Abschnitt 3

Die nachreformatorische Zeit bis zur Aufhebung des Cantorats 1758

Das Amt.


Allein es war dies nur eine vorübergehende Blüthe der Sternberger Schule, bedingt durch die damalige vorübergehende Anwesenheit des Hof- und Landgerichts. Bekanntlich war dasselbe schon 1622 nach Sternberg verlegt, hatte aber in der ersten seit seines Hierseins wenig zu bedeuten und wurde durch das Kriegs- und Pestjahr 1638 vertrieben. Aber 1651 wurde es mit gewissem Pomp und Glanz von neuem in Sternberg installirt (siehe Franck A. u. N. M. B. XIV., S. 35 ff.) und hat dann bis zu dem Stadtbrande 1659, also 8 Jahre lang hier florirt. Mehrere ständige Beisitzer, Sekretäre und Canzlisten nahmen Wohnung in Sternberg, womit selbstverständlich höhere Anforderungen an die Schule sich ergaben.


Das V.-P. von 1653 kann also für die Zeit vor 1651 und nach 1659 nicht beweisen.

Wie es vorher stand, ergiebt sich ungefähr aus einem früher (S. 22) erwähnten Bericht der Prediger an den Herzog vom Jahre 1633. Indem die Prediger dort gegen die Anordnung, daß der neu zu berufende Cantor zuvor vom Superintendenten examiniert werden solle, Gegenvorstellung thun, machen sie unter anderm geltend: es sei zu befürchten, daß der Superintendent, von den Bedürfnissen größerer Schulen ausgehend, bei Berufung der Lehrer zu hohe Anforderungen stellen und Persönlichkeiten wählen möchte, welche nicht in die bescheidenen Verhältnisse der Sternberger Schule hineinpaßten; denn die Aufgabe der hiesigen Lehrer erstrecke sich nicht weiter als dahin, die Kinder „in legendo, scribendo, declinando, conjugando, analysando et aliis scurrilibus exercitiis“ zu informiren. Damals also erreichte die Schule wohl kaum dasjenige, was die revidirte Kirchenordnung (Fol. 266 b ff.) dem „dritten Häufflein“ (secunda classis) zuweist.

Und was die Zeit nach 1659 betrifft, so sagt das V.-P. von 1705 ausdrücklich: „Nachdem das Hoff-Gericht hinweg gewesen, hat es sich nicht wenig in der Information gemindert.“

Immerhin fanden sich doch auch 1705 in der Schule etliche, welche es bis zur Anfertigung lateinischer Exercitien brachten. Und sobald wieder eine tüchtige Kraft wie David Franck zur Leitung der Schule berufen wurde, hob sich dieselbe sofort zum Range eines Gymnasiums, welches eine voll ausreichende Vorbildung zum unmittelbaren Eintritt in das Universitätsstudium gewähren und Schüler andrer Gymnasien, auch aus größeren Städten wie Schwerin und Wismar, zur Weiterbildung übernehmen konnte (siehe S. 33). Immer noch galt es als die eigentliche Aufgabe der Lehrer, möglichst viele ihrer Schüler, und zwar diese möglichst weit in der Latinität zu fördern; wie denn Franck es seinem Nachfolger Plötz zum Vorwurf macht, daß er, wiewohl es ihm an Fähigkeit nicht mangelte, durch Nachlässigkeit die Schule von der erreichten Höhe wieder habe herabsinken lassen und es in der ganzen langen Zeit seiner Wirksamkeit nicht dahin gebracht habe, mehr als einen einzigen Schüler zur Universität vorzubereiten. Wie sehr die Schule noch immer den Anspruch, eine Lateinschule zu sein, aufrecht erhielt, dafür ist bezeichnend, daß neu berufene Lehrer bei der Einführung ihre Antrittsreden öfter in lateinischer Sprache hielten (so Franck 1713, Kapherr 1717, Maculehn 1737).

