Abschnitt 2

Die Zeit der Reorganisation 1803-1850.

Schulzustände seit 1803.


Aber auch abgesehen von den Nebenschulen wurde das Gedeihen der öffentlichen Schule aufs stärkste beeinträchtigt durch die andauernde entsetzliche Unregelmäßigkeit des Schulbesuches auch derjenigen Kinder, welche - und das waren immerhin doch die meisten - im Allgemeinen der öffentlichen Schule anvertraut wurden. Mit Erfolg hatte sich die Bürgerschaft jedes Schulzwanges erwehrt, und sie genoß ihre Freiheit, namentlich zur Sommerszeit, in vollen Zügen. Nach der Zählung der schulfähigen Jugend von 1803 (250 Kinder) mußten auf jede Klasse durchschnittlich über 60 Kinder kommen. Thatsächlich waren im ersten Winter zugewiesen: der ersten Knabenklasse 57, der zweiten 61, der ersten Mädchenklasse 32, der zweiten 32. Also fast die Hälfte der Mädchen war von vornherein außer Betracht gelassen, vermuthlich weil sie Nebenschulen besuchten, und keine Aussicht war, sie herüberzuziehen. Es fragt sich nun, wie viele von den zugewiesenen Kindern in Wirklichkeit die Klassen besuchten. Das war zunächst nach den Jahreszeiten verschieden, im Winter mehr, im Sommer weniger, außerdem aber auch war der Schülerbestand wochenweise ein verschiedener. Einige Daten mögen veranschaulichen: 1806 beklagt sich der Stadtschulhalter Scheel, daß, während eigentlich über 60 Kinder in seine Schule gehörten, viele das ganze Jahr nicht kämen, noch weit mehr kaum 2 oder 3 Monate; wahrend der Zeit von Ostern bis zum Landtage des verflossenen Jahres habe er nur 16-20 Kinder wöchentlich gehabt. 1819 erhebt Blandow einmal wieder beim Magistrat Klage und bemerkt: die Eltern hielten ihre Kinder so schlecht zur Schule, daß oft nur einzelne Kinder die ganze Schule ausmachten, ja sogar wegen gänzlichen Mangels an Kindern in der ersten Mädchenklasse die Schule habe ausgesetzt werden müssen.


Als Grund erscheint immer wieder „die große, allgemeine Bedürftigkeit“ der Einwohner, welche sie zwinge, wenigstens im Sommer ihre Kinder zur Arbeit und zum Geldverdienen zu benutzen. Und in der That mag die Nothlage vieler noch immer ziemlich groß gewesen sein. Immerhin aber hatten sich doch die Verhältnisse allmählich erheblich gebessert. Doch war nun einmal aus der früheren Zeit der Noth die üble Gewohnheit des Schulversäumens als schier unausrottbare Unsitte geblieben. Jede Gelegenheit wurde benutzt, den Schulschilling zu sparen, wie denn erwähnt wird, daß Kinder, welche etwa in den ersten Tagen der Woche wegen Krankheit hatten versäumen müssen, auch für die übrigen Tage auf die Schule verzichteten, um nicht am Sonnabend ihren Schilling bezahlen zu müssen.

Von der im Reglement angedrohten „Bestrafung durch die Stadtobrigkeit“ ist nichts bemerkbar geworden. Einmal im Jahre 1811 faßt der Magistrat den Beschluß: 1) die Viertelsmänner sollen jeder in seinem Quartier ungesäumt die Eltern und Vormünder berufen und sie an ihre Pflicht erinnern, die Kinder fleißig zur Schule zu halten; 2) falls das nicht hilft, sollen sie doch gehalten sein, wenngleich die Kinder aus der Schule bleiben, doch das wöchentliche Schulgeld, wenigstens für die Zeit vom Herbst bis Ostern, zu bezahlen. Aber die Consequenz, nun auch das Schulgeld einzutreiben, hat der Magistrat nicht gezogen.

