Abschnitt 3

Die nachreformatorische Zeit bis zur Aufhebung des Cantorats 1758

Mädchen- und Nebenschulen.


Unter Francks Rektorat (bis 1722) war selbstverständlich für eine Nebenschule kein Raum. Wie es unter seinem Nachfolger Plötz geworden ist, welcher die Schule wieder gänzlich zerfallen ließ, ersehe ich nicht. Franck bemerkt nur: „Die Bürgerschafft ward darüber sehr verdrossen, daher Er sein Speise-Geld nicht anders, als durch Executiones erlangen konnte. Die Aeltern, welche die ungehobelte Sitten des Rectoris verabscheueten, nahmen ihre Kinder aus der Schule; frembde kamen nicht mehr her, daher die Anzahl immer geringer ward, biß Sie endlich fast gar einging.“ Wie Franck überhaupt über die Zeit der Wirksamkeit seines Nachfolgers, der ihm unendlich viel zu schaffen machte, verhältnißmäßig wenig schreibt, so erwähnt er auch von Nebenschulen nichts. Doch läßt sich kaum anders denken, als daß solche wenigstens bis zum Jahre des Brandes 1741 bestanden haben müssen. Nach dem Brande freilich war wiederum für solche kein Platz, zuerst weil die Bevölkerung sich erst allmählich wieder mehrte, und später weil in der großen Misere jener Jahre die Ansprüche der Bürgerschaft so gering waren, daß die beiden Frauen des Rektors und des Cantors im Stande waren, sie zu befriedigen.


6) Der Schulbesuch.


Die früheste Nachricht über die Schülerzahl der Knabenschule bietet das V.-P. von 1653: „Sie haben auf die 50 Knaben, unter denselben sind 10, welche Latein lernen.“ Dasselbe Protokoll bemerkt über die Seelenzahl der Gemeinde (welche lediglich die Bevölkerung der Stadt umfaßte):

Die Zahl 161 wird also die schulfähige Jugend umfassen. Darnach müssen etwa 80 schulfähige Knaben vorhanden gewesen sein; und es ergiebt sich, daß etwa 3/8 derselben die Schule zur Zeit nicht besuchten. Doch läßt sich daraus nicht schließen, daß diese überhaupt nicht zur Schule gekommen wären. Wenn die Annahme zutrifft (s. oben S. 62, 67 f.), daß diejenigen Knaben, die nicht Latein lernten, nicht so, wie jetzt, bis zur ersten Communion, also etwa 8 Jahre lang, sondern kürzere Zeit, etwa 5 Jahre hindurch, am Unterricht theilnahmen, daß also nach damaliger Anschauung und Gewohnheit die Schulpflichtigkeit für die „Teutschen“ etwa vom 6. bis zum 11. Lebensjahre dauerte, so ergiebt sich, daß die Zahl 40 der vorhandenen Nichtlateiner ungefähr mit der Zahl der Schulpflichtigen übereinkommt, daß also kaum ein Kind vorhanden gewesen dürfte, welches die Schule überhaupt nicht besucht hätte. Dies Ergebniß ist um so bemerkenswerther, als damals noch nicht viele Jahre seit dem Ruin des Jahres 1638 verflossen waren, und die Bürgerschaft sich finanziell noch kaum von den Schlägen des Krieges erholt hatte. Wie vielmehr werden wir von den gedeihlichen Jahrzehnten vor 1638 urtheilen dürfen, daß kaum Kinder gewesen sein werden, die nicht wenigstens einige Jahre Schulunterricht genossen.

Auch die weibliche Jugend dürfte in jener Zeit ziemlich allgemein irgend welcher Schulbildung theilhaftig geworden sein. Nach dem S. 15 mitgetheilten Schriftstück zählte die am Ende des 16. Jahrhunderts begründete kirchliche Mädchenschule schon 1597 nicht weniger als 40 bis 50 Schülerinnen. Auch hier dürfte in Erwägung aller Umstände zu urtheilen sein, daß das so ziemlich alle Mädchen waren, die überhaupt nach damaliger Anschauung die Schule besuchen konnten. Daß das Bedürfniß der Mädchenunterweisung auch fernerhin lebhaft empfunden wurde, beweist die Thatsache, daß fortwährend Nebenschulen für diesen Zweck sich bildeten.

