Abschnitt 1

Die Zeit der Reorganisation 1803-1850.

Stellung der Schule zur Kirche, zur Commüne und zum Staate.


Die Darstellung hat gezeigt, daß der Kern der Schulreform darin bestand, der Commüne größere Rechte und Pflichten in Bezug auf die Schule zuzuweisen; und obwohl dieselbe zwar nicht gegen Erlangung der Rechte, wohl aber gegen Uebernahme der Pflichten, wenigstens der finanziellen Unterhaltungspflicht, sich bis aufs Aeußerste wehrte, so ist das Ziel doch schließlich erreicht worden. Der Commüne wurde gewissermaßen mit Zwang die Anerkennung abgerungen, daß die Stadtgemeinde als Schulgemeinde verpflichtet sei, aus ihren Mitteln nicht nur das Schulgebäude herzugeben, sondern auch in Zukunft das zur Unterhaltung und Verbesserung des gesammten Schulwesens Erforderliche aufzubringen, soweit es nicht durch die bisherigen kirchlichen Leistungen und außerordentliche Zuschüsse aus kirchlichen Mitteln gedeckt worden. Doch wurde diese neue Verpflichtung nicht einfach auf die Cämmereikasse gelegt, sondern es wurde von derselben gesondert, aber unter Aufsicht des Magistrats stehend und stadtverfassungsmäßiger Berechnung sowie staatlicher Revision unterliegend, eine Schulkasse begründet. Was an neuen Abgaben zu dieser stipuliert wurde, war nicht sehr erheblich: das ihre Haupteinnahme bildende Schulgeld wurde unbedeutend erhöht, sowie die bisherige unter dem Titel „Rektor-Speisegeld“ erhobene Schulsteuer auf das Doppelte (von ca. 80 Thlr. auf 160 Thlr.) erhöht; die Armenkasse zahlte ein etwas erhöhtes Aversum von 90 Thlr. „für die Kinder der Armen und der sonst Zahlungsunfähigen“. Außerdem floß in die Schulkasse der Zuschuß von 160 Thlr. aus dem St. Georg-Stift und eine Entschädigung aus dem Kirchenärar von 30 Thlr. Und mußte nun auch die Commüne sich darauf gefaßt machen, daß mit der Zeit die Ausgaben sich steigern würden, so war doch auch eine Erhöhung des Hospitalausschusses wenigstens in Aussicht gestellt. Die Schulkasse stellt sich also dar als eine solche, welche in erster Linie von den Interessenten und in zweiter Linie zu fast gleichen Theilen aus communalen und kirchlichen Mitteln gespeist wird. - Dagegen nun wird der Commüne als Antheil an der Schulleitung im Wesentlichen folgendes zugewiesen. In der Ortsschulbehörde, dem Schulvorstande, „dessen Wirksamkeit als eine leitende, anordnende und beaufsichtigende das gesammte Schulwesen der Stadt und alle die Lehrer als solche betreffende Angelegenheiten umfaßt“, sind die Communalbehörden durch den Bürgermeister und zwei Deputierte des Bürgerausschusses vertreten, neben welchen einer der Ortsprediger und der Rektor stehen. Der Bürgermeister hat den ständigen Vorsitz und giebt bei Stimmengleichheit den Ausschlag. Außerdem aber hat - nicht, wie die Oberkirchenbehörde wünschte, der Schulvorstand, sondern - der Magistrat das Recht überkommen, bei derBesetzung der Lehrerstellen durch Auswahl aus den drei Präsentanden des Ministeriums mitzuwirken.


Eine solche Betheiligung der Commüne war, wie die frühere Darstellung gezeigt hat, seit lange angebahnt und durch das Reglement von 1803 bestimmt eingeleitet. Sie war veranlaßt dadurch, daß die kirchlichen Mittel nicht mehr ausreichten, die gesteigerten Bedürfnisse der Schule zu bestreiten, sowie daß die alte kirchliche Sitte der Gemeinde durch die Noth der Zeit in dem Grade geschwunden war, daß die Gemeinschaft der Schule nur noch durch polizeilichen Zwang aufrecht erhalten werden konnte. Sie hatte ihre tiefere Nothwendigkeit und Berechtigung darin, daß in der Schule allmählich neben den religiösen Stoffen und den formalen Uebungen die fürs bürgerliche Leben bildenden Realien eine immer größere Selbständigkeit gewonnen hatten. So war in jedem Betracht unabweislich und berechtigt, die Unterhaltung und Leitung der Schule, welche früher Kirchensache gewesen war, zu einer gemischt kirchlichen und communalen Angelegenheit zu machen.

