Abschnitt 3

Die nachreformatorische Zeit bis zur Aufhebung des Cantorats 1758

Die Oberleitung der Schule.


Dagegen verblieb den Predigern auch ferner noch das Denominations- (Vorschlags-) Recht. Nur ausnahmsweise geschah es einmal, im Jahre 1699, bei Erledigung des Rektorats, daß der Superintendent Grünenberg von sich aus, ohne Mitwirkung der Prediger, einen ihm anderweitig empfohlenen Mann bei der Regierung in Vorschlag brachte und nach erfolgter Genehmigung vocirte. Die Regel war, daß die Pastoren die Initiative hatten, und ihr Vorschlag, wenn das Examen befriedigend ausfiel, vom Superintendenten bezw. von der Regierung acceptirt wurde. Auf diese Weise ist auch noch der vorletzte Rektor dieser Periode, David Franck, im Jahre 1713 in’s Amt gekommen. Derselbe meldete sich zu dem erledigten Rektorat schriftlich bei dem Präpositus Sukow, kam auf dessen Aufforderung herüber, stellte sich persönlich den beiden Predigern vor, worauf dieselben ihn bei dem Herzog Carl Leopold in folgender Weise in Vorschlag brachten: „Ew. Hochfürstl. Durchl. wollen den Studiosum Theologiae David Francken - - - zu der entledigten Rectorat-Stelle gnädigst wiederum vociren, auch zu seinem Examine und Investitur bey dem Herrn Superintendente, Doctore Krakewitzen, gnädigste Verfügung machen.“ Und so geschah es.


Aber es nahte die Zeit, wo die Besetzung der Lehrerstellen mit Uebergehung der Prediger sowohl als des Superintendenten lediglich vom Herzoge bezw. von dessen Regierung ausging. Ein Vorspiel davon ereignete sich schon im Jahre 1711. Das erledigte Cantorat erstrebte ein zu Schwerin in dürftigen Verhältnissen lebender Privatlehrer Mundt, welcher den Canzler von Unverfährt zum Gönner hatte. Er stellte sich den Predigern vor mit einem Empfehlungsschreiben aus Schwerin, worin denselben zu verstehen gegeben wurde, daß mit seiner Berufung dem Canzler ein Gefallen geschehe. Durch besondere Umstände verzögerte es sich mit der Berichterstattung der Prediger. Da erfolgte ohne Weiteres seitens der Regierung ein Mandat an den Superintendenten, ihn sofort zu installiren, wie auch an die Prediger, dahin zu sehen, daß er gebührend introducirt werde. Der Superintendent remonstrirte dagegen, aber vergeblich; worauf er rund heraus erklärte, daß er nicht in der Lage sei, ihn zu introduciren. Es wurde darauf der Präpositus Sukow regierungsseitig mit der Einführung beauftragt.

Noch weniger Umstände machte die Regierung bei der Berufung des Nachfolgers von David Franck, des Rektors Plötz, im Jahre 1722. Derselbe hielt sich zu Dömitz, dem Sitz der Regierung Carl Leopolds, auf, „woselbst Er einiger Herrn Rähte Kinder informirte, die Ihm auch zu diesem Dienst nach Sternberg verholffen“. Als der Präpositus Susemihl nach Dömitz kam, um persönlich wegen eines neuen Rektors Vorstellung zu thun, erfuhr er, daß ein solcher schon ernannt war.

Doch waren dies nur Ausnahmen, und als in letzterwähntem Falle Susemihl zugleich im Namen seines Collegen „die unterthänigste Fürstellung that, daß bisher diejenige, so Schul-Dienste ambiret, auf der Prediger Vorschlag, von denen Landes-Fürsten die vocation erhalten, und daneben bat, bei gegenwertigem Casu nichts praejudicirliches zu verhängen“, so wurde darauf „gnädigst decretiret: daß wie die Einsetzung und Bestellung des neuen Rectoris daselbst diesesmahl schlechterdings in vigore verbleibet: also zukünfftig, bey sich wieder eräugender Vacance, auf Euren tempestive einzubringenden ohnmaßgeblichen Vorschlag nach Befinden gnädigst reflectiret werden solle“.

Noch galt also das Prinzip, daß in erster Linie die Prediger Recht und Pflicht hätten, für die Besetzung der Lehrerstellen zu sorgen.

Ueberhaupt trugen die Prediger durchaus die Verantwortung für das Gedeihen der Schule, und sie hielten sich befugt und verpflichtet, von sich aus, ohne höhere Ermächtigung nachzusuchen, dasjenige anzuordnen, was sie für angezeigt hielten. Zwei Fälle mögen erwähnt werden.

Durch die Visitation von 1572 war angeordnet, daß jeder der beiden Lehrer als Jahrgehalt 52 Mk. 8 ß. aus der Oekonomie erhalten solle, und beide zusammen noch 15 Mk. Holzgeld für die Schule. Die Prediger, nach eignem Ermessen, trafen 1615 die Bestimmung, daß das Jahrgehalt auf 60 Mk. für jeden, das Holzgeld auf 22 Mk. 8 ß. erhöht werde. Der Oekonomus verfuhr demgemäß. Das Visitationsprotokoll von 1623 vermerkte dies, mißbilligte zwar die Eigenmächtigkeit der Prediger, empfahl aber dem Herzog in Anbetracht der herrschenden Theurung, das Geschehene nachträglich zu genehmigen. Eine Genehmigung ist nicht erfolgt, aber ebenso wenig eine Aufhebung. Und so blieb es bei dem, was die Prediger verfügt hatten.

