Abschnitt 2

Die nachreformatorische Zeit bis zur Aufhebung des Cantorats 1758

Mädchen- und Nebenschulen.


Also seit dem 30jährigen Kriege hat die öffentliche kirchliche Mädchenschule in Wirklichkeit nur vorübergehend existirt. Da blieb also Raum für Nebenschulen, wie denn Franck bemerkt, daß „vielfältig nebenher von Frauens-Leuten Mädgens-Schulen gehalten worden.“ Ausdrücklich erwähnt finde ich die Wittwe des 1692 verstorbenen Rektors Sartorius, welche, „indem der damahlige Organist, Michael Schumacher, dem diese Schule sonst zukam, sich wenig drüm bekümmerte“, mit stillschweigender Genehmigung der Prediger in einer dem St. Georg-Hospital gehörenden Steinbude eine Mädchenschule unterhielt, welche eine Zeitlang die einzige und gut besucht gewesen zu sein scheint. Als 1705 die Reorganisation der Organisten-Mädchen-Schule erstrebt wurde, erging ein herzogliches Rescript an den Magistrat, welches alle Nebenschulen - mit Ausnahme solcher, welche auf besondern Consens Kinder unter 6 Jahren aufnehmen dürften - streng untersagte. Allein das V.-P. von 1705 besagt: „Auch ist ad dies vitae sine consequentia Seel. Rectoris Sartorii Widwene concediret, in der Stein-Bude eine kleine Kinder-Schule zu haben von 10 bis 12 Mägdlein aufs höchste.“ Und als die Frau gestorben war, setzte ihre Tochter die Schule fort bis 1714. Als 1729 der Cantor Kapherr Organist wurde, hatten die Neben-Schulen wieder gute Tage: „Mit der Mägdlein-Schule hat sich dieser Organist niemahls abgegeben; sondern die Mägdleins wurden durch Frauens in der Stadt, für einen Schilling wöchentlich, unterwiesen. Da denn insonderheit die Wittwe des Seel. Pastoris von Sülten, Johannis Ernesti Schaumkell (eine Tochter des Pastoris von Radem, Johannis Rumbheld) guten Ruhm verdienete. Sie zog aber, schon vor dem Brande, weg, als ihr Sohn Pastor zu Bellin ward.“ Nach dem Brande etablierte neben andern die Frau Cantor Makulehn eine Mädchenschule, welche bald, wie wir sahen, mit der Knabenschule des Cantors verschmolz.


Es scheint, daß diese Mädchen-Nebenschulen vielfach auch ganz kleine Knaben unter 6 Jahren aufgenommen haben. Eigentliche Knaben-Nebenschulen finde ich durch das ganze 17. Jahrhundert hindurch nicht erwähnt - ein Zeugniß für den relativ befriedigenden Zustand der öffentlichen Schule.

