Abschnitt 3

Die Zeit der Reorganisation 1803-1850.

Das Reglement von 1803.


Uebrigens verhehlte man sich nicht, daß eine solche Vereinigung höherer und niederer Ausbildung Schwierigkeiten biete; und man sah voraus, daß in den höheren Ständen das Bestreben sich geltend machen werde, ihre Kinder dem öffentlichen Unterricht zu entziehen. Diesem Rechnung tragend, concedierte man, daß die Privatstunden auch von solchen Kindern besucht werden könnten, welche an dem öffentlichen Unterricht nicht theilnähmen, und daß es nicht nur den Eltern frei stehe, „Haus- oder Privatlehrer zu halten“, sondern daß es „selbst mehreren Familien in der Stadt unbenommen bleibe, sich einen gemeinschaftlichen Lehrer für ihre Kinder halten zu dürfen, sobald letztere einen solchen Unterricht bedürfen, der über die Grenzen des Unterrichts in den öffentlichen Schul-Claßen hinausgeht.“ Während also im Uebrigen mit größter Entschiedenheit bestimmt war: „Außer diesen angeordneten vier Schul-Claßen soll überall keine andere Nebenschule, unter welchem Vorwande es auch seyn mögte, aufkommen und geduldet werden“, so mußten doch „höhere“ Neben- oder Privatschulen von vornherein freigegeben und „ganz ex nexu dieser Schulordnung“ gestellt werden. Wirklich haben auch solche höhere Privatschulen, sowohl für Knaben als für Mädchen, zum Theil unter Leitung der Pastoren, je und je neben der öffentlichen Bürgerschule bestanden und der pflichtmäßige Privatunterricht der öffentlichen Lehrer dürfte um so mehr gemieden worden sein, als diejenigen Kinder, welche daran theilnahmen, ohne zugleich den öffentlichen Schulunterricht zu besuchen, doch das Schulgeld für letzteren mit bezahlen mußten, während die Kinder der Privatschulen damals noch hiervon befreit blieben.


Der öffentliche Unterricht nun wurde täglich von 8-11 Uhr und - mit Ausnahme des Mittwochs und Sonnabends - Nachmittags von 1-3 Uhr im Winter, von 2-4 Uhr im Sommer ertheilt. In den beiden unteren Classen sollten die Kinder soweit gebracht werden, „daß sie gut buchstabiren gelernt und im Zusammenlesen einen ziemlichen Anfang gemacht haben“. Man nahm das vollendete neunte Lebensjahr als durchschnittliche Grenze an. Schreiben und Rechnen war hier noch ausgeschlossen. Der Religionsunterricht umfaßte 4 Stunden biblische Geschichte für alle (nach Seilers kleinem biblischen Erbauungsbuch) und 4 Stunden Katechismuslernen für die größeren (während dessen die kleineren buchstabieren lernten). 10 Stunden waren für Buchstabieren und Lesen bestimmt. Außerdem: 2 St. „der Lehrer liest aus Rochows Kinderfreund vor, fragt es durch und wendet es an“; 2 Stunden „Zahlen gelehrt und die Fähigeren zum Aufschlagen angeführt“; 2 Stunden „kurze Denksprüche aus dem hannöverschen Katechismus vorgesagt“; 2 Stunden „Buchstabiren aus dem Kopfe geübt“.

In jeder der beiden oberen Classen - denn der Unterricht für die Mädchen war auch hier wesentlich derselbe wie für die Knaben - gab es: 4 Stunden Katechismus nach Seilers Lehrbuch (Montags mit Durchnahme der Sonntagspredigt); 2 Stunden biblische Geschichte; 2 Stunden Bibellesen A. T. und 2 Stunden Bibellesen N. T. (mit Erläuterung und Anwendung); 2 Stunden „Deutschlesen“ (aus Rochows Kinderfreund); 4 Stunden Schreiben („die nicht schreiben, lernen Katechismus oder Sprüche“); 4 Stunden Rechnen („die andern lernen etwas auswendig“); 2 Stunden „Ortographie mit Uebung in schriftlichen Aufsätzen“; 1 Stunde Geographie (nach Fröbing); 1 Stunde Naturgeschichte (nach Fröbing); 1 Stunde Naturlehre (nach Fröbing); 1 Stunde „Wiederholungsstunde, Uebung in mündlichen Vorträgen“.