Ich glaube nicht zu irren, wenn ich annehme, daß wenigstens bis zum Jahre 1638, und wohl noch drüber hinaus, ohne die gesetzliche Zwangsmaßregeln und Strafverfügungen, lediglich durch Kraft der guten kirchlichen Sitte, die gesammte Jugend ziemlich ausnahmslos durch die Schule hindurchging und wenn nicht Latein, doch wenigstens „Beten, Lesen und Schreiben“ lernte.

Die Wendung zum Schlimmen ist, wenn ich recht sehe, durch die zunehmende Verarmung der Bürgerschaft bedingt. Was nach der Kriegs- und Pestnoth mit Mühe wieder errungen war, wurde durch den Brand von 1659 von neuem zerstört. Die Stadt erholte sich langsamer als zuvor. Es folgten die Kriegsunruhen der 70er Jahre, später die Calamitäten des 18. Jahrhunderts, während welcher Sternberg durch den Brand von 1741 getroffen wurde. In der „Geschichte der Sternberger Hospitalien“ habe ich gezeigt, wie unter diesen Verhältnissen sogar diese so günstig gestellten Stiftungen allmählich dem fast völligen Ruin immer näher kamen. Darnach läßt sich ermessen, wie es der Bürgerschaft ergangen sein muß. Und daß die zunehmende Verarmung derselben auf den Schulbesuch der Jugend in hohem Grade hemmend muß eingewirkt haben, versteht sich von selbst.

Wie mangelhaft es mit dem Schulbesuch der Knaben stand, zeigt das V.-P. von 1705. „Die Zahl der Knaben ist befunden 58. Könnte aber weit stärker seyn, welches der gegenwärtigen Stadt-Obrigkeit fleißig aufs Gewissen ist recommendiret worden, wie auch denen Ehrn Predigern nicht minder.“ Da, wie oben erwähnt (S. 76), durch die Bemühungen des Superintendenten alle diejenigen Knaben, welche die Ebelsche Nebenschule besuchten, für die Dauer der Visitation wieder in die ordentliche Schule gezogen waren, so repräsentiert die Zahl 58 die Gesammtzahl der die Schule überhaupt besuchenden Knaben. Nun zählte die Stadtgemeinde damals etwa 950 Communikanten, muß also mindestens 250 schulfähige Kinder, demnach mindestens etwa 125 schulfähige Knaben gehabt haben. Während also im Jahre 1653 etwa 5/8 aller Knaben die Schule besuchten, war die Zahl im Jahre 1705 auf kaum die Hälfte gesunken, während andrerseits die Dauer des Schulbesuches gegen damals verlängert war. In der That: die Zahl „könnte weit stärcker seyn“!

Selbst unter Francks Rektorat, unter welchem der Schulbesuch sich auf eine unerhörte Höhe hob, war 87 die höchste Zahl (S. 32), und darunter waren noch ziemlich viele auswärtige Knaben. Man meinte allerdings noch höher kommen zu können, wenn im Schulhause nur Platz wäre, und ein dritter College angestellt würde, aber das Höchste, worauf man glaubte rechnen zu können, war „gegen hundert“ (S. 47), dann blieben also immer noch mindestens 40 Knaben übrig, auf welche man von vom herein glaubte verzichten zu müssen.

Um hier Abhülfe zu schaffen, sah man sich bei der Visitation von 1705 genöthigt, sich nicht nur an die Pastoren, sondern in erster Linie an den Magistrat zu wenden. Es ist dies für Sternberg, soviel ich weiß, der erste Versuch, obrigkeitlichen Schulzwang herbeizuführen. Er beschränkt sich darauf, die Sache der Obrigkeit „fleissig aufs Gewissen zu recommendiren“. Es ist auch eine Wirkung davon in keiner Weise zu verspüren. Während dieser ganzen Periode ist von einem Eingreifen des Magistrats mit Verordnungen oder Strafen keine Spur zu finden.

Unter diesen Umständen ist es nicht zu verwundern, daß in Bezug auf den Schulbesuch mehr und mehr eine regellose Willkür Platz griff, welche ihren Höhepunkt erreichte, als nach dem Brande von 1741 die öffentliche Schule sich in zwei quasi Privatschulen auflöste, welche der Hauptsache nach unter weiblicher Leitung standen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Sternberger Schulwesens