Abschnitt 2

Die nachreformatorische Zeit bis zur Aufhebung des Cantorats 1758

Das Amt.


„Das Ambt


Ist bey Ihnen in informatione fast gantz gleich.

Die Schul-Arbeit fähet an des Morgens Klock sieben und währet biß zehn; des Nach-Mittags von 1 und währet biß 4.

Rector informiret des Morgens von 7 biß 9 und Cantor von 9 biß 10; hergegen des Nach-Mittags von 1 biß 3 und Rector von 3 biß 4.

Weil des Mittwochs im Sommer von 7 biß 8 und im Winter von 8 biß 9 gepredigt wird, halten sie alternatim die Information Wochen-Weise.

Des Sonnabends hat Rector die beyden ersten Stunden und Cantor die letzte.

Die Lectiones nehmen sie nach Wohlgefallen und dem Captu ihrer Discipulorum, welche sie informiren im Buchstabiren und Lesen, im Catechismo und Beten, im Rechnen und Schreiben, in latinitate und Definitionibus Theologicis, so sie ihnen pedetentim beybringen. Nachdem das Hoff-Gericht hinweg gewesen, hat es sich nicht wenig in der Information gemindert. Doch vertiren ihrer etliche das Teutsche in Latein und viceversa.

Im Singen halten Sie eine Woche üm die andere.

Die Anzahl Knaben ist befunden 58. Könnte aber weit stärker seyn, welches der gegenwärtigen Stadt-Obrigkeit fleissig aufs Gewissen ist recommendiret worden, wie auch denen Ehrn Predigern nicht minder.

Examina sind verordnet Montags nach Quasimodogeniti und nach Michaelis zu halten und soll man auf kleine brabea bedacht seyn.“

Es erhellt hieraus zunächst, daß die aus vorreformatorischer Zeit überkommene Einrichtung, wonach die gesammte Schülerschaar, obwohl in verschiedene Abtheilungen zerfallend, doch gleichzeitig in einem und demselben Raum unterrichtet wurde, fortdauernd bei Bestand geblieben ist, trotzdem daß nach der Reformation dem Schulmeister eine zweite Lehrkraft zur Seite stand. Es drängt sich die Frage auf, warum denn nicht gleichzeitig mit der Anstellung des Cantors eine Theilung in zwei räumlich gesonderte Classen erfolgt ist. Der Umstand, daß nun einmal in dem überkommenen Schulhause nur ein einziger Unterrichtsraum vorhanden war, kann unmöglich ausschlaggebend gewesen sein; denn wenn die Mittel vorhanden waren, einen zweiten Lehrer zu besolden, so konnte es unmöglich an Mitteln fehlen, das Schulhaus entsprechend zu vergrößern, wenn das Bedürfniß empfunden wurde. Aber offenbar empfand man dies Bedürfniß der räumlichen Klassentheilung nicht. Wir nach heutiger Auffassung würden urtheilen, daß man unbedingt hätte die bloß Deutsch lernenden Knaben und die Lateinisch lernenden Knaben je in eine besondere Klasse für sich nehmen und etwa die lateinische Classe dem Rektor zuweisen sollen. Aber daran hat Jahrhunderte lang Niemand gedacht. Jeder der beiden Lehrer unterrichtete die ganze Schaar, die Großen mit den Kleinen, die Lateiner mit den Deutschen. Die Schulstunden - an 4 Tagen je 6, an 2 Tagen je 3 - waren gleichmäßig unter beide Lehrer vertheilt. Diese nach moderner Anschauung ganz seltsame und unpraktische Ordnung hat die ganze Zeit hindurch als selbstverständlich gegolten. Wie erklärt sich das?

Die Erklärung liegt, wie ich meine, eben darin, daß die Aufgabe der Schule nach damaliger Auffassung ganz vorwiegend - neben dem Gesangunterricht - auf den lateinischen Unterricht und nur nebenher auch auf die Unterweisung der Nichtlateiner gerichtet war.

Es entspricht dies durchaus der in den betreffenden Abschnitten der Kirchenordnungen zu Grunde liegenden Auffassung. Sowohl die alte Kirchenordnung von 1552 als auch die reoidirte Kirchenordnung von 1602 in dem Abschnitt „Von den Kinder Schulen“ giebt ihre Vorschriften ausschließlich für die Unterweisung solcher Kinder, welche Latein lernen sollen, und scheint gar nicht vorauszusetzen, daß auch andre in der Schule sein könnten. In Wirklichkeit nun freilich gehörte auch schon vor 1650 in jeder kleinstädtischen Schule wenn auch wohl nicht immer die Mehrheit, so doch eine ziemliche Zahl der Kinder zu den Nichtlateinern. Für diese aber also hatte die Schule - nach den Bestimmungen der Kirchenordnung - nichts weiter als (abgesehen vom Gesangunterricht) den für die unterste Stufe bezw. die beiden untersten Stufen vorgeschriebenen Unterricht im Lesen und Schreiben und in den Elementen der Religion.

Daher die Erscheinung, daß das Sternberger V.-P. von 1653, während es an einer Stelle die „Teutschen“ von den Lateinern unterscheidet, sonst nur unterscheidet zwischen den „Kleinen“ und den „Großen“ oder zwischen den „Kleinen“ und den „andern“. Es scheint danach in der That so, als ob diejenigen Kinder, welche nicht zum Lateinlernen bestimmt waren, soweit sie überhaupt die Schule besuchten, nur während der ersten Jahre des schulfähigen Alters am Unterricht theilnahmen und, nachdem sie lesen und schreiben gelernt hatten, die Schule verließen, so daß sich „Teutsche“ überhaupt nicht unter den Großen, sondern nur unter den Kleinen fanden.

Es wird von besonderem Interesse sein zu verfolgen, wie sich diese Verhältnisse im Laufe unserer Periode zu Gunsten der „Teutschen“ verschoben haben. Zunächst aber richten wir unsere Aufmerksamkeit darauf, wie die Schule ihrer eigentlichen Bestimmung, eine lateinische Schule zu sein, entsprach.

Das V.-P. von 1653 zeigt uns die Schule in dieser Beziehung auf einer unleugbar hohen Stufe. Der Lektionsplan weist Gegenstände auf, welche die revidirte Kirchenordnung (Fol. 268 b ff.) dem „vierdten Häufflein“ (prima classis), also der obersten Stufe, zuweist, nämlich „den Terentium“, nicht blos exercitia in prosa, sondern auch in carminibus, ja sogar in Graecis, dazu auch „die prosodiam.“ Freilich waren es unter allen 50 Schülern nur 2, welche soweit gebracht waren. Aber also wirklich war in etwas die Schule dem Ziele nahe gekommen, welches die Kirchenordnung für die „grössern Schulen“ hinstellt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Sternberger Schulwesens