Abschnitt 1

Die nachreformatorische Zeit bis zur Aufhebung des Cantorats 1758

Die Oberleitung der Schule.


Dies ist die Zeit, während welcher das vorhin dargelegte Ziel und Ideal, wie es durch die Reformation hingestellt war, für die hiesige Schule in unerschütterter Geltung gestanden hat. Nicht als ob die Sternberger Schule während dieser ganzen Zeit auf der Höhe und in Blüthe gestanden hätte; vielmehr treten mehrfach kürzere oder längere Perioden ein, während welcher sie ihre eigentliche Aufgabe auch nicht annähernd erfüllt hat. Aber solche Zeiten empfand man als Zeiten des Verfalls, wie sie denn auch durch schlimme Zeitverhältnisse oder durch Untauglichkeit der Lehrer bedingt waren. Wenn nur die Umstände einigermaßen günstig und die Lehrer einigermaßen tüchtig waren, so stand auch sofort die Schule wieder als Unter-Gymnasium da. Ja, unter einem Rektor wie David Franck konnte sie ihre Schüler zum Theil unmittelbar zur Universität entlassen. Die Unterweisung der Nichtlateiner, welche wenigstens seit Mitte des 17. Jahrh. die große Mehrzahl bildeten, ist doch während dieser ganzen Zeit Nebensache geblieben, und erst gegen Ende dieser Periode machen sich Bestrebungen geltend, welche dahin zielen, diese Nebensache zur Hauptsache zu machen und den ganzen Charakter der Schule umzuwandeln.


Der Uebersichtlichkeit wegen theile ich den Stoff in verschiedene Unterabschnitte.

1) Die Oberleitung der Schule.


In meiner „Geschichte der Sternberger Hospitalien“ habe ich darauf aufmerksam gemacht, wie am Anfang des 17. Jahrhunderts die Oberleitung der Hospitäler, welche zuvor lediglich der Lokalbehörde, nämlich dem Magistrat, zugestanden hatte, in die Gewalt des Fürsten überging. Ein ähnlicher Vorgang vollzieht sich um dieselbe Zeit auf dem Gebiete des Schulwesens.

Wie oben gezeigt, war auch nach der Reformation die Oberleitung des Schulwesens im weitesten Umfange, mit Einschluß der Berufung und Anstellung der Lehrer, ganz in den Händen der Sternberger Geistlichen. Ergänzend ist nur noch zu bemerken, daß der Sternberger Magistrat einen gewissen Antheil daran hatte, sofern derselbe bei der Introduktion eines neuen Lehrers, sowie bei Abhaltung eines Schulexamens auf Einladung der Pastoren gegenwärtig war. 21) Eine Einwirkung der fürstlichen Gewalt war bis dahin nur insoweit erfolgt, als bei der Kirchenvisitation von 1572 die herzoglichen Visitatoren auch den Zustand der Schule untersucht, die Besoldung der Lehrer aus der Oekonomie festgestellt und die Lehrer im Allgemeinen zu treuer Ausrichtung ihres Amtes ermahnt hatten. Im Uebrigen blieb es auch nach dieser Visitation dabei, daß Veränderungen bei der Schule ohne Mitwirkung höherer Behörden lediglich durch die Pastoren getroffen wurden. So war es denn auch bei der schon erwähnten Absetzung des Cantors Polchow im Jahre 1609 geschehen. Nachdem die Pastoren Bernhard Caloander und Michael Gutzmer, in Uebereinstimmung mit dem Magistrat, zu der Ueberzeugung gelangt waren, daß im Interesse der Schule Polchow nicht länger im Amte bleiben dürfe, hatten sie, nach vorgängiger mehrmaliger öffentlicher Verwarnung in der Kirche, ihm ohne Weiteres angezeigt, daß er zu Ostern seines Dienstes entlassen sei, und waren sofort mit einem andern, Johann Mester zu Parchim, Sohn des Predigers Daniel Mester zu Witzin, wegen Uebernahme des Cantorats in Verhandlung getreten, welcher denn auch alsbald zu diesem Zwecke sich in Sternberg einfand. Inzwischen aber hatte Polchow beim Herzog Carl in Güstrow Beschwerde eingereicht. Die Pastoren, zum Bericht erfordert, legten die Gründe dar, weshalb Polchow unmöglich länger im Amte hätte belassen werden können, beriefen sich auf das Herkommen und meinten damit gerechtfertigt zu sein. In der That mußte der hierauf zum Bericht erforderte Superintendent D. Jakobus Colerus zu Güstrow bekennen, daß ihm von den Sternberger Schulsachen nichts bewußt sei, da während der zehn Jahre seiner Amtsführung die Sternberger ihn nie gefragt hätten; es habe den Anschein, als ob die Sternberger sich dünkten Reichsstädter zu sein; wer ihnen denn das Recht gegeben habe, die Schuldiener ohne Zustimmung des Superintendenten zu ernennen und zu bestätigen? Darauf erging seitens der herzoglichen Regierung an die Pastoren in Ausdrücken der Mißbilligung über ihre Eigenmächtigkeit der Befehl bis auf Weiteres den neuberufenen Cantor nicht zu introduciren.