Allein eine Zeitlang schien es, als ob diese Reform eine vom kirchlichen Standpunkt aus bedenklich zu nennende Richtung nehmen solle. Und zwar geschah dies im Zusammenhang damit, daß die Tendenz des Zeitgeistes dahin ging, die Schule einseitig als Staatsanstalt zu proklamieren.

Denn neben die beiden Faktoren: Kirche und Commüne war inzwischen als dritter und oberster Faktor der Staat getreten. Ursprünglich unter dem Rechtstitel des kirchlichen Summepiscopates hatte der Landesherr die Oberleitung der Schule in die Hand genommen und dieselbe durch die kirchlichen Organe, die Superintendenten und die Pastoren, ausgeübt; allein etwa seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts war nach territorialistisch-rationalistischer Anschauung das Kirchenwesen zu einem Departement des Staatswesens geworden, und die Schule wurde, unter vielfacher Beiseitesetzung der kirchlichen Organe, der Oberaufsicht staatlicher Behörden unterstellt. Die nun durch Gewöhnung eingebürgerte Anschauung, daß die Schule Staatsanstalt sei, wurde durch die Bewegung des Jahres 1848 als Princip proklamiert, und dem gleichzeitig im Princip als religiös indifferent proklamierten Staate, der für die Schule wenig gethan hatte, fiel die Schule als Stück seines Machtbereiches zu: er erntete, wo er nicht gesäet hatte.

In diese Zeit fiel die Reform der Sternberger Schule; und die obige Darstellung hat gezeigt, wie dieselbe kurz davor war, der Kirche, deren Mittel sie sich dienstbar machen wollte, die rechtlich gesicherte Einwirkung auf die Schule zu nehmen. Nun aber war infolge des einen Augenblick zur Geltung gekommenen Principes der Trennung von Staat und Kirche eine unmittelbar dem Landesherrn als Oberbischof unterstehende Oberkirchenbehörde ins Leben getreten, deren Aufgabe war, die Rechte der Kirche wahrzunehmen; und wir haben gesehen, wie dieselbe - die Kirchencommission - bei den Verhandlungen über das zu erlassende Regulativ mit Entschiedenheit darauf bestand, diejenigen Garantieen zu erlangen, welche erforderlich waren, um auch für die Zukunft eine ersprießliche Verbindung der Schule mit der Kirche zu erhalten.

In dieser Beziehung ist die Reform der Sternberger Schule ein Vorgang, welcher für das ganze mecklenburgische Schulwesen, zunächst in den Städten, principiell entscheidende Bedeutung gehabt hat. Wie denn dies im Jahre 1851 in einem Vortrage des Oberkirchenrathes vom 24. März an das Unterrichtsministerium, an dessen Spitze damals seit Kurzem von Schröter getreten war, folgendermaßen ausgeführt ist: „Das hohe Ministerium wird aus seinen Acten Kenntniß der Kämpfe haben, welche von hier aus wegen dieser Schule und am Faden dieser Einzelheit wegen der Schulen überhaupt haben bestanden werden müßen - Kämpfe, von denen wir in diesem Zusammenhange wohl sagen dürfen, daß ohne sie das jetzige Unterrichts-Ministerium schwerlich noch eine de jure christliche und confessionelle Schule in Mecklenburg vorgefunden haben möchte.“

Indessen damit war der Kampf zwischen Staat und Kirche um die Sternberger Schule noch nicht zu Ende. Er trat vielmehr bald darauf in eine neue Phase, welche wiederum allgemeinere, prinzipielle Bedeutung für die Stellung der mecklenburgischen Schulen zum Staat und zur Kirche gewonnen hat.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Sternberger Schulwesens