Abschnitt 5

Die nachreformatorische Zeit bis zur Aufhebung des Cantorats 1758

Das Amt.


Hiezu finde ich ein interessantes Factum bei Franck verzeichnet. Er erzählt zum Jahre 1681: „Bißher hatte man noch nicht so weit, nach dem Brande (von 1659) kommen können, daß man eine eigene Bibel auf der Schule gehabt hätte. Nun aber ließ der Senior (Sukow) Ao. 1681 den 27. Juni einen Zettul in der Stadt herümgehen, darinn Er und sein Collega, der Pastor Paulus Frick, den ersten Beytrag thaten, und darauf andere wohlhabende mit ansprechen liessen, üm so viel zusammen zu bringen, daß dafür eine Bibel auf der Schule anzuschaffen. Es kam auch alsbald wohl dreymahl so viel zusammen, als nöthig that. Denn die Bürgerschafft hatte eine allgemeine Liebe für diesen Rectorem (Sartorius), deßgleichen auch für seinen neuen Ambts-Genossen (Petri).“ Also so theuer waren damals noch die Bibeln, daß die Schule aus Mangel an Mitteln 22 Jahre lang auf Ersatz für die verbrannte Bibel warten mußte! Nun ist gewiß nicht anzunehmen, daß in dieser Zeit überhaupt nicht aus der Bibel unterrichtet worden ist; sondern einer der Lehrer oder der Pastoren wird seine Bibel zum Schulgebrauch hergegeben haben. Aber daran also ist nicht zu denken, daß die Schüler ihrerseits Bibeln in Händen gehabt haben. Sondern die Schriftunterweisung wird sich darauf beschränkt haben, daß einzelne Sprüche aus der vorhandenen einzigen Bibel vorgelesen, nachgeschrieben und eingeprägt wurden.


Erst um 1700 ist dies anders geworden. Von dem Cantor Selschap (1699-1711) berichtet Franck (zum Jahre 1706), er habe die Knaben angehalten, „des Sonntags fleissig zur Kirche zu kommen, daselbst aus jeder Predigt die vomehmsten Sprüche, in den mitgebrachten Bibeln, zu bemercken und am folgenden Montage, in der Schule, zu recitiren; wie denn dieser Ruhm dem Cantori Selschap bleiben muß, den Ihm auch der Senior oder Praepositus Sukow pflegte beyzulegen, daß er zuerst den Sternbergischen Kindern die Bibel hätte in Händen gebracht.“ In Sternberg also haben nach der Reformation noch fast 200 Jahre vergehen müssen, ehe die Bibel in wirklich fruchtbringender Weise Schulbuch geworden ist!

Damit war nun auch die Möglichkeit gegeben, einen ausgiebigen Unterricht in der biblischen Geschichte in die Schule einzuführen. Wann dies zuerst geschehen ist, finde ich nicht. Franck erwähnt von seinem Nachfolger, dem Rektor Plötz (seit 1722) rühmend: „Die biblischen Geschichten brachte er der Jugend wohl bey;“ aber diese Fassung läßt erkennen, daß dieselben damals schon herkömmlich Unterrichtsgegenstand waren. Vielleicht datiert auch dies von dem Cantorate Selschaps, welchem überhaupt der Umschwung zur Neugestaltung der Schule vornämlich zuzuschreiben ist.