Erst als unter dem Rektor David Wendeker (seit 1699) die öffentliche Schule auf eine Zeit lang in Verfall gerieth, that sich eine Nebenschule für Knaben auf. Franck erzählt bei Gelegenheit der Visitation von 1705/6: „Als man an dem Rectore Wendeker bemerckte, daß Er nur schlechte Gaben zur Information hätte; auch in seinen Stunden es so unordentlich zuging, daß sich mancher Knabe mehr an Ihn versündigte, als von Ihm lernte: so hatte mancher Vater Bedenken sein Kind zur öffentlichen Schule anzuhalten. Nun fand sich der Zeit hier ein Notarius, nahmens Friedrich Ebel, (in einer Eingabe an den Herzog unterzeichnete er „theologiae cultor“) welcher eine Winckel-Schule anlegte und vielen Zugang hatte. Der Superintendens suchte zwar dieselbe zu stören; brachte es auch, durch seine Ermahnung an die Bürgerschafft, dahin, daß sich alle Kinder wieder zur öffentlichen Schule verfügten; daher ihre Anzahl, bey vorgewesener Visitation, auf 58 angestiegen. Er hatte oder nicht so bald den Rücken gewandt, so ging Ebels Schule wieder an. Rector und Cantor hielten also für nöthig, solches dem Hochfürstl. Consistorio zu denuntiiren.“ In ihrer Beschwerdeschrift klagen sie: „wie groß Unrecht jetzund unserer Schulen geschieht, da sie doch in solchem guten Zustande, alß eine solche Schule seyn kan, daß sie mit der Zeit würde gäntzlich ruiniret werden. Denn es hat sich ein allhie wohnhaffter Bürger, nahmentlich Ebel, erkühnet, ohne hochfürstl. Permission in seinem Hause eine Schule anzulegen, und locket uns ein Kind nach dem andern aus der Schule, indem Er die Eltern darum bittet, sie mögen Ihm doch ihre Kinder in die Schule schicken, daher es denn geschieht, daß sie hauffenweise zu ihm gehen, und unsere Stadt-Schule von unverständigen Eltern verachtet wird, wiewohl alle kluge Leute das judicium von dem Schulhaltenden Bürger fällen, daß er nicht capabel ein Kind recht ex fundamento zu informiren. Wieviel Böses nun dieses nach sich ziehet, geben Ew. hochfürstlichen Durchlaucht in tieffster Unterthänigkeit wir zu bedencken. Denn da die Knaben, die in die Stadt-Schule gehen, dazu von uns angehalten werden, daß sie fleißig zur Kirche kommen, und aus einer jeden Predigt die nöthigen Sprüche in ihrer Bibel annotiren, und in der Schule recitiren, da sind einer solchen hochnöthigen und nützlichen Uebung die Knaben beraubet, die zu Ebel in die Schule gehen, indem sie gar nicht zur Kirchen kommen, zumahln viele Eltern so verkehrt sind, daß sie die Knaben eben darüm zu Ebeln schicken, damit sie am Sontage gehen können, wo sie wollen, und am Montage nicht zu reden gestellet werden, wo sie gewesen und wie sie den Sontag hingebracht. Hieneben werden auch die Knaben, welche zu dem offtgenannten Bürger gehen, nicht mit Ernst von allem Muthwillen, Unbändigkeit, Eigen Sinn, Faulhheit und anderen Lastern abgehalten, damit sie desto williger seyn, bey ihm in die Schule zu gehen, und kein Verlangen haben, zur rechtmäßigen Schulen zu eilen, darinnen die Knaben mit billigen und verantwortlichen Eiffer von aller Boßheit abgezogen, und in allen nöthigen Dingen unterrichtet werden.“

Es erging darauf nachstehende fürstliche Verordnung:

Von Gottes Gnaden Friedrich Wilhelm
Hertzog zu Mecklenburg u. s. w.


Nachdem wir mißfällig vernehmen, daß ohne unseres Ehrn Superintendentis Einwilligung, wie auch ohne Ihres Ehrn Senioris und Pastoris vorhergegangene untersuchung, Sich viele 38) Neben-Schuelmeister hervorthun, welche daß Sie zur unterweisung tüchtig, kein genugsahmes Zeugniß haben, und dazu über das sonst gnädigst concedirte 6jährige Alter die Kinder an sich ziehen, dadurch aber der von unß bestätigten ordentlichen Schule allerley abbruch thun; Und wir dann solches also ferner zuzustaten nicht gemeinet: Alß wollen wir hiemit einen leglichen derselben, so Ihnen dergleichen Schulen anmaßen, gnädigsten ernstes erinnert, und befehliget haben, Ihre Neben-Schulen von Knaben und Mädchen, soforth niederzulegen, und die Kinder zur ordentlichen Schule zu verweisen, auch ohne vorgegangenes examen Unsers Ehrn Senioris und Pastoris, keine Schule wieder anzuheben, und, dafern Ihnen solche auß dringender Noht zugestatet würde, sollen Sie befuget seyn, deßhalb ein schrifftliches Attestatum Ihres Ehrn Senioris und Pastoris zu nehmen, und gleichwohl über 6 Jahr alte Kinder nicht zu Ihrer Schule zu ziehen: wiedrigenfalß Sie nach dieser gnädigsten Verwarnung für Unserm geistlichen Gericht ernstlich angesehen werden sollen. Darnach Sich ein jeder zurichten. Gegeben in Rostock unter Unserm Conistorii-Insiegel d. 10. Junii 1706.
Allein diese Verfügung ist absolut wirkungslos geblieben. Franck bemerkt trocken: „Indessen konnte doch, so lang der Fehler bey der öffentlichen Schule nicht gehoben ward, diese Winckel-Schule nicht gestöret werden. Daher Sie biß 1714 blieb.“ 39)




38) Dies bezieht sich wohl mit auf die oben erwähnten Mädchen-Nebenschulen.
39) „Es war sonst an gedachtem Ebel merkwürdig, daß Er alle sieben Jahr, in den Hudnes-Tagen, vom Verstand kam; da Er gantz unverschämt dreist (sonst aber fast zu blöde) war, und immer Latein reden wolte, so Ihm doch nur schlecht von staten ging. Endlich kam Er gar vom Verstande, lieff, zum Gespött der Jugend, im Lande herüm, biß er starb.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Sternberger Schulwesens