Aber die Pastoren gaben ihre Sache noch nicht verloren. Gemeinsam richteten sie eine Eingabe an den Herzog, und privatim wendete sich Gutzmer, welcher die Führung hatte, mündlich und schriftlich an die Hofräthe Christof vom Hagen und Jochim von Oldenborch. Wie schon oben erwähnt, suchten sie durch Berufung auf Zeugen darzuthun, daß es „von undencklichen Jahren her, solange zum Sterneberge Schole gehalten worden, alhie gebreuchlich gewesen“ sei, daß die Geistlichen für sich allein die Schuldiener bestellten. Selbstverständlich hätten sie dies nicht propria auctoritate gethan, sondern nur nomine et loco illustrissimi principis, und das fürstliche Patronatsrecht gedächten sie in keiner Weise anzutasten. Aber gegen die Unterstellung unter den Superintendenten wehrten sie sich ganz entschieden. Wenn es den Superintendenten frei stände, Lehrer zu obtrudiren, so würde „groß Unheil daraus folgen“. Die Gemeinde würde weniger willig sein, die Lehrer - insbesondere mit Freitischen - zu unterstützen. Sie selbst, die Pastoren, scheuten sich nicht, gewissermaßen damit zu drohen, daß sie dann der Schule die Stütze ihrer Autorität der Gemeinde gegenüber entziehen würden, vielleicht auch nebst andern sich veranlaßt sehen würden, für ihre Kinder „privatos praeceptores zu halten“.

Noch ein anderes Moment spielte mit hinein. Den ersten Bericht der Pastoren an den Herzog hatte der Magistrat mit unterschrieben, vermuthlich auf Veranlassung der Pastoren, welche hoffen mochten, damit ihrer Vorstellung größeres Gewicht zu verschaffen. Es scheint aber, daß im Gegentheil grade diese Mitbetheiligung des Magistrats dem auf seine landesherrlichen Rechte bedachten Herzog besondern Anstoß gegeben. Die Pastoren bemühten sich nun darzuthun, daß der Magistrat nur als Mitkläger gegen den Cantor unterzeichnet habe, daß im Uebrigen ihm keinerlei Patronatsrechte an der Schule zuständen, noch auch je von den Predigern eingeräumt worden seien, daß auch sie, die Pastoren, wenn sie ihr Oberaufsichtsrecht über die Schule ungeschmälert zu behaupten suchten, dabei zuoberst dies im Auge hätten, das fürstliche Patronatsrecht zu vertheidigen.




21) Im Jahre 1609, bei Gelegenheit der sofort zu erwähnenden Untersuchung der Angelegenheit des Cantors Polchow, ließ die herzogliche Commission auch die Viertelsmänner als Vertreter der Bürgerschaft vortreten, um ihr Zeugniß abzugeben darüber, wem die Oberleitung der Schule zustehe. Die Viertelsmänner gaben zu Protokoll: „Wir haben die Prediger unbt E. E. Rath als Inspectoren unsrer Scholen.“ In der Bürgerschaft also sah man die Sache so an, als ob die Schulinspection neben den Predigern auch dem Magistrate zustehe. Es ist das nach Obigem eine irrthümliche Auffassung, welche sich aber daraus erklärt, daß bei denjenigen Schulakten, welche in die Oeffentlichkeit fielen, der Lehrereinführung und der Schulprüfung, der Magistrat gegenwärtig war.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Sternberger Schulwesens