Denn auch in Bezug auf den Rechnenunterricht ist Selschap der erste gewesen, welcher ihm an hiesiger Schule Aufnahme bereitet hat. Wie die revidierte Kirchenordnung, so enthält auch der Sternberger Lektionsplan von 1653 noch keine Spur vom Rechnen 37), und von Selschap selbst bezeugt Franck (s. oben S. 39), daß er „in seiner Jugend nicht hatte Rechnen gelernet.“ Also noch am Ende des 17. Jahrhunderts fragte man bei der Anstellung eines Lehrers überhaupt nicht darnach, ob er rechnen könne! Daß nun Selschap es auf sich nahm, als schon im Amte Stehender sich noch erst im Rechnen unterweisen zu lassen, that er deshalb, weil er „wohl merkte, daß es hier darauf am meisten ankäme.“ Also aus der Bürgerschaft heraus hat sich das entschiedene Verlangen darnach geltend gemacht; und es scheint, daß die zu Anfang des 18. Jahrhunderts eröffnete Winkelschule des Notarius Ebel, von welcher weiterhin noch zu sagen ist, eben darum so große Anziehungskraft besaß, weil Ebel in der Lage war, diesem Verlangen zu entsprechen. Genug, die Verhältnisse forderten gebieterisch, daß die öffentliche Schule diesem neuen Unterrichtsgegenstand Raum gebe, wie denn das V.-P. von 1705 auch das Rechnen mit aufführt. Dies ist nun aber doch nicht so geschehen, daß derselbe etwa durch Beschluß der betheiligten Behörden unter die Unterrichtsgegenstände aufgenommen wäre, und ihm etliche von den öffentlichen Schulstunden eingeräumt wären. Sondern die Einführung war Privatunternehmen eines Lehrers, der sich damit „viel Liebe und eine Menge Privatisten - also auch ein gutes Nebeneinkommen - erwarb.“ Doch erschien der Rechnenunterricht jetzt schon als etwas so Nothwendiges, daß die Prediger nicht unterließen, den Nachfolger Selschaps, Cantor Mundt, welcher auf unregelmäßige Weise absque ullo examine berufen war, bei seinem Antritt zu fragen, „ob Er in der Sing- und Rechen-Kunst informiren könne; worauf Er mit einem dreisten Ja! geantwortet.“ Als sich hinterdrein herausstellte, daß das nicht wahr war, und die Bürgerschaft sich über ihn u. a. auch deshalb beschwerte (vgl. S. 40), „daß der Cantor die Rechen-Kunst nicht verstehet, da doch die Bürger an diesem Ort darauff am meisten reflectiren, daß Ihre Kinder im Rechnen und Schreiben mögen informiret werden“, so nahm der im Jahre 1713 mit Vernehmung Mundts beauftragte Superintendent auch diesen Punkt vor. Das Vernehmungsprotokoll besagt: „Der Cantor behauptet, er sei in der Arithmetik so fertig, daß die Kinder wenigstens die 4 Species verstünden; er seinerseits wolle auch ein Exempel in den Brüchen und der Regula de tri rechnen. Der Herr Commissarius wollte ihm ein Exempel aufgeben; er hat Ausflüchte gesucht und schließlich erklärt, er verstehe darin doch nicht genug.“ Von da an darf es wohl als selbstverständlich gelten, daß wenigstens kein Cantor mehr berufen wurde, der nicht auch im Rechnen unterrichten konnte; wie denn der Cantor Kapherr 1717 zur Antrittsrede ein auf die mathematischen Wissenschaften bezügliches Thema wählte. Doch galt der Rechnenunterricht auch ferner noch als eine außerordentliche Leistung der Schule, für welche besonders bezahlt werden mußte, und womit der Cantor sich einen hübschen Privatverdienst verschaffen konnte (vgl. S. 59).

Der Unterricht nun in der biblischen Geschichte, im Bibellesen und im Rechnen wurde ja ohne Zweifel nicht in lateinischer Sprache ertheilt; andrerseits ist doch auch nicht denkbar, daß die Lateiner davon sollten ausgeschlossen gewesen sein. Es wurde also durch die Aufnahme dieser Unterrichtsgegenstände nicht nur einerseits der Unterricht der Nichtlateiner erweitert, sondern andrerseits nothwendig das Latein eingeschränkt. Die alte, auf der Kirchenordnung basierte Lektionsordnung mußte wesentliche Aenderungen erleiden. Wie schon bemerkt, blieben dieselben der Initiative der Lehrer überlassen. Es konnte nicht fehlen, daß so der Unterrichtsplan in Unsicherheit und Schwanken gerieth. Das V.-P. von 1705 constatiert dies in den Worten: „Die Lectiones nehmen sie nach Wohlgefallen und dem Captu ihrer Discipulorum.“ Und obwohl als Visitator der Superintendent Grünenberg fungierte, von welchem Franck sagt, daß „er sich des Schul-Wesens sonderlich angelegen sein ließ, es auch aus dem Grunde verstand“, so hat er’s doch nicht etwa unternommen, unter Berücksichtigung der neuen Erfordernisse einen modificierten Lektionsplan aufzustellen. Es blieb den Lehrern auch ferner überlassen, sich nach den Verhältnissen einzurichten.




37) Dagegen ist z. B. an der Schule zu Gadebusch das Rechnen schon 1626 Unterrichtsgegenstand gewesen. Siehe Hane, Beytrag zur mecklenburgischen Schulgeschichte. Mecklenburgisches Journal 1806, S. 421 ff. - In Bützow um die Mitte des 17. Jahrhunderts: tam in prima quam secunda Classe quatuor species Arithmeticae proponuntur a Rectore. - Darnach muß man sagen, daß in Sternberg der Rechnenunterricht verhältnißmäßig außerordentlich spät Aufnahme gefunden hat.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Sternberger Schulwesens