Abschnitt 6

Die nachreformatorische Zeit bis zur Aufhebung des Cantorats 1758

Das Amt.


Weiter war durch diese Neuerungen bedingt, daß die frühere scharfe Scheidung zwischen Deutschen und Lateinern in’s Wanken gerieth. Früher waren diese beiden Abtheilungen, obwohl in einem Raume vereinigt, doch beim Unterrichten scharf gesondert und auch getrennt von einander placiert. Die Abtheilung der Deutschen umfaßte die „Kleinen“, und Größere fanden sich nur in der Abtheilung der Lateiner. Jetzt umfaßte erstere Kleine und Große, und an mehreren Unterrichtsgegenständen waren beide Abtheilungen unterschiedslos betheiligt. Nichtsdestoweniger hat man die Scheidung noch lange aufrecht erhalten, und als unter Franck die Lateinschule so mächtig wieder aufblühte, hatte man allen Grund dazu. Aber sobald diese nur durch Francks Persönlichkeit getragene Blüthe wieder dahin war, fiel die bisherige Sonderung weg. Sein Nachfolger Plötz hat sie einfach aufgehoben. Franck berichtet darüber mit dem Ausdruck scharfer Mißbilligung: „Er fing bald an, alle gute Ordnung über den Haufen zu werfen. In der Schule waren vor dem zwey Classen, eine für die Lateinische, die andere für die deutsche Schüler; aber er warff beyde unter einander, setzte auch die Schüler nicht nach ihren profectibus, und die zusammen, welche einerley Lectiones trieben, sondern nach ihrer Größe, oder auch nach seinem Eigendünkel. Erinnerten Ihn die Prediger deßwegen, so sagte Er: Ich laß die Jura Rectoris nicht kränken.“ Unter der Voraussetzung, von welcher Franck ausging, daß die Schule eigentlich Lateinschule sein sollte, war ja in der That diese Neuerung unerträglich. Wenn nun aber thatsächlich, wie es eben unter seinem Nachfolger alsbald wieder sich herausstellte, die Schule ihren bisherigen Charakter nicht behaupten konnte, sondern das Latein der Sache nach Privatsache weniger geworden war, so war andrerseits die Trennung beider Abtheilungen unhaltbar.


Dagegen bahnte sich nun eine andre Scheidung an, nämlich die zwischen Rektorschule und Cantorschule. Bisher waren Rektor und Cantor an dem Unterricht der gesammten Kinderschaar fast ganz gleichmäßig betheiligt. Abgesehen davon, daß der Cantor den Gesangunterricht allein für sich hatte, unterrichteten in den öffentlichen Lektionen beide Lehrer sämmtliche Schüler in sämmtlichen Fächern; und der Privatunterricht, in welchem jeder seine besondere Abtheilung hatte, war insofern Nebensache, als er nur bestimmt war, in dem hauptsächlichsten Lehrgegenstande der öffentlichen Lektionen, nämlich im Latein, noch weiter zu fördern. Seitdem nun aber ein Cantor den Rechnenunterricht als Hauptfach seiner Privatstunden eingeführt hatte, und es herkömmlich wurde, daß die Cantoren denselben ertheilten, fiel naturgemäß die private Förderung im Latein den Rektoren zu. Und eben dieser von jedem gesondert ertheilte Privatunterricht wurde nun die Hauptsache, neben welcher die gemeinsame Unterweisung in Religion, Lesen und Schreiben in den Hintergrund trat. Einen Blick in diese Zustände eröffnet die oben (S. 34) mitgetheilte Aeußerung Francks über seinen Nachfolger Plötz: derselbe habe im Lateinunterricht zwar nicht Bedeutendes, aber doch immerhin noch Ziemliches geleistet, „dagegen aber fing er auch bald an, die andern alle zu versäumen.“ Er konnte doch nicht vergessen, daß er eigentlich für gelehrten Unterricht da war; und da nun diesem in den öffentlichen Stunden nicht mehr sein Recht geschehen konnte, so concentrierte er seine Kraft auf die private Unterweisung; ebenso wie der Cantor seinerseits seine Kraft auf den privaten Rechnenunterricht zu concentrieren veranlaßt war, mit welchem er ja einem entschiedenen Bedürfniß genügen und sein Einkommen wesentlich verbessern konnte. So war innerlich die Scheidung angebahnt, die dann infolge des Brandes von 1741 auch äußerlich perfekt wurde (vgl. S. 48, 51): die bisher einheitliche öffentliche Schule zerfiel in zwei Schulen, die fast den Charakter von Privatschulen trugen.

Die Knaben vertheilten sich nunmehr auf die beiden Lehrer nach Belieben der Eltern. so berichtet Franck. Und darnach also war nicht ausgeschlossen, daß nun jede der beiden Schulen, sowohl Kleine als Große, sowohl Lateiner als Deutsche umfaßte, so wie bisher die einheitliche Schule. War die Aufgabe, diese alle gemeinschaftlich zu unterrichten, schon für zwei Lehrkräfte eigentlich unlösbar, so mußte sie nunmehr vollends unerträglich werden. Es scheint denn auch bald dahin gekommen zu sein, daß, während dem Rektor mehr die größeren zugeschickt wurden, insbesondere diejenigen, welche Latein lernen sollten, der Cantor mehr der Lehrer für die kleineren Knaben wurde. Ich schließe dies daraus, daß, wie aus der oben (S. 51) mitgetheilten Bemerkung zum Jahre 1747 erhellt, der Cantor keinen Anstand nahm, die von seiner Frau bisher geleitete Mädchenschule mit seiner eigenen Knabenschule zu vereinigen, so daß nun das bisher Unerhörte dastand:

beide Geschlechter in Einer Schule vereint! Und da der Cantor „fast immer besoffen“ war, so ertheilte den Unterricht an derselben - die Frau Cantorin.

Hiemit erscheint die bisherige innere Einrichtung der Sternberger Schule auf dem Punkt fast völliger Auflösung und Verwirrung angelangt, aus welcher die nächste Periode ein Neues herauszubilden hatte. Bevor wir jedoch dazu übergehen, sind noch in Kürze zu behandeln

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Sternberger Schulwesens