Was die Methode betrifft des lateinischen Unterrichts und die dabei gebrauchten Lehrbücher, so entspricht die Darstellung des V.-P. von 1653 im Wesentlichen noch durchaus den Vorschriften der revidirten Kirchenordnung. Hauptlehrbücher neben den Grammatiken: Cato, colloquia Corderi, epist. Ciceronis, Terentius; die Methode, wie sie seit dem 16. Jahrhundert geherrscht hatte. 35) An der Sternberger Schule blieb sie herrschend bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts. Franck ist der erste gewesen, der sich von ihr emancipirt hat. Er schreibt davon im Anschluß an seine oben (S. 32) erwähnte Mittheilung über seine Erfolge im lateinischen Unterricht: „So viel hatten diese Schüler, welche vor anderthalb Jahren kaum fertig lesen können, bereits profitiret, ohne daß jemand unter Ihnen zum ängstlichen Außwendiglernen wäre angehalten worden, oder man die Jugend mit dem analysiren gemartert hätte. Denn der Rector hatte das principium, weil man erst eine Sache wissen müste, ehe man sie nach Reguln, die in Metaphysischen abstractionibus bestünden, beurtheilen könnte. Der Cantor fiel solchem Grund-Satz bey und trieben Sie anfänglich nur die lateinische Evangelia, welche Sie so lang vor exponirten, biß die Knaben Sie nachmachen konnten. Das decliniren und conjugiren ward nicht durch die paradigmata, worauf manches Kind Jahr und Tag lernet, sondern durch die typos, (wie auch die Königin Christina in Schweden unterwiesen worben) Ihnen durch Wiederhohlungen beygebracht, wozu Cellarii teutsche Grammatic gebraucht und auch aus solchem Buch, mit der Zeit durch bloses Ausschlagen und Herlesen, die Regeln zum analysiren bekannt gemacht wurden.“ Es war dies eine für jene Zeit bedeutsame und einschneidende Neuerung, von welcher denn auch fraglich sein dürfte, ob sie unter Francks Nachfolger bei Bestand geblieben ist.

Für den Religionsunterricht hatte die revidirte Kirchen-Ordnung - abgesehen von den den täglichen Unterricht eröffnenden Gebetsübungen - nur den Sonnabend, diesen aber ausschließlich bestimmt. Für Sternberg bezeugt das V.-P. von 1653, daß Sonnabends die dritte Stunde von 9-10 für Exercitia bestimmt war und nur die beiden ersten Stunden für sacra, außerdem aber für letztere - wenn ich richtig verstehe - an jedem Tage die erste Stunde und am Mittwoch sogar die beiden ersten Stunden, also im Ganzen erheblich mehr Stunden, als die Kirchen-Ordnung vorschreibt. In der That war auch dem Religionsunterricht ein höheres Ziel gesteckt: die obersten Schüler sollten an der Hand des compendium Hutteri einen Cursus der lutherischen Dogmatik durchmachen. Auch das V.-P. von 1705 redet von Unterweisung „in definitionibus theologicis.“ David Franck ging nach dem oben (S. 33) Mitgetheilten sogar noch weiter, indem er die zum Studium der Theologie bestimmten Schüler tief in die theologischen Disciplinen einführte. Im Uebrigen entspricht der Religionsunterricht für die Lateiner den Bestimmungen der Kirchen-Ordnung. Als etwas Neues erscheint im V.-P. von 1653 nur „Beustii versus über die evangelia.“ Welcher Katechismus hier gebraucht wurde, ist nicht zu ersehen. Franck benutzte, wenigstens für die Fortgeschrittenen, den von Grünenberg, dem Rostocker Superintendenten, 1712 herausgegebenen.

Gegenüber der so eifrig betriebenen katechetisch-dogmatischen Unterweisung tritt die Einführung in die Heilige Schrift sehr in den Hintergrund. Im V.-P. von 1653 ist nur von Behandlung der Psalmen und der „Evangelia, Griechisch oder Lateinisch“ die Rede. Wenn, wie ich vermuthe, bei letzterem nur an die evangelischen Sonntagsperikopen zu denken ist, so fragt man erstaunt, ob denn wirklich weiter gar nichts von Schriftunterweisung in der Schule vorkam. Eins ist freilich gewiß: der katechetisch-dogmatische Unterricht war durchaus auf die dicta probantia der hl. Schrift basirt, welche also mitgetheilt und gelernt wurden. Aber von zusammenhängendem Bibellesen oder von Unterricht in biblischer Geschichte (außer den Evangelienperikopen) ist noch nicht die Rede. Wir werden darauf weiter unten noch zurückkommen.




35) vgl. A. Rische, der Unterricht an den höhern Schulen Mecklenburgs im 16. und 17. Jahrhundert. Ludwigslust 1884 (Schulprogramm).

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Sternberger Schulwesens