Uebrigens ist Vorstehendes nur der Lehrplan für den Winter 1803/4; und es war ausdrücklich vorbehalten, daß derselbe in jedem Halbjahr neu festgestellt werden sollte in der Weise, daß der Inspektor unter Beirath der beiden oberen Lehrer die Lehrpläne für alle vier Classen entwerfen und dem Superintendenten zur Bestätigung einreichen sollte. Auch bezüglich der Lehrbücher war ein halbjähriger Wechsel vorbehalten und bezüglich des Lesebuches sogar ein solcher empfohlen, „indem solche, besonders die Lesebücher, das Mittel seyn müßen, der Jugend diejenigen Kenntniße einzuflößen, die man ihr jedesmal am nützlichsten hält.“

Die Nebenschulen, welche jetzt beseitigt werden sollten, hatten bisher einen Hauptberechtigungsgrund daher entnommen, daß die öffentliche Schule keine Gelegenheit bot, die Mädchen Handarbeit lernen zu lassen. Daher bestimmte das Reglement (§. 5): „Sowohl mit der größern, als auch mit der kleinen Mädchen-Schule soll zugleich eine Industrie-Schule verbunden seyn, in welcher selbige in allerley weiblichen Handarbeiten unterrichtet werden. Diesen Unterricht soll stets eine der Ehegattinnen der angestellten Lehrer, falls sie dazu fähig und geneigt ist, besorgen. Sollte dies sich aber nicht so fügen wollen, so sorgt Magistratus dafür, daß eine andre anständige Frau vom unbescholtenen christlichen Charakter diesen Unterricht ertheile; für welchen wöchentlich 1 ß. und zwar für jede Stunde von jedem Kinde bezahlt wird.“ Dieser Unterricht sollte innerhalb der öffentlichen Schulzeit in je 4 Nachmittagsstunden ertheilt werden. Allein der Lehrplan von 1803/4 enthält davon nichts; und in Wirklichkeit ist diese ganze wohl erwogene Bestimmung noch über 20 Jahre lang einfach unausgeführt geblieben - ein Umstand, der wesentlich mit verschuldet hat, daß das Nebenschulwesen, wie weiter unten zu erwähnen sein wird, nach wie vor weiter florierte!

Höchst auffallend ist, daß der Lehrplan auch nicht eine einzige Stunde für Gesangunterricht ansetzt. In den voraufgehenden Verhandlungen war man übereingekommen, daß die beiden studierten Lehrer in der Musik fähig sein müßten, damit einer künftig die Orgel schlagen könne, beide aber auch den etwa in der Stadt zu wünschenden Unterricht in der Musik geben und „in der Schule im Singen, wenigstens im Kirchengesang unterrichten“ könnten. Der Lehrplan aber beschränkt sich darauf, anzuordnen, daß der Unterricht Vor- und Nachmittags mit „Gesang und Gebet“ begonnen werde; und man hat also damals noch diese tägliche Uebung als ausreichenden Gesangunterricht angesehen. So vollständig hatte man die kirchliche Gesangeskunst der früheren Zeit fallen lassen!

Uebrigens verblieb die Schule in der engsten Verbindung mit dem Cultuswesen. Die beiden studierten Lehrer hatten monatlich je einmal die Nachmittagspredigt zu halten, wofür sie jeder 10 Thlr. von den Predigern erhielten; und ausdrücklich wurde ihnen wieder die alternierende Gesangleitung in den sonntäglichen Gottesdiensten wie bei Beerdigungen zugewiesen. Nur für die übrigen in der Woche und öfter in die Schulzeit fallenden Cultushandlungen wurde ihnen der Küster substituiert. Die Knaben der ersten Classe, sowie aus der Küsterklasse diejenigen, welche etwa dazu schon fähig waren, sollten sonntäglich dem Gottesdienst unter strenger Controle der Lehrer beiwohnen, event. in der Schule bestraft werden, und jeden Montag in den beiden oberen Classen die Sonntagspredigt durchgenommen und angewendet werden; für die befähigteren Kinder wurden auch schriftliche Ausarbeitungen über die Predigt in Aussicht genommen. Die Theilnahme an den zur Sommerszeit in der Kirche gehaltenen öffentlichen Katechismuslehren, welche ausdrücklich als „ein Theil des Schulunterrichtes“ bezeichnet werden, war für die Kinder der beiden oberen Classen obligatorisch, für die andern facultativ und sollte genau controliert event. durch Schulstrafen erzwungen werden. Ueberhaupt soll (§. 49) „das Hauptaugenmerk sämmtlicher Lehrer dahin gerichtet seyn, daß die Jugend durch Erkenntniß der Religionswahrheiten, welche ihr nach ihrer Faßungskraft und überzeugend beygebracht werden müßen, zur ungeheuchelten christlichen Gottseligkeit gebildet werde; indem ohne selbige alle übrigen Fertigkeiten und Kenntniße keinen Menschen glücklich machen. Hierauf also mu? sowohl der eigentliche Religionsunterricht, als auch das ganze Benehmen der Lehrer in Worten und Handlungen gerichtet seyn.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Sternberger Schulwesens