hier, so sich bey ihren Aeltern noch in Kellern und vor den Thören, in den Scheuren, aufhielten, da die übrigen nach dem Lande geflüchtet.“


Mit größter Energie suchte Franck die sofortige Wiederherstellung wie der Kirche so auch der Schule zu erreichen; aber während es ihm freilich unter unsäglichen Schwierigkeiten gelang, die Kirche im Laufe des nächsten Jahrzehnts wiederhergestellt zu sehen, so waren bezüglich der Schule alle seine Bemühungen vergeblich. Sein Plan war, dieselbe an der bisherigen Stelle, vielleicht mit Benutzung des stehengebliebenen Mauerwerks, wieder zu bauen; er erwirkte, bei völliger Insolvenz der Kirche, Landes-Collekten und Commissions-Berathungen; aber erstere brachten für die Schule verschwindend wenig, und letztere, gehemmt durch den unseligen Widerstreit zwischen der Regierung Carl Leopolds und der dem Kaiserlichen Commissarius Christian Ludwig unterstehenden Cammer, führten Anfang 1743 zu dem Ergebniß, daß „vor der Hand nicht weiter an der Schule zu gedencken“ war. Rektor und Cantor waren also genöthigt, sich selbst zu helfen, so gut es ging. Ersterer „kauffte sich ein Häußlein in der Stadt,“ und letzterer „wohnte zu Miethe in einem Bürger-Hause.“ Jeder hielt nun seine Schule für sich, je nachdem „die Kinder bald diesem bald jenem von den Aeltern zugesandt wurden.“ So ist es bis an’s Ende dieser Periode geblieben und noch darüber hinaus.

Aus diesem Ueberblick ergiebt sich, daß die Lokalitätsverhältnisse im Laufe dieser Periode mit der Zeit nicht besser sondern wegen zunehmender finanzieller Bedrängniß infolge der wiederholten Schicksalsschläge und Nothzeiten immer schlechter wurden. Das alte Schulhaus (bis 1659) konnte noch als genügend gelten. Daß dasselbe für die sämmtlichen Schüler nur einen einzigen Unterrichtsraum bot, ist nicht auffallend; vielmehr war dies in jener Zeit bei kleineren Schulen durchaus die Regel. Auch die Lehrerwohnungen scheinen nicht übel gewesen zu sein und waren jedenfalls für Junggesellen, für welche sie berechnet waren, ausreichend. Anders freilich, wenn die Lehrer sich verheiratheten, wie es mit den Rektoren von vornherein, mit den Cantoren später ebenfalls zur Regel wurde: dann mußte wenigstens der eine Theil weichen. Näheres darüber finde ich erst aus späterer Zeit. Zur Zeit der Visitation von 1705 hatte der Cantor Selschap, welcher verheirathet war, die beiden Lehrerwohnungen inne, während dem unverheiratheten Rektor Wendeker auf Veranstaltung der Pastoren eine andre Stube gemiethet war; das Protokoll bemerkt dazu, daß diese Einrichtung „auf ihre (der Pastoren) Gefahr und Bezahlung“ bestehe; es wurde also eine Verpflichtung der Kirche, für solchen Fall Rath zu schaffen, nicht anerkannt. - Anders wurde es zu Francks Zeit. Als derselbe bald nach seinem Antritt geheirathet und den Plan gefaßt hatte, Pensionäre aufzunehmen, bezog er zunächst auf eigene Kosten ein Miethshaus. Seine Bitte, ihm die beiden Prediger-Wittwenhäuser einzuräumen, welche z. Z. gegen eine Jahresmiethe von à 8 Thlr. an adelige Personen vermiethet waren, wurde abgeschlagen. Dagegen verordnete der Superintendent unter dem 14. Jan. 1715: „Wenn der Rector Franck zu Sternberg seinem Collegen, dem Cantori, die Schul-Wohnung allein eingeräumet, und ein Mieths-Haus bezogen: so wird der Cantor jährlich 2 Thlr. dem Rectori zur Miete mit beyzutragen haben; über dieselbe sollen Ihm jährlich von der Kirchen Geldern, so lange der Cantor die Schule alleine bewohnet, Sechs Thlr. bezahlet werden.“ Erhielt er nun hiemit auch nur die Hälfte des Erbetenen, so bekennt er doch, damit „gar wohl zufrieden“ gewesen zu sein. - Aehnlich wurde 1739 entschieden. Der verheirathete Rektor Plötz bewohnte die Schulwohnung allein. Sein College, der Cantor Makulehn, welcher 1737 als verheiratheter Mann zugezogen war, hatte anfangs auf eigne Kosten eine Miethswohnung bezogen. „Weil Er aber sich mit seiner Wirthin, bey welcher Er zur Heur wohnte, nicht länger vertragen konnte: so ward er willens, seine Stube auf der Schule, so der Rector bißher mit inne gehabt, selber zu beziehen. Da nun nicht zu vermuthen war, daß Sie beyde, in so kleinem Raum, geruhig wirthschafften würden: so meldete der Rector des Cantoris Vorhaben beym Consistorio, besorgte, daß von solcher gemeinschafftlichen Bewohnung nichts gutes zu vermuhten, sondern es könne dieselbe zu täglichem Zancken, ja (daß Gott verhüte) zu großem Unglück Gelegenheit geben’, bat darauf: _dem BurgeMeister und Kirchen-Vorsteher Masmann zu injungiren, dem Cantori eine Thor-Bude, oder andere Wohnung, einzuräumen.’ Die Herren Consistorial-Rähte hatten sich nicht anders vorgestellet, als daß bey der Kirche an den Thüren etwa kleine Buden seyn müsten, wie sonst wohl an Kirchhöfen. Deßwegen Sie das Mandatum würklich erkannten. Es hatte aber der Rector hiemit eine Probe von seinem tückischen Gemüht geben wollen, indem Thor-Buden alhie für Schliesser und Stadt-Diener sind, so die Delinquenten greiffen müssen.“ Die Entscheidung erfolgte zuletzt dahin, „daß der Rector, so auf der Schule des Cantoris Stube mit bewohne, dem Cantori dafür 2 Thlr., die Kirche aber 4 Thlr. zulegen solte, womit Cantor auch friedlich war.“ - Uebrigens sehen wir, daß es doch an sich nicht für schlechthin unmöglich galt, daß zwei Familien gleichzeitig die nur aus zwei Stuben bestehenden Wohnungslokalitäten des Schulhauses bewohnen könnten, und erkennen daraus wieder, wie unendlich gering in jenen Zeiten der Misere die Ansprüche in Bezug auf Wohnungsverhältnisse waren. Wir müssen uns dabei vergegenwärtigen, daß nach Francks Zeugniß ein Rektor damals an Rang dem Bürgermeister einer kleinen Stadt gleichstand. -




32) Merkwürdigerweise ereignete sich dieser Brand ebenso wie der von 1659 am 23. April.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Sternberger Schulwesens