Ein anderer Fall. In dem für Sternberg so verhängnißvollen Kriegs- und Pestjahr 1638 waren beide Prediger und der Cantor verstorben. Es blieb nur der Rektor Michael Rhodius als einziger Lehrer, und erst 1640 ward wieder ein Pastor berufen, Johann Schwabe, zunächst als einziger Prediger. Nun aber wurde 1641 der Rektor Rhobius als Cantor nach Schwerin berufen; ein Nachfolger war nicht sogleich zu finden. Da hat nun Pastor Schwabe sich befugt und verpflichtet gehalten, neben seinem Pfarramt die Schule ganz auf eigne Verantwortung zu leiten. Er bemühte sich, wenigstens Einen Lehrer wieder zu gewinnen; aber vergeblich: „wegen der großen Verderbung des Ortes“ wollte Niemand das Amt übernehmen. Da entschloß sich Schwabe, „die vices cantoris et praeceptoris“ selbst zu übernehmen und als Gehülfen einen jungen Mann aus der Stadt zu engagiren. Dies Verhältniß bestand über 1 1/2 Jahre, bis es ihm endlich 1643 gelang, einen Mann zu finden, welchen er dem Herzog zum Rektorat denominiren konnte. -

Selbstverständlich hatten die Prediger auch die Controle über den Unterricht in der Schule. Doch finde ich nicht, daß sie die Inspection in der Weise geübt haben, daß sie regelmäßig von Zeit zu Zeit dem Unterricht der Lehrer selbst beiwohnten. Es scheint, daß die Lehrer in weitestgehendem Maße Freiheit 23) hatten, nach eignem Ermessen den Unterricht zu halten. Als David Franck Rektor wurde, führte er hinsichtlich der Methode und der Lehrbücher mehrfache eingreifende Neuerungen ein: - indem er davon berichtet, erwähnt er wohl, daß er darüber mit seinem Collegen, dem Cantor, sich ins Einvernehmen gesetzt und dessen volle Zustimmung gefunden habe, aber nichts davon, daß die Prediger sich darüber geäußert hätten. Die Prediger übten ihre Inspection mittels der öffentlichen Examina, welche sie selbst mit der Schuljugend abhielten. Diese Examina finde ich zuerst im Jahre 1609 erwähnt, ohne Angabe, wie oft sie gehalten wurden, vermuthlich jährlich einmal. Bei Gelegenheit der Visitation von 1705 wurde verordnet, daß zweimal im Jahre, nämlich „Montags nach Quasimodogeniti und nach Michaelis“ Examen gehalten werden solle. Doch haben freilich auch sonst die Prediger, wenn es sich vernothwendigte, persönlich die Schule besucht und namentlich in Disciplinsachen zur Stärkung der Autorität der Lehrer eingegriffen. So berichtet Franck, daß zur Zeit des Rektors David Wendeker (1699-1713), welcher durchaus unfähig war, Disciplin zu halten, „die Prediger, sonderlich der Pastor Stephan Susemihl, als ein eyvriger Befoderer guter Schul-Ordnung, Ihm vielfältig zu Hülffe kamen, die Schule öffters besuchten und die Freveler abstraffen liessen“. -

Was die Betheiligung des Magistrats am Schulwesen betrifft, so blieb es auch nach der oben erwähnten Verordnung von 1614 bei der alten Observanz, daß der Magistrat zu den öffentlichen Schulakten, als Lehrereinführung und Schulprüfung, mit zugezogen wurde. Als letzteres eine Zeit lang - seit wann, ersehe ich nicht - in Abgang gerathen war, beantragte der Magistrat bei der Visitation von 1705: „daß E. Raht nach vormaligem Gebrauch zum Examen der Schule möge mit zugezogen werden“; worauf entschieden wurde: ??Ist billig und soll allemahl beobachtet werden.“ Gleichzeitig versuchte der Magistrat auch, ein vermeintlich früher besessenes Recht der Mitwirkung bei Besetzung der Lehrerstellen zu erlangen, indem er beantragte: „daß das jus praesentandi Collegas Scholae, so E. Raht nebst den Hh. Predigern vorhin gehabt, möge wieder beigeleget werden.“ Doch vergeblich! Die Visitations-Commission entschied: „Weil in Visitat. Protocollo de ao. 653 ausdrücklich zu finden, das das jus vocandi an Sermi. Stelle dem Superintendenti zukomme, keiner praesentation aber von seiten E. E. Rahts vel verbulo Meldung geschiehet, als bleibts bey Vorigem.“




23) Solche observanzmäßige Freiheit wurde unter Umständen als Recht geltend gemacht. So berichtet Franck zum Jahre 1722 von seinem Nachfolger, dem Rektor Plötz, welcher große Unordnung in der Schule einreißen ließ „Erinnerten Ihn die Prediger deßwegen, so sagte Er: Ich laß die Jura Rectoris nicht kräncken.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Sternberger Schulwesens