Endlich im Jahre 1828 wurde die früher schon von Blandow erfolglos beim Magistrate vorgeschlagene Einrichtung nunmehr von Dietz durch Vorstellung bei der Regierung durchgesetzt, daß das Schulgeld nicht mehr wöchentlich mit resp. 1, 2, 3 ß., sondern in Quartalraten von resp. 12, 24, 36 ß. erhoben und von den Restanten auf Anzeige der Lehrer durch den Magistrat eingetrieben werden solle. Das war das einzig richtige Mittel, welches denn auch allmählich geholfen hat. Freilich nicht sofort. 1831 berichtet Dietz an die Regierung, daß die eingereichten Restantenverzeichnisse unerledigt blieben; der Magistrat erwidert, die executivische Beitreibung sei „nicht in allen Fällen möglich“, übrigens habe doch die neue Einrichtung „schon gut geholfen“; wogegen Dietz constatiert, daß „der Schulbesuch so schlecht wie früher“ sei und vom Magistrate „so gut wie nichts“ geschehe. Auch ferner blieb, wenigstens nach Dietz’ Angabe, der Magistrat unthätig, so daß jener schließlich ermüdete und die von den Lehrern ihm übergebenen Restantenlisten bei sich liegen ließ. Auch blieb jene Einrichtung gegenüber denjenigen, welche die beiden vollen Sommerquartale zu pausieren pflegten, fortdauernd wirkungslos. Dagegen aber hatte sie doch die gute Folge, daß die „kleineren“, nur (!) Wochen lang dauernden Versäumnisse innerhalb des Quartals, für welche ja nun mit bezahlt werden mußte, allmählich aufhörten. 1839 konnte Dietz berichten: „Die Einrichtung des vierteljährlichen Schulgeldes hat geholfen.“

Auch die Nebenschulen nahmen seit den 20er Jahren ab, anscheinend im Zusammenhange damit, daß Großkreuz alt und schwach wurde, und die von ihm vertretene Richtung erlosch. 1829 wurde auch endlich - ich finde nicht, unter welchen Bedingungen - eine Industrielehrerin angestellt, welche Einrichtung freilich nur einige Jahre Bestand hatte. 1834 begegnet noch eine kleine von dem „gottesfreundlichen“ Schuhmacher Grünberg unterhaltene Nebenschule; 1839 eine von 7 Kindern besuchte, anscheinend von dem Schulinspector geduldete Schule der Frau Senator Rosenow. Das sind die letzten Ausläufer. 44)

Dazu kam vor Allem, was die Knaben betrifft, daß die Küsterschule unter Krüger seit 1823 mehr und mehr eine eminente Anziehungskraft entwickelte.

Im August 1839 konnte Dietz über den Schülerbestand der vier Klassen berichten:

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Allerdings repräsentiert diese Zahl noch nicht die gesammte schulfähige Jugend, welche, wenn man in Betracht zieht, daß die Schulfähigkeit damals noch mit dem vollendeten fünften Lebensjahre begann, mindestens auf 400 zu schätzen sein dürfte. Immerhin erscheint die Zahl in Anbetracht dessen, daß Sommer war, sehr erheblich und nicht so sehr weit mehr vom Normalen entfernt. Und wenn nun auch freilich der Schulbesuch im Einzelnen von Regelmäßigkeit noch weit entfernt war - noch 1845 ergeht die Klage, daß die Kinder in großer Zahl während der Schulzeit bettelnd umherzögen -, so war doch ein großer Fortschritt gegen früher unverkennbar.

Nun aber ergab sich ein neuer Uebelstand: für die sich mehrende Zahl der Kinder waren die Schullokalitäten zu klein! Und dies hat den Anlaß gegeben zu den Verhandlungen, welche in der Schulordnung von 1850 ihren Abschluß fanden, und welche in mehrfacher Hinsicht von besonderem Interesse sind.




44) Es ist eine sehr auffallende Erscheinung, daß mit dem Jahre 1848 die Nebenschulen wieder in Menge auftauchten: vom Ende des Jahres 1850 findet sich die Angabe, daß in Sternberg "10 bis 12 Privatschulen" beständen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Sternberger